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1
I
Mtint 5(()nftett
bon
^««0 ^tfdleir.
.«uv-
(Erfte Kei^e.
• <^
f
C
1. Iie6ei; die menfdiCtflie #ceifieit.
2. Vititt im Sil.
3. SHafcefpeace uad die £acon'JKi)tlieii.
4. feitifdie Sfreifjnge mider die Vnliritiii.
1
(5arl aOßinter'd Untöerfität8bu$^anbluug.
1896.
KUe Siedete, befonbecS baS Sted^t ber Ueberfe|ung in frembe Qpxad^tn,
toerben börbel^alten.
steine SAtiften
von
Äuno ciFtf4ijer*
4
-•••-
20
tritifc6e (StreiMae
lotber
bxe ^nßrifiß.
SBon
jditto ^tf^er.
a:arl äBtnter'd Untt)erfttötdbu(^l^anblung.
• • •
• . «
fitit 9le4te, befonberS baS Sle^t ber Uebevfe|ung in frembe ^pxaäitn,
totxhtn noxUfialttn,
t
da
I
SS r tt) 1 1^
©inige meiner fteinen Sluffd^e, bie gelegentftd^
in Seitfdöriften etfd&ienen ftnb, I&a6e id^ l^ier 9e=
fammeft unb ,,firittf(iöe ©treifgüge toibet bie Un=
fritif" genannt @ie finb fämttid^ burd^ Slngriffe,
bie id^ ju erfal^ren ^t\<&\., l^erDorgerufen tourben
unb jur SlBtoel^r gefd^rieBen. 3d^ betone biefen
tl&ren ©ntftel^unflSgrunb, »eil id&, für meinen Sll^eit,
bie 5ßoIemil nid&t liebe, nid^t fud^e unb gern t)er=
meiben toürbe, aber bie aufgebrungene, toenn eS
ber ©egenpanb forbert, aufjunel^men bereit bin,
um fletüiffe Hemmungen, bie fid^ mir in ben SBeg
bröngen, fortgurdumen.
25ie llnlritü, toeld^e tdö fennjeid&ne, beruht
auf ber Unlogil, beren SBege bem gefunben unb
rid&tigen S)en!en jutoibertaufen. Unlogifd&e ßöpfe
l^at e3 t)on iel^er gegeben, ober fte l^aben fid^ nod6
nie fo gol^Ireid^ unb onma&enb in bie Citterotur
unb litterarifd^e firitil eingemifd^t, al3 in ben
iünglien Seiten. SBie bie ©enlort, fo bie ©d&reib=
288 aSortoort. [6
Ott. 3c fenntUd^cr bcr lle6elftanb bargctl^an toirb,
um fo toeniaer gemeinf(f)ablid& ba§ Uebel. ®te8
ift bcr 3tt)e(i, bcm meine ©treifjüge bienen fotten,
bteje unb bie ftlnftigen.
33ei ber Siebaction ber t)0tlte9enben Sammlung
]§a6e td& mand^e 35eranbetungen, anä) mand^e ^in=
jufügungen für nötl^tg erad^tet, bie ber orientirte
ßcfer fogteid^ erfennen toirb. SReu l^injugefommen
unb burd^ ben 3ufammen]^ang ]^er6etgefü^rt finb
bie »(dtter ü6er ben „8efrtng=3rn!Idger", ber fed&§
bide SBanbe gefd^rieben, gebrudt unb Derlegt ^ai,
um ben 3leformator ber beutfd^en ßitteratur gu ent=
tl^ronen unb ju — entlarven! @r mad^t in Qn=
gebUd^en 5ß(agiaten unb \)ßkU in bem SReid^e ober
Dietmel^r auf bem SBtodSberge ber Unfrltif, bie t)on
ber ©d^möl^fud^t getrieben toirb, eine l^eröorrogenbe
SRoIIe; aber, tt)ie e3 im ^ejenfabbat^ l&eifet, ber
SBIodSberg l^at gar einen breiten SRüden unb bie
SKenge ber Stufiebler unb ^anblanger, bie bem
©efd&dfte ber Un!ritil mit §ül\t ber Untogil bienen,
ift überaus grofe.
5Bet)e^, im September 1895.
Snliatt.
©eite«
l. (gilt llfltl|fln-(Brkiärer 9
SSorctinncrung 9
S)ic neue 3bec in ßcfjtnöS Slat^an ... 11
2)ie 2fatniUengef$i$te auS SSoccaccto . . 15
©toift. Slonne unb @$n)cftcr 18
^ie beiben ©ecrctäre unb baS Säd^eln . 21
II. (Ein ^Cerrtng-ankinö^r 23
Slüdfblitf 23
S)er Slnfläßer 26
2)le JBetoeife 27
III. (Ein littcrflrirrfjer ^imillng üi$ Cefflng^ ^FauI 31
S)er Sfinblinö 31
ßcfjtnöS Sauft 35
2)er toieberöefunbenc Sfaufi ßeffing« . . 67
1. S)ie Sluffinbung 67
2. 2)ie Sabel unb beten SluSfül^rung 70
S)a8 ©rgebnife 79
IV. (Ein ^fl«p-(£:ammcntfltar 86
S)er aitel bed SDÖertS 86
S)ie brei gfauftfprad^en 90
1. S)er brcifad^e 3fauP|)Ian .... 90
2. 2)Qd bretfac^e (Bretd^en 92
3. S)ic l!antif(^c Jöernunftfriti! unb bte
^inl^eit beS (Soetl^efd^en gfaufi . . 93
4. S)a« gauft=9GÖörtcrbu(ä& 95
S)ie (Sipf cl be8 Unfinns unb ber Untoiff enl^eit 101
Uebcrfc^ungen au8 ber fjaupfpratä^c . . 106
S)cr SDÖuft üon ülaferei 111
1. ©oetl&c al8 Üabbalifi 111
2. §an8 öon Sftippadft als S)on 3uan 112
V. ^txr mn^tx ai$ Äritiher 114
aSorerinnerung 114
S)ie einrcbe 115
290 anl^art [8
Seite.
S)ic Surüdtoeifung 117
1. S)ic 3bec ber ©ntfül^nunö .... 117
2. 2)er Heine bem SDt^ter entfd^Iüpfte
aOßibcrfprud^ 118
3. ÄeinaBiDerf|)ru(ä^, fonbembic®runb»
ibee beg S)td^tet8 119
©ün^erS Saubertoorte 122
©runbfalfd^e 3nler<)rctationen 123
1. 2)aS ©ebet ber ^pl^tgeme .... 123
2. 2)et @i^ bed iantaluS an ber
©öttcrtafcl 125
^ie 2)ün^etf4e @$tetb» unb ^rllörungSart 129
VI. Ä»rl ^üfft'(^xhi&xtxx Hunger aini> ßern . . 142
S)cr fragliche ?Junft 142
1. ®. t)on Soe))er 142
2. 2)te beiben Saffobid^tungen . . . 145
3. 2)te e^Iugfcene beS etften ^ctS . 146
4. S3ricfric6c a)ata. ©ine ©CQentd^rift 147
^xt neue 2)t$tung 148
1. SaffoS ©egnet: enttoebet $igna ober
Slntonio 148
2. Urtunblitä&e JBetoetfe 149
3. 2lntonio=?pigna. ^ntonio«®uarini 150
4. Antonio aU @amtneIprobuct . . . 152
S)tc S)ünier«ßernf(ä^e ^Polemif 153
1. 2)er @egnet S^affoS: ^ing ober ftuna 153
2. S)er ©egner Saffog in ber alten
2)i4tung 155
3. 2)er ©egner SlaffoS in ber neuen
2)id^tung unb ber ^ntonio^S^^puS . 156
4. S)te@d6itberung9lomdinber6d^Iug>
fcene be8 erften 5(ct8 160
5. Saffo unb Slntonio: alte ober neue
S3efannte? @tne Untinomie ... 163
6. SBerfcWte eintoürfe unb Slngriffe 169
9lo(!J eine urfunblitä^e SBeftätigung ... 171
I. ^otexinncxuni.
®8 toar Don ungcfdl^r gefommen, baß in bem=
fetten Saläre ber berül^mte S)Qt)tb Stiebrid^ ©troufe
unb ii) Söortröge ü6er ßeffingS ,,9lQt]^an ber
SBetfe" gel^alten unb Deröffcntttd&t l^atten: ©trauft
bomalS in ^eittronn, iä) in 3ena^
ßinifle Saläre ]p&Ux erfd^icn ju 3ena ü6er
baffelfee Sl^ema t)on Dr. 3. 6aro eine „©tubie"
unter bem SEitel ,,ßeffin8 unb ©toift", toorin fo=
gteici^ alle bieienigen, toeld&e t)or il&m über bie
©Qd&e gefd^rieben l^atten, mit ber größten ®crinfl=
fd&ä^ung angefel^en unb afe elenbe ßörrner unb
1 S)aö. gfr. ©trau6: ßcfrinö« 9lat^an ber SBcifc.
«in »ortrag 1864. (©efamtneltc ©d^riften SBb. II, ©. 43
M8 82.) — Äunogfif(ä&cr: ßcffinöS !Rat^an ber Söeife.
1864. Stoeite Slufl. 1875. $5)rittc neubearbeitete unb
öertnel^rte Stufl. 1881. (Öefjtnö ald Sftcformator ber
beutf^en ßitteratur. II. Zf)ül ©tuttgart. a:otta.)
292 (Sin 9latl^an'(StIIttrer. [lO
Äa^enmufüanten au§ betn SBege geräumt tourbett.^
®a td& ber nöd^ftbctroffette toar, fo l^abe td6 mtd&
beranla^t uttb l^erauSgcforbert gefül^ft, biefe neue
©d&rift gu Icfen uub tl^ren SOßertl^ öffentltdö äu
fd^ö^eu: bicS ber ©ruub nteiuer tl^r getoibmeten
unb auf beut Su§e gefolgten Seurtl^eilung in ber
Scilage jur Slffgemeinen S^itung.*
3(^ toürbe aber biefe Seleud^tung mit il^rem
©cgenftanbe ber SSergeffenl^eit l^aben anl^eimfallen
laffen, tüenn id& nid&t neuerbing§ baran erinnert
njorben njöre, ba§ berfelbe S^puS unb biefelbe
©d&Iufeart ber Unfritif, njeld&e auf bem ©ebiete
ber SitteraturerKörung fo biele SSerioirrungen an=
jurid&ten, g. 33. ©l^afefpeare in 33acon gu t)er=
toanbeln, fid^ feit Sal^rgel^nten beftrebt geigt, aud)
ben 35er f äff er ber genannten „©tubie" irregeleitet
unb bagu gefül^rt l^atte, unferem ßeffing bie 6r=
finbung ber gäbet gu feinem SRatl^an abgufpred&en
unb bem Snglönber ©toift gu binbiciren. 2)ie§
ber ©runb, loarum id^ jener 33eurt]^eilung n)ieber=
1 Dr. 3. ©aro: Scfflnö unb ©ttift. ©tnc ©tubic ü6cr
9latf)an ber Sßcilc 3eno. O. S)ctftun9. 1869.
2 »cilQöc gur m^mtimn 3eitung. 1868. S^lr. 346
11. S)ccctnbcr.
11] 2)ie neue 3bee beS Slatl^an. 293
gebadet uttb jic in biefe SBIöttcr aufgenommen l^abe.
®8 l^eifet ber ßffentltd^en ©enlart eine SQSol^Itl^Qt
ertoeifen, toenn man tl^r bte 3irrtt)ege ber 3lfter=
Iritif fo beutlidö jetgt, bafe fte er!annt unb t)er=
mieben toerben.
II. pie neue ^hee in <^effln0$ ^at^an.
®qS ©d&rtftd&en ift einer Same gctt)ibmet. 3n
feiner SQßibmung la^t fid& ber aSerfaffer auS tuei6=
lid^em ajlunbe befd&reifien: „tt)ie ber ^ünftler in
ben Qufgetl^anen ^Pforten be§ gcfpoltenen §immel§
fein Urbilb fd&oue, fo fd&ön, bofe er nid&t mübe
toerbe ju fd^Quen". ®iefe§ Silb ^aU xi^n gerül^rt;
bod^ fei er „burd^ SScruf öerpflid^tet , burd^ ©e=
tool^nl^eit geübt, an bie gcfpaltenen ^immel nid^t
äu glauben". @r lö^t bie ®ame getoäl^ren, aber
toal^rt feine männlid^e ©eelenftärfe.
@3 giebt mand^e ©elool^nl^eiten unb mand^e
Uebungen; biefe ijl mir neu: fid^ üben, nid^t an
ben gefpaltenen ^immel gu glauben I ©ein Seruf
Verbietet eS il^m. ©onft pflegen bie ©etool^nl^eiten
burdö Ucbung ju entftel^en, in biefem einen ^all
entfielet bie Uebung burd^ ©ett)o]§n]^eit. ®r toill
on ßeffingS ^iatl^ön eine 5Probe ablegen, toie ein
294 ein 9lat^an'C^rrtätet. [12
fiunftiDer! gu ©tanbe !ommt, o^m baß fid^ ber
^immcl fpaltet; e§ foll naä^ ßeffingfd&er aSotfd^rift
aÜcS fo gefdöel^cn, ba§ e§ tttd^t anberS gefd&el^cn
lottnte: er totrb mit bem ©cbid^t öetfal^rett , tt)tc
feine ©etool^nl^eit if)n Übt unb fein SBeruf il^n ber*
pflid^tei ©el^en toir alfo, toeld^en Seruf er l^at.
^unberteinigebreiBig l^aben Ms je^t ü6cr ^iatl^an
gefd&rieben. ®er SSerfaffer toirft einen mitleibigen
aSIid Quf biefe „ßärrner", beren 3ci]^I et nur barum
um einen öcrmel^rt, toeit er etoaS ganj 9?eue§ über
baS ©ebid^t ju fagen ioetfe. 6r toiff nömlidö bie
SBelt jum erfien mal barüber oufftören, »eld&eS
SD^oteriol Cef fing gum ©toff feiner ®id&tung gebraucht
l^at. ®ieS l^abe big ie^t leiner gewußt, ßeffing
felbft nid^t, ,/"bem feine eigene ©ebanlenberbinbung
rüäfid^tlidö il^rer ©ntftel^ung nid&t mel^r erinnerlid^
mx\ (©0 toörttidö ©. 64.) ®er SBerfaffer fommt,
il^m auf bie ©prünge gu l^elfen.
Selanntüdö l^at ßeffing fetbft als bie Oueffe feiner
®id&tung eine SRoöeÖe SBoccaccioö bejeid^net, in
toeld^er ©otabin unb ber 3ube SJleld&ifebel bor*
lommen, tueld^er le^tere bem ©ultan bie ©efd&id^te
t)on ben brei klingen erjöl^li S)aju l^abe er „eine
tntereffante ©pifobe" erfunben. ®iefe ®})ifobe lann
18] 2)ie neue 2lbee beS 9latl^an. 295
nid^tS onbereS fein ote btc ©efd&id&tc bon bem
(£]^ri|ienTnäbd&ctt im ^aufc beS Sfuben, bie ein
ZtmpA^^xx erft t)or bem Seuertobe rettet, bann
Kcbgetoinnt, unb toeld^e jule^t ds ©d&toefter beS
SEempell^errtt unb Jiid^te beS ©uttanS erfannt toirb.
S)ie8 iji mä) ßeffingS eigenem 9lu§f^rud6 feine
ßrfinbung. ^an brandet fein ©id&ter toie ßeffing
ju fein, um fo ettoaS erfinben gu !önnen; bie ®e=
fd&td&te iji fo einfadö, bog man fie nid^t, toie 5Pro=
metl^euS baS ^euer, erft bom ^immel ju Idolen
braud&t, toeber t)om gefj)Qltenen nod& t)om um
gefpaltenen. §ötte ßeffing fie onberStool^er ent-
lel^nt, fo l^ätte er eS getoife nid^t Verborgen; er
toar nid&t ber SWann, fold^e ®inge gu berfd^toeigen
ober gu t)ergeffen. §err ©aro toitt entbedtt l^aben,
bQ^ ßefftng nid^t erfunben ^at, toaS erfunben gu
l^Qben er borgiebt.
3ut)or pxoUxi er feinen ©d^arffinn an ber
3bee beS 9?at]^an. 2Bq§ anbere barüber öorgebrad^t,
toQr eine „o^x- unb l^erggerreifeenbe ajlufü". 3um
erpen mal bringt er SQßol^lffang in bie ©ad&e, tt)as
um fo Qnerlennen§tt)ert]5er unb rül^renber ift, ofs
er es mit gerriffenen O&ren unb gerriffenem ^ergen
tl^ut. Slber er tl^ut eS. ßeffing fetbft l^at t)on
296 (Sin 3iaif)an'(&vmxtx. [14
feinem SRatl^an gefagt: „©enug, toettn unter taufenb
ßefern nur einer barauS an her ©bibenj unb 2111=
gemeinl^eit feiner SReligion ätDeifeln lernt".
„ßonn man nod^ fragen", fragt ^r. Karo, „toie
ßeffing baju gefommen, bie 3uben um fo t)iel l^öl^er
äu fteüen als bie S^riften?" ,®ie fjrage loft fi*
in einer überaus einfad&en logifd&en Folgerung auf.
®ie ©mbenj tl^rer Sfteligion nel^men bie Stuben
toie bie ©Triften für fid6 in 2lnf})rud&, ntd^t aber
bie 9lffgemein]^eit, toeld&e eine ganj auSfd^Iiefelid&e
^Prätenfion be§ ß^rifient^umS ift." (@. 29.) Unb
nun nimmt SRatl^an aud^ nid&t einmal bie ®t)ibenj
für feine 9tetigion in 9lnfj)rud&, benn er glaubt an
leine SQSunber: lein SQSunber atfo, ba§ er unter ben
guten 3uben ber befte ift. 2)a l^aben toir bie
©ad&e ffar. ®ie Sfuben l^alten il^re Sfteligion nid&t
für allgemein gültig, fonbern für eEcIufit)=jübif(^
unb fid6 für baS auSertt)ä]^Ite JBoIf ©otteS: eS
mu§ alfo biefer enge jübifd&e ?ParticuIari§mu§ fein,
ber in ßeffingS 9lugen bie jübifd&e 9leIigion fo
empfel^IenStoertl^ erfd^einen lä§t. „6§ ift gerabeju
unbegreiflidö", fäl^rt §r. 6aro fort, „ba§ bie Unter«
fuc^ungen über bie 3bee bes Jiatl^an nid^t biefen
3luSgang8j)un!t getoäl^lt l^aben, ber bod&, infofern
15] Sie Samiltengef(|t(|te auS IBoccaccio. 297
er t)on Cef fing felfift gegeben i|i, ber Qtterbered&tigtfie
fein bürfte." (©. 30.) ®aS nennt man Harmonie
in bie ©ad&e bringen. SQSenn aber ber fd&arffinnige
aWonn fo mit ber Sbee beS Jlatl^an nmgel^t: toie
tt)irb er erft mit ber SWaterie beS ©tüdfs berfal^ren,
bie er aU fein ^Qu})tgef(^öft anfielet?
III. |){e ^amitim^ef^i^te an^ Boccaccio.
S)iefe 3bee, meint unfer firitüer, fei nur negatit) :
„es gebe nod6 ein anberes t)ermitteInbeS ©ebanfen-
glieb, n)eldöe3 bie beiben berfd^iebenen ©lüde be§
SRatl^an ju einem ©anjen berbunben l^at". 3)iefe
beiben berfd^iebenen ©lüde nämlid& finb bie [Ring»
gefd&id^te (3bee) unb bie5amiliengefd&id^te(@:>)ifübe).
SQBie benn? 68 giebt nod& ein anbereS bermitteinbeg
©lieb? Sllfo toar bie Sbee fd&on ein öermitteinbeg
©tieb? 3fd6 benfe: fie ift ba§ eine ©tüd, weld^eg
Derfnü:>)ft tt)erben fott mit bem anbern. SQBeld&eS
ijibenn nun baS bermitteinbe ©lieb? Ss i|i nad^
§rn. ®aro bie ©pifobe. 3d& benfe: biefe ift baS
anbere ©tüdt, »eld&es t)cr!nüpft »erben fott mit
ber 3bee. ,,63 ift", fagt $r. 6'aro (benn boj)t)ett
l^ätt beffer), „baS tertium medium comparationis,
nämlidö Soccaccio!" (©. 31.) 9lu8 ber jarteften
298 €iu SRotl^an-etHftret. [16
Seforgni^ für bic große 3a]§t feiner ßeferinnen,
beren 3itttereffe e§ ntd^t angemeffen fei, bie 9lot)etten
be§ SBoccaccio feI6|i ju lefen, l^at ber SSerfaffer ein
paax biefer ©efd^id&ten toörtlidö afibruden laffen
unb boburdö feine SBWtter um einige Sogen t)er=
meiert.
®g giebt im ©ecamerone eine ßrjäl^Iung, toie
bei ber ©innol^me t)on Saenja unter ßaifer fjriebridö
ein SDläbd&en aufgefunben unb t)on fremben ^änben
erjogen toirb, toie fid& bann gtoei Jünglinge in fie
Verlieben, unb fie gule^t in einem t)on beiben il^ren
©ruber toieberfinbet : ba l^aben toir bie ßeffingfd&e
6:>)ifobe. Äaifer 5riebrid& toirb ja aud& im SRat^an
ertoöl^nt uub, toaS bie ^auptfad^e ift, toir l^aben ben
jungen 9Jtann, ber unbe!annter SQSeife feine ©d&loefter
Hebt, ©0 lommt man einem Cef fing ouf bie @:>)rünge!
Sie SSergleid^ung ift fpred&enb: „9lur ift au8 ben
beiben ßiebl^abern bei ßeffing nur ein einjiger, ber
SCempell^err, getoorben; ber nöd&tlid^e Ramp^ ift in
eine tJeuerSbrunft öerioanbett, ber S)iener ©riüeüo
unb bie 3Jlagb finb in ber (!) ^Perfon ber ©aja
jufammengejogen" (man muß fid& bie ©aja geräumig
als eine ettoaS toeitlöufige 3)ame borfletten, um
gleidö ein ganjeS ^Perfonal in fid6 aufjunel&men),
17] 2)ie Q^amUiengefd^itlte au8 S^occaccio. 299
„©uibotto unb ©uiteimo in bic eine gigur bc§
ßlofterbruberS ; SBerttabuccio ift SQ3oIf t)on t^xlmd,
unb bcr toadterc ©tabtoogt fein anberer alö ©alabin".
(©. 55.) SQSadtcrer Uritilcr, ba^ nenne id6 einem
in bie hatten feigen! SJlan gebe mir eine ©efd&id&te,
tDetd&e man toitt, nnb id^ jupfe nad& biefem SSorbilb
aÖe giguten SeffingS, toeld^e man toxU, barauS
gured&t, unb nod^ einige anbete, felbft ol^ne bie
Saja \o arg gu incommobiren.
63 giebt im ®ecamerone nod& eine anbete ®e=
fd^id^te, in toeld&er ein fteigebiget unb btaöet 9Jlann
t)otfommt, bet SRatl^an l^eißt: „aJlan laffe biefen
SRatl^an nur nod^ über Sfteligionen j)]^iIofoj)]^iren
unb nenne il^n einen 3tuben — unb man l^at
ganj unb gar ben ßeffingfd&en Jiatfean". (©.57.)
9Jtit]^ribane§ toxti jenen Jiatl^an au§ SCugenbneib
ermorben, unb biefer giebt fein Seben rul)tgen
3Jtut^c§ ^in: ,anan fe§e ftatt ßebenSja^re — © elb«
beutel ein, fo l^at man tt)ieber bie ©pifobe jtoifd^en
S«at^an unb ©alabin". (©. 58.) M ift alfo
Kar erfid&tlidö, ba§ beinal^e bie ganje gäbet beS
9?at]^an unb faft aüe Figuren au§ SSoccaccio ent=
nommen finb." (©.59.) Jiut Slll^afi ift ßeffingS
eigene Stfinbung. Unb bet ^ßattiatd^? 6t ift
StVLno f^ifd^er, Aleine ^(^ttften. 21
4
800 ein Sflatl^an-etWäret. [18
anä^ QU3 bem ©ccamcrone entnommen: „Sr ifl
nid^tS anbereS als eine S3er!ört)erun3 beS ©efammt*
gcifteS, in tr)eld&em baS Secamerone ßcfd&rieben
ifr. (©.60.)
2luf bicfe SQSeife alfo l^ot öeffing „itod ober
brei ©efd^iiä^ten Soccaccioä ju einem bramatifd&en
©ebid^t in einanber gefd^tocifet". (©. 66.) ,,®a§
n)äre tDunberbor", meint unfer ©rflärer, „o^m bafe
ein anbercr öerbinbenber ®eban!e mitgetüirlt l^ätte."
aSotl^er (©. 31) follte ja SöoccQccio „ba§ anbere
Dermittelnbe ©ebanfenglieb" fein; je^tifteS tt)ieber
nid^t SBoccQccio, fonbern — ,,ein anbetet bet*
binbenbet ©eban!e". ®§ fel^tt nod& tmmet bet
ilitt, tr)it finb nodö immet nid^t untet ©ad^;
§ett ßato fielet immet nod^ auf bet ©tta§e mit
bem ^auSfd&Iüffel in bet §anb unb tuattet, bis
ba§ ted^te ^an^ botübettanjt.
Snbtidö, ba ift eS — ba§ Sanb jtoifdöen bet
Siinggefd&id^te unb ^amiliengefd&id&te! „®ie SSet-
binbung biefet beiben ©toffe ift nut bann geted^t=
fettigt, begteiflidö, etllätüd^, tt)enn fie gefd&id&tUc^
begtünbet ift, tüenn e3 einmal einen ©tamm ge=
19] ©wift. lonne unb ©d^njcfter. 801
geben l)at, an bem biefc bjrfd&iebenartigen Srüd^te
i^f)anitn l^aben/ (8. 67.) ®a ift biefer ©tamm
— 3tonat]^Qn ©toift! 3ln ber einen ©d^ulter
l^ängt il^m bie ©attre gegen bic brei ßonfeffionen,
an bcr anbern l^ängt bie unglüdflid&c ßiebe gur
©df)tt)cfler, toeld&e §err 6aro eine „Srud&t" nennt.
©tt)ift nämlid^ l^abe gtoei SQSeiber geliebt, barunter
tnöglid&er SBeife feine ©d&tDefter, unb jugleid^ ba8
SJlärd&en t)on ber SConne gefd^rieben. ©ftl^er Sol^nfon
(^uüer) toar feine ©eliebte, öieffeid^t feine ©d^tteftcr.
Sßar fie eS, fo toar @tt)ift ber natürlid^e ©ol^n be8
©ir SQSilliam Stemple: „9lun t)om %tmpU, ber
feine @d&tt)efter gel^eiratl^et l^at, jum ZempUx, ber
feine ©d&toefter l^eiratl^en toiff, fd&eint mir bod^ !ein
gar gu großer ©ebanfenfprung gu fein". (©. 84.)
„TOit biefem Seml)Ier aber toar für ßeffing ba§
gefd&id^tlidöe ßocat gegeben, in iDeld^em er feine
©cene t)or fid& gelten laffen toottte" u. f. tt). (©. 84.)
ßlife t)on ber Siede fd&toörmte einft in atterl^anb
SBunberglauben : möglid^er SQSeife, fo meint §err
Karo, l^abe ßeffing bat)on geljört unb fie gum
Original feiner SBunberfd&ioärmerin gemad^t, bie
er besl^alb „Sted^a" nannte. (©. 89 ff.) ©o
fpringt ber SSerfaffer mit aöer SBel^enbigfeit t)on
21*
B02 Gin Slat^att'C^rfl&rer. [20
©toift auf ben ZtmpUx, t)om Z^mpUx nad^
Serufalem, t)on 9lcd&a auf 6üfc t)on bcr Slcdc
ober bielmcl^r t)on btcfer auf Sled^a, uttb tröftet
fid& batnit, baß c§ „bod& fein gar 3U großer ®e=
baufcitf^rung fei". 6r ^ai Sfied^t, too feine ©e«
banfen finb, finb aud& feine ®ebanfenfl)rünge.
©toift ^at gloei SBeiber geliebt, 3Jlettefont in
ßeffingS ©ara liebt aud& ätt)ei: alfo ift, fo fd&liefet
§err Karo gegen alle erlaubte ßogif. SDleöefont gleid&
©toift, unb ßejfing§ ©ara ift @n)ift§ ®efd6id6te;
baS ®rama i|l fein englifd&e3 ©tüd, aber ein
„@tü(f englif c6eS" (Stu*, ober toaS?). Sllfo l^at
ßeffing ©tt)ift8 ßeben unb ©efd^id^te gefannt, mit=
]§in axiä^ im ?lat^an benü^t, öielmel^r er l^at fie
t)on 9lnfang an jum braniatifd^en ©toff feinet
SRatl^an genommen, unb als er nad& fielen Salären
enblidö baS ©tüd fd^rieb, ba „l^atte er ben 6in=
fall, biefen ©toff mit bem aus SöoccaccioS 9?o=
t)effen äufammengefd&nittenen 9Jlantel umjul^öngen".
(©. 86.) Srifo toax baS „Sneinanberfc^toeigen"
biefer SRobellen ßeffingS le^ter 6infall, unb bod&
fonnte ßeffing fid^ beffelben nid&t mel^r erinnern?
3fn ber 2:i^at, biefer ©arofd^e ßeffing ift einer
ber erfinbungSärmflen, bertoorrenften, t)erge§lid6ften
^
21] ^te beiben ©ectetäre unb baS Sftd^etn. 808
SCröpfe, bic je gelebt I)a6en. ®a§ jemanb utt=
bcfannter SQSeife feine ©d^iDefter liebt, muß biefer
ßefjing erft gtüeimol gelefen l^aben, bet)or et felbft
auf bcn ©infaö lommt, ber nun feiner mel^r ift.
®q6 einer jtoei grauen liebt, ntu§ i^m ©roift
erft öormad^en, bet)or er eS in feinem 3Jlettefont
TtQd&mad&t. Unb toaS für öiellöpfige 3JlonftrQ
bringt biefer ßeffing gum 95orfd)ein! @inen SRatl^an,
ber 1. SBoccaccioS ajleld^ifebe!, 2. SoccaccioS
Jiatl^Qn, 3. SBoccQccioS ©iocomino, 4. ©tt)ift, 5.er
felbft ift; einen SCemj)eI^errn, ber 1. Soccaccio^
©ionnole, 2. SBoccaccioS SWitl^riboneS, 3. ©loift,
4. er felbft ift. ©mift ift TOettefont, $Ratl)Qn unb
ber SEem:>)eI]§err in einem, unb bagu Sletä^a aU
Sröulein t)on ber Siede!
3u guter ße^t fommt nod6 eine SSergleid&ung
jlDifd&en ©tt)ift unb ßeffing, nad^ toeld^er „©tt)ift qIs
©ecretär bei ßorb Ser!ele^ unb ßeffing als ©e=
cretör bei ©enerat SCauenjien einanber fo äl^nlid^
fein foÖen als 3tt)ei congruente ©reiedte" (!!) (©.94);
t)on ben übrigen Slel^nlid^Ieiten liegt eine im SQSirt]§§=
Iiaufe, ber ^aut)tunterfd&icb beiber ober im —
304 Gin mai^an'dxmxtt, [22
ßöc^eln! ,;®eim\ fo fc^licfet her 35crfaffcr, M^
foftbarflc unb cbelftc an ßeffiitg tüar bodö fein
ßöd&eln." 3laä^hm er bie (Sinjtd^ten ber beutfiä^en
ßitteraturgcfd^td^le burd^ biefe aSergleid&ung „ber
beiben 6ecretärc" bereid^ert ^at, tohb ^err 6aro
DieHeid^t Qud^ bic ©eometrie mit einer ^(bl^anblung
über ,;bic Slel^nlid^Ieit ber congruenten ©reiedc"
bef d&enlen !
2Bem ber Unterfd&teb jtoifd&en 2Bi§ unb 2lber=
toife nid^t gonj beutlid^ fein fofftc, ber lefc biefe
©d^rift, um ein bölIigeS Söeifpiel beS legieren ju
l^aben. 3[n ber Sffiibmung fagt er; „IRein ßeffing
befiehlt mir aöeS, tt)Q§ gefdöie^t, fo gefd^el^en ju
laffen, bog es nid^t onberS gefd&el^en fann".
®feid& barauf erflärt er ein ßeffingfd^eä ©ebid^t
fo, toie e§ unmöglid^ ju ©taube lommen lonnte.
Um aber ouf „ba§ ßöd5eln" jurüdfjufommen,
baS als baS !oftbarfte unb ebelfte an ßeffing erfd^eiut,
fo toibmen loir il^m, er ^at e§ toadter berbient, cttt)a3
t)on btm unfrigcn ; toir geben eS , fo gut lüir e§
eben l^aben.
23] IRttcfaiicI. 805
S)ie UnWtif gel^t ^anb in §anb mit her Un=
logü. Scr ßcfer toitb 6emcr!t Ijobm, ba§ bie
©d^Iiifeart; bie bcn SSerfaffcr ber „©tubic": „Öeffing
unb ©tt)ift" gu einer fold&en TOenge l^anböteiftidöer
9l6furbitäten geführt l^at, jener grö6ften 9lrt ber
fjel^lfd^lüffe Qngel)5rt, meldte bie ßogil t)on ic^er
al§ fold^e er!annt unb t)erurt]^eitt l^at. @ie l^at
eS t)er})5nt, aus ber ©emeinfamfeit getolffer äu=
fälliger SJlerlmale ober ^Präbicate auf benSufammem
l^ang ober bie ©inl^eit ber ©ubjecte ju fd&Iiefeen.
©d&on 9lriftoteIeS l^ot geleiert, baß ber j)ofitit)e
©d^luß in ber jtoeiten Sigur, toie bie ©d&ulfprad^e
fie nennt, unt)ernünftig fei. 9)hn barf nid^t mit
ben brei SEaugenid^tfen in ben S^Uegenben Slättern
fd&liefeen: „Slffer guten ®inge finb brei, toir finb
unfcr brei, qI[o finb toir gute S)inge". 3d6
^06 ein ßeTflna-anfläflcr. [24
l^abe beSl^alb in meiner Siebe über „©l^afefpeare
iinb bic ^acox\=3Jl\)i^e\V' biefen ©d^tufe ,,ben ber brei
SEaugenid&tfc" genannt. S(ut bent SBe^e einer fold^en
©d^lu^art ^at man e§ unternommen, ©l^afefpeare
in Sacon ju öertüonbeln. ^
Sluf eben bemfetben Sffiege ^at ber geifireid&e
aSerfaffer ber genannten „@tubie" ßef fingS ©rfinbung
ber fjabel ju feinem SRatl^an auf ©toift jurtidtge=
fül^rt. @r l^at ju biefem ÄunftftüdE folgenbe
©d^Iüffe gebraucht: ,;®tt)ift liebte gtoei fjrauen,
3Jlettcfont liebt aud^ gmei fjrauen, alfo l^at ßeffing
in feinem SüleÖefont ben ©roift t)or 9lugen gel^abt" ;
^,©tt)ift liebte feine ©d^toefter, ber Siempell^err im
Slat^an tiebt aud^ feine ©d&toefter, alfo l^at ßeffing
in feinem SCempell^errn ben ©toift bor Slugen ge=
l^abt". Sie Flamen 9ledfe unb Sted^a l^aben eine
gett)iffe gufättige ßautäl^nlid^Ieit. „Slife bon ber
Siede toar eine SQßunberfd&märmerin, bie 2od&ter
Jlatl^anS ift aud& eine S33unberfdE)tt)ärmerin; barum
S^at ßeffing bie Sod^ter Jiatl^anS 9led6a genannt"
u. f. f. Ob biefe S3e]§auj)tungen mit einer größeren
ober geringeren ©eloiß^eit auSgefprod^cn tüerben,
©^Qfefpearc unb bie )öacon=5m^ti|em 8. 39—42.
25] {Rüdftlid. 307
tl^ut nid^is 3ur ©od&e unb t)erminbert nid^t cttüa
bcn Unfinn, bcr in bcr Slntüenbung einer abfurben
©d^lufeart liegt. 3ene brei Slaud&enid^tfe fd^liefeen
nid^t weniger abfurb, njenn fie fagen: ,,S33ir finb
öielleidöt gute 3)inge".
9luf biefer ß^auffee beS Unberftanbe^ toirb eS
nun linberleid^t, bem großen Seffing nid&t bloS
bie ©rfinbung ber gabel ju feinem Sftatl^an, fonbern
alle ©rfinbung, aße Originalität, alle eigenen ®c=
ban!en abjuft)red6en, unb feine fömmtlid^en S33er!e
in lauter Snttel^nungen gu tjertoanbeln.
35er fd^arfblidtenbe SSerfaffcr ber ,,©tubie" l&atte
nur t)on ber ©rfinbung ber gabel gum SRatl^an ge=
rebet unb fd^onenb bemerft, bafe fid) ßeffing il^rer
©ntftel^ung nid&t mel^r erinnert l^abe. 6S ift aber
tt)ir!lid& tt)eit lei(^ter ju glauben, ba^ ßeffing eine
fold^e ßntfel^nung tjerfd&toiegen, als bafe er fie t)cr=
geffen l^abe.
SBenn fid^ nun ber Unöerftanb mit ber ge=
prigen 35reiftig!eit auSrüftet, fo toirb e§ nid^t
fd6tt)er fallen, fämntttid^e SQ5er!e SeffingS in lauter
t)erfd&tt)iegene ©ntlel^nungen ober ^Plagiate gu
öertoanbeln unb baburd^ l^offentlit^ ein famofeS
©enfationSgefd^äft gu mad^en.
308 d^in Sefnna'SrnflägeT. [26
II. per JlnftUger.
3)ic8 ip in bcr %^ai t)ctfud&t toorbcn, ntd^t in
einet ©tubie, fonbcrn in einem SBer!e, toeld^eS onf
jel^n SSänbe bered&net toax, jcber SSonb ju brei
§eften, jebeg §eft gu jel^n Sogen: alfo in einem
SQßerle t)on breiig unbert Sogen, toie bie 3ln=
fünbigung tautet. SDer Slitel l^eifet «Leszings
Plagiate», unb ber SSerfaffer, ber gugleid^ fein
eigener äJerteger ift, «Paul Albrecht, Dr.
med. et phil., Königlich Preußischer Professor»,
mhlüä) ift ba§ SBerl in ben Sfo^ren 1890/91
Bis jum erften ^efte beS fed^ften Sanbeg erf(^ienen
nnb in einem Umfange bon 2494 Seiten au§ge=
fül^rt toorben. 3)a§ nöd&fte ^eft foßte „erft nad6
©enefung be§ SSerfafferS öon fd6tt)erer 6r!ran!ung"
erfd^einen nnb ift tool^I auS ben trifiigficn ©rünben
nie l^etauggefommen.
3)er aSerfaffet njoüte nad^toeifen, bafe ßeffing
nid&tg anbereS getoefen fei al§ „ein t)erfd6mi^ter
5piagiariuS", ein „litterarifd^er ©aubieb'S unb
ätt)ar in aßen feinen SQßerlen: feinen ©inngebid^ten,
Oben, gabeln, ßtjäl^Iungen, Fragmenten, 3)ramcn
u. f. f. 3lIIe§ bar in ©efällige fei „frembl^irnigeS
5ptagiat"; aud& SWinna tjon SSarnl^elm fei lein
27] S)ie aSetoeife. 309
„fcinbeutfd^cS, fonbern ein fd^einbeutfci^cS, au8=
lönbift^eS ®cbilbc\
S3on einer ßinl^eit ber ^onblung in ben SDramen
ßejfingg ifl bem SSerfaffer nid^ts be!annt, er fielet
barin nur gafornmengetefene O^e^en unb loitt bar=
tl^un: bafe 3KinnQ bon Sarnl^elm aus 319,
ßmilia ©alotti aM 499, SRat^an ber SBeife auS
340 fold^er „aneinanbergereil^ter S^e^en" befleiße.
III. pie ^meife.
3[n SUlinna t)on Söarnl^elm (I, 2) fagt Siuft jum
SQßirt^: ,^err 2öirt^, gr ifi boc^ ein ©robian!''
©alileo ©alilei l^at gefagt: «E pur si movel»
(fott l^eifeen muove). „®iefer SluSf^jrudö", \o bc=
merft ber Slnttäger, ,,ift fraglos ju CeffingS Seiten
allgemein befannt getoefen." ^ier ifi ÖefftngS
Pagiat: 3ufi fagt bom ©afttoirtl^: „6r ift bo(§
ein ©robian!" ©atitei öon ber @rbe: „Unb fie
betoegt fic^ bod^!" 33eibe fagen „bod^". 3ltfo mu^
Cef fing feinen 3[uft öon ©alilei enttel^nt l^oben:
Pagiat 3lx. 595, ©. 1374/75.
3uft ftam<)ft mit bem fyufee, Dboarbo in
©milia ©alotti ftam))ft aud^: jtoei $piagiate aus
«The Baket-table», in toeld&em ©tüdfe SSudfle
310 Gin Seffing'^nnäger. [28
mit bem fjufee \iamp\t: ^Plagiat 3lx, 606, ©.
1390/91.
Sfn 3KinnQ t)on Sarnl^elm (1,4) l^eifet cS: „3ufi,
bcr mit bem Sufec ftam))ft unb bem SBirtl^ nad&=
fl)udtt:5Pfui!'' 3n @^Ief))eare§ JRic^atb m. (1,2)
fpudtt STnna mä) ©lofter (she spitteth at him);
dl\o toax Slnna baS Original unb 3uft il^r Slbbilb :
^Plagiat S«r. 607, @. 1390/91.
Sfn 3Kinna bon Sarnl^etm fogt Slelll^eim: „über=
morgen gel^e id& öon l^ier". 3n «The constant
couple» fagt ber ßolonel ©tanbarb: «and away
for Hungary to-morrowl» ^ßtogiat SRr. 838,
©. 1766/67.
3[n 3Kinna t)on Söarnl^elm l^cifet e§ t)om SQ5a(i^t=
meifter SQßerner: „er toirft il^m gornig ben 33eutel
bor bie fjüfee". Unb in «La Locandiera» t)om
ßatjoliere 9li))afrattQ : „er toirft bie SSafe auf
bie @rbe unb gel^t toütl^enb ab". Seibe finb gornig,
beibe toerfen ettt)aS auf bie 6rbe: alfo Plagiat 3lx.
860, @. 1798/99.
SBeilöufig gefagt, fiubct [lif in SJlinna t)on
SSarnl^elm nirgenbs eine ©cene bcr befdiriebenen
2lrt, bie nur in HI, 7 bor!ommen !önnte, toenn fie
über]^au))t benfbar tt)äre. Slber jeber, ber baS
29] 3)ie aSetoeife. 311
©tüd unb feine ßl^araftere nur eintgermQfecn fennt,
tüeife gur ©enüge, ba§ ber S33ad&tmeifter SBcrncr
ftd^ nie untcrfte^en toirb, bem SDlajor bon SEeK=
l^eim ben Seutcl bor bie güfee gu toerfen.
3)er 3ln!täger i)ai alfo eine ©cene gefälfd^t,
um fie für baS 3lQ#iIb einer anberen gu erHören,
mit toeld^er fie, ani^ toenn fie nid^t gefälfd^t tüäre,
bod^ im SBefentli(^en nid^t ba3 SDiinbefte gemein
^ätte.
3n 9Jlinna bon Söarnl^erm (n,2) fagt ber SBirtl^
im $inHt(i auf S^rongiSfa: ,,Sreiti(i& fann man
bon einem jungen SJläbd&en nid^t Verlangen, baß
es eine ernfi^ofte ©ad^e mit ernftl^aften
ßeuten ernftl^aft troctire". ©reimat baffelbe SQßort
toieberl^olt. SQßem ^at ßefftng biefe JRebepgur ai-
gegudft? Sin befannteS SBort fagt: «Sunt pueri
pueri, pueri puerilia tractant». 5PauluS im erften
SBriefe on bie ßorintl^er fogt (XIII, 2): „S)a id& ein
Äinb toar, rebete id^ tt)ie ein ßinb unb toar flug tt)ie
ein Äinb, unb l^atte finbifd^e 3lnfd^Iäge" u. f. f.
3llfo ber 5l))ofiet 5PquIu8 ifi ba§ Original unb ber
SBirtl^ in 9Jlinna t)on Sarnl^elm ber 3lbflatf(^.
SQßer l^ätte ha^ gebadet! Pagiat 3lx. 691, ©.
1518/19.
312 ein fiefflnfl-annäaer. [30
@§ ift genug! ®cr Slnflögcr ßeffttigS bor ber
SRad&tüclt l^at mit feinem SSetoei^üerfalö^en in§ge=
fammt nid&ls anbetet t)ermod&t, als ben ,,@d&Iu6
ber brei SLougenid^tfe" gu t)ariiren, unb in feiner
elenben SLl^erfiteSroffe ftd& umfonft bcmül^t, bie
3lufmer!fQm!eit, gefd^toeige bQ§ Url^eil ber SRod^toett
ju gewinnen. 6r l^at getegenllidö aud^ feine
©(i^im))fereien tt)iber®oet]&enQu8getQffen(©. 674),
unb e§ tt)äre ju bertt)unbern, toenn er nid^t aud^
©]^Q!ef))eare beiläufig gu enttl^ronen Derfud^t
l^ätte. 6§ gefd^iel^t onmerfungSiDeife ©. 1392:
„Unter @^a!ef))eare berftel^e i(^ ben ober bie SSer-
foffer eine§ unter bem SRamen @]ÖQ!efl)eQre gefül^rten
©tüÄeS. SRadö meiner 3lnfi(^t tt)ar ©^Qfef))eQrc
nid&t§ onbereS als ber t)erQnttt)ort(id6e, ber «@i^»=
JftcbQcteur einiger ^ofcaöaliere, tt)el(^e bie unter
bem SRamen @]^afef))eare gefül^rtenStüdte berfafeten".
31] S)er gfinbring. 813
I. per SfinbCitig.
®a bic SQßelt biefcn gouft nie mirHid^ gefd^en
]&Qt, fo ift er nid^t toiebererfd^iencn, fonbern er ift
ba — ein paax Saläre öor ÖeffingS l^unbertial^riaer
StobeSfeier! @r toar nid^t tobt, nur tobtgeglaubt,
burgertid^ tobt, im tiefften ^ncognito begraben,
Qlfo fein 3leöenant, fonbern ein SSerfd^ottener, ein
fjinbling! SQßadere SDlönner l^oBen ben tpfab nad^
ber ©teile, tt)o er lag, au8gef))ürt, einer fjat fie
gefunben.
3iod& beöor id& baS fettfame $p]^änomen näl^er
in 3lugenfd^ein nel&men lonnte, bin id& einige ntal
t)on S5e!annten mit ber 9lnrcbe überraf d&t toorben :
„SBiffen ©ie fd^on, ba§ ßeffingS gauft entbedtt
ift?" gs ift ber gfauft „o^ne alle Teufelei".
2)er gute 6ngel im ©tütf, ber beu fjauft rettet,
' eebtudt in .IRorb unb ©üb* (1877). ©. 262-283.
314 Gin rittetarifd^eT (^tnbling atS SeffinfiS (^auft. [32
Reifet Stl^uticl, unb her gute ßnget, bcr boS ©ttti
fcl6ft gerettet l^at, l^eifet ßarl. ^ter tft ber %xUl:
,;3fo]^ann Sauft, ©in attegotifd^eS S)rama in
fünf Slufjügen (gebrudt 1775, ol^nc 9lngabe be§
aSerfafferS). anutl^mafelid^ nad^ ®. 6. ßeffing§
öertorenem a}ianufcrt))t, herausgegeben t)on
Äarl gnget. DIbenburg 1877/'
Sfdö l^abe botbem fd^on mand^erlei S:äuf(^ungen
erlebt, bie man mit ßeffing getrieben, unb bin
ettt)a§ borfid^tig gett)orben. Untoißlürlid^ lommt
mir bie ßrinnerung an eine ©d^rift, bereu 35er=
faffer gleidö im Eingänge erüärte, e8 gebe ein
SLeftament ßeffingS, tooxxn ber berborgenfte unb
tieffte ©ebanfe be§ JDtanneS niebergelegt fei, ber
eigentlid&e Äern feiner SBeltanfd&auung, nur bem
ßingetoeil^ten erfennbar, bon il^m, bem @ingett)ei^=
teften, jum erften male erfannt; er aber berl^alte
fid& aud& gu ßeffing, toie ber ©ol&n gum SSater,
tt)ie ber SSufenfol^n, ber ben SSater am tiefften
lenne, er l^abe beffen ^interlaffenfd^aft burd^f^jöl^t,
ungebulbig, baS 3)ocument gu finben, baS ber
SSater in ber Slbfid^t aufgefegt, ba% biefer ©ol^n
es entbedfen unb ber 2Belt auffd^tiefeen foKe. SJleine
ßrioartungen toaren auf bag §od^fte gefpannt.
88] 3)er gfinbling. 815
3ucrft mußte xä^ btc ganjc ßebenSacfd&td^te ßeffittgg
nad& ©anjcl unb ©ul^tQuer ))afftrcn; je toeiter id^
las, um fo größer tourbe meine Ungebulb, unb
id6 rief, tt)ie baS römifd&e S3ol! Bei ber 9lntoniu8-
rebe, einmal über baS anbremal: „baS SEeftament!
bag SEeftament!" 6nbtid& lam eS, ber Sufem
fol^n jog c§ aus ber Srufttafd^e, eS toar — bie
ßrjiel^ung beS 3Kenfd&engef(^ted&tS mit il^ren ©ö^en
t)on ber ©eelentoanberung : eine 3bee, bie j[eber
ßefer beS großen 3KanneS lennt unb jeber Äenner
ßeffingS an il^ren Ort gu fieKen toeiß. @in anberer
biefer ßieblingSföl^ne, bie gu fagen <)flegen „mein
ßeffing" — eS giebt beren toeit mel^r als brei — ,
l^atte bem Sftatl^an fein tieffteS ©el^eimniß abge*
laufd&t unb entbedt, baß ßefpng in biefem ©tüdC
©ttjifts ßiebeSgefd^id^te bramatifirt l^aBe^
©eitbem gel^e id6 ben ßieblingSföl^nen gern
aus bem äBege*
Unter biefe ßeutd^en ret^ne ic^ nun feineStoegS
obigen Snget, ber bielmel^r bie gute 3lbfi(^t gel^abt,
ßeffingS tjerlorenen ©ol^n ins 3?ater]^auS gurüdf^
gufül^ren, unb nur bie ]^offnungSt)olIe 3Kut]^maßung
l^egt, ber bon il^m gefunbene Sauft fei ber t)on
1 ©ie^e oben ©. 22.
Stuno (^ifd^er, kleine ©d^tiften. 22
316 ^n ntterarifd^er fjfinbring arg SeffinflS (^auft. [34
Öcffing t)criorene. ^ebenfalls gebüfirt il^m baö
aScrbicnft, mit t)tclcr SDlül^e ein bisl&cr unbelannteS
©tüdt bcr bramatifd^cn gaufWittcratur ang SCageS^
lid&t flebrad^t ju l^abcn. ^rcilic^ maä^i bic SDlül^c
bcS SinbctS nod& nid&t ben SOßcrtl^ beS gunbcS.
3e^t l^onbclt eS fid^ um bie Slncrfcnnung. SDic
grage l^eifet: ed^t ober unecht? 3luf tocld&c S3or=
auSfe^imgcn geftü^t, toagt man bcn ©d&Iu& ober
aud& nur bie SSermutl&ung, baS ©tütf !önne bon
ober Qud& nur nad& ßeffing gebid^tet, b. 1^. auS
einer ßenntniß feiner bofljiänbigen fjaufttragöbie
gefd^öt)ft fein? Unb toenn bie äußeren ©rttnbe
l^altbar finb, tt)ie fielet eS mit ben inneren ? SErögt
ha^ ©tüdt bie Bpnx einer SSertoanbtfd&aft mit
ÖeffingS ©eift?
SQßir lefen in getoiffen 3ßitfd^riften fd^on 3U=
flimmenbe Urtl^eile mit ber (SrlWrung, baS ©tüdC
fei be^l^atb anonym erfdijienen, toeil boS 3Jlan\X'
fcript geftol^Ien unb bann tfteiltoeife t)erdnbert
loorben. 3Kan ift, toie id^ fel^e, im beften 3uge,
ßeffingS SSaterfd^aft anjuerfennen unb für bie @r-
l^attung biefeS w^obann Sauft", ber in bemfelben
Saläre ausgefegt würbe als ßeffingS ed&ter ©ol^n,
tt)ie eS l^eifet, Verloren ging, il^n bie ßoften jal^Ien
35] SeffinfiS ^a\i\t. 317
ju laffen. SOßorum nid&t? 3ur Slbtocd^fclung fott
auc^ in unferer Öittcratur einmal bcr fjinbling
btn {Jürfienfol^n fpicten!
^lad^bcm bic bcutfd^e ^auftfagc eine lange
JReil^e litterarifd^et 9Jletamor))]^ofen burti^taufett unb
im ©eifte ÖeffingS eine möd^tige Umgeftattung unb
©rl^öl^ung angefirebt ^ai, ift biefer ßefftngfd^e, unS
nur in ber 9lnlage 6e!annte fjauft fetbft geitig
genug ©egcnftanb einer ©agenbitbung geworben,
aus beren SBoße <)lö^lid& ber anonyme fjinbling
„Sol^ann Sauft" l^erbortritt. 3m ©otl^afi^en
Sil^eaterlalenber Don 1779, ben ^teid^arb ]^erau8=
gab, tt)irb ba^ ©tütf angeffll^rt, eS ift in SJlünd^en
1775 erfc^ienen, au^erbem bringt ber ßalenber in
bem ?Perfona(t)ergeid^ni6 einer toanbernben ©d^aus
f))ielertru))pe bie merlmürbigc SRotig: „^err SBaIb=
l^err l^abe mit 3Ke))]öifto})]^ele§ in ßeffingS Sol^ann
gfaufi bebutirt\
II. <^effltig$ ^aufl.
SQßaS toeife man Don ßeffingS ^aufl? @S ift
nötl^ig, biefe Srage fo ju beantworten, bafe bie be=
treffenben S^ugniffe nid^t, tt)ie ju gefc^el^en pflegt,
burdö einanber gemengt, fonbern mit ber gel^örigen
Iritifd^en Jftttdffic^t gefid^tet unb georbnet werben.
22*
318 «in ritterarifdöcr gfinbring aI8 2efnug8 gfouft [36
Sfn crfier SRcil^c [teilen ßcfftngS eigene Sleufee^
tungen; bte Seugntffe jtoetter JReil^e finb in Sriefen
an ßeffing ju fu(^en, fofcrn bicfclben feinen 3^auft
berttl^ren; in britter ^Reil^e lominen bie fpfttercn
SSerid^te.
1. 35on ßeffingS öffentlid&en ©d^riften l^at nur
eine ben ^auft jüm ©egenftanb unb entl^ött in-
gleidö ba§ eingige t)on il^m beröffenttid^te 3rag=
ntent einer gauftbid^tung : ber berül^mte fiebgel^nte
ßitteraturbrief bom 16. g^ebruar 1759. @r bringt
bie ÄriegSerHörung gegen ©ottfd&eb unb ben fran=
jöfifd&en ©efd^matf qIS Sül^rer unfereS nationalen
®ramag, bie ^intoeifung auf S^afefpeare unb bie
©ried&en a(8 unfere ed^ten unb geijieSDertDanbten
SSorbilber. „3)a6 aber unfere alten ©tütfe tohh
lidö fel^r t)iel (Sngtifd&eS gel^abt l^aben, lönnte id&
3f]^nen mit geringer 3Kü]&e toeittöuftig bett)eifen.
3iur baS be!anntefie berfetben gu nennen, S)octor
Sauft, l^at eine SÄenge ©cenen, bie nur ein
@^a!efpearefd&eS ©enie ju beulen bermögenb ge=
mefen. Unb toie öertiebt toar S)eutfd&Ianb unb ift
eS jum Sll^eil nod^ in feinen 35octor g^auft ! 6iner
bon meinen ^reunben bemal^rt einen alten @nt=
tourf biefeS SErauerfpielS, unb er l^at mir einen
87] CeffingS fjfauft 819
Stuftritt barau§ tnitget^eilt, in tDcI(^em getoiB uk=
gemein biet ©rofeeg liegt, ©inb ©ie begierig,
i^n ju lefen? ^ier ift er. ^auft t)erlangt ben
fd&nettftcn ®eift ber ^öffe ju feiner Söebienung.
6r mad^t feine SBefd^mörungen; eS erfd^einen ber«
felben ftcben, unb nun fängt bie britte ©cene beg
jweiten 3lufjug0 an. — SQßaS fogen ©ie gu biefcr
©cene? ©ie tt)ünfd&en ein beutfd^eS ©tüd, baS
lauter fold&e ©cenen l^ätte? 2idö an6)V'
®a8 3Kotit) ber ©cene, bie SBal^l beS ge =
f(i^n)inbeften ber ^öllengeifter, ift alt unb in ber
SKaguSfage begrünbet, bie bramatifc^e SluSfül&rung
finbet fid& fd&on in bem beutfd^en a5olf§fd&auf))iel
5aufi, unb man fann fie im 51}u))))enft)iel nad&lefen.
ßeffing l^at feine ©cene bem a5olf8|döauf))iel nad^»
gebilbet unb nennt fie einen ,,alten ßnttourf", toar
es il^m bod^ um bie SBieberbetebung beS t)ol!$tl)üm=
lid&en 3)rama8 gu tl^un. S)ennod6 atl^met bie
©cene in ©ebanfe unb ©prad^e ben unnad^al^m»
lid&en ßeffingfd^en ©eift, unb eS ift unbegreiflid^,
tt)ie man l^eutgutagc biefe ©cene für ein ©itat
l^alten fann. 2luf bie {Jrage: ,;Unb toelt^er t)on
eud6 ift ber ©d^nefffte?" antworten bie ©elfter alle:
,®er Bin id^!" „©in Sffiunber!" ruft fjauft, „bafe
820 $in litterarifd^cT f]finbling a(B SeffiiigS f^fauft. [38
unter fieben Sieufeln nur fed&S Sügncr finb. 3(i&
ntu§ eudö näl^er !ennen lernen." Sm aSoßSfd^au»
fpiel ift ber gefd&toinbefte SCeufel fo fd&nctt als ber
©ebonfe beS 3Jtenfd&en; bem ßeffingfd&en gauft ift
er au tangfam. ©(^netter ifl bie 3la(^e be§ JRöd^erg,
beS ©etoaltigen, ber ftd^ allein bie JRad^e Dorbe=
l^ielt. „SCeufel, bu löfterfi — fd^nett ttöre feine
SRac^e? fc^nett? Unb xi^ lebe noc^? Unb i(§ fttm
bige nod&?" Unb tt)a§ antwortet ber ©eift? ,,®a6
er bi(ft nod& fünbigen laßt, ijifd^on SRad^e!"
3d& foßte meinen, in biefem SBorte müfete ein
Siauber ßeffing reben l^ören, nur il^n. ®er
fiebente ©eift ift fo fd&neß, als ber Uebergang t)om
©Uten jum Söfen! „^al S)u bift mein Steufel!
@o fc^nett als ber Uebergang t)om ©uten jum
»Öfen! 3a, ber ift f(^nett; Wneßer ift nichts ats
ber! 3(36 l^abe eS erfal^ren, tüie fd&nett er ift, id^
l^abe es erfal^ren!" 3d6 möd^te toiffen, toer unter
ßeffings S^reunben ber SJlann toar, ber f o ju beulen
unb ju fd& reiben t)erfianb?
2. 3tuS ßeffings JUad^Iafe fennen mir ben 6nt=
tourf beS 95orf<)ielS unb bie ©fiaje ber bier erften
3tuftritte. 3n einem alten 2)om, um 3Kitternad)t,
l^ätt Seefjebub eine SSerfammtung l^öttifc^er ©eifler.
89] Seffinag fjfau{l. 82t
in ber t)erber6It(iöc SLl^aten bcrid^tct unb 9cl)lant
loerbcn. ®er fd^laucfte bcr SCeufcI l^at einen
^eiligen t)erfü]&rt nnb rül^mt ftd&, im Saufe eines
SiQjieS autft ben gauft inS SScrberben ju ftürjen,
t)on bent e§ l^eifet, er fei nid^t fo leicht ju ber=
fül^ren. S)as Unmafe feiner SBifebegierbe fott
il^n ftürjen. Sn ber erften @cene erfd^eint Sauft
in })l^ilofo))]^ifd&e 3tt)eifel vertieft, gu beren ßöfung
er bon Wienern ben ©eift beS 3lriftotele§ befd^tobrt.
©ieSmal gelingt bie SBefd&toörung. 3n ber jtoeiten
@cene erfd^eint in ber ©eftatt be§ 3triftotete8 jener
SCeufet, ber e§ unternommen l^at, ben gauft ju
t)erfü]&ren. SRad^bcm er i^m bie fpi^igften fragen
Beantwortet l&at, berfd6tt)inbet ber ©eift. 3n ber
brittcn ©cenc folgt eine neue Sefd&tt)örung, auf
bie in ber vierten ein neuer S)ämon erfd&eint.
3)ie8 ift 3lffeg, toaS tt)ir au§ SeffingS O^auft
burd^ ben 3)id&ter felbft miffen.
3. ®aju lommt über ben gauft eine fel^r mer!=
toürbige SRotig in ben nadfegelaffenen „ßollectaneen
jur ßitteratur". Unter ber Ueberfd)rift ,,Dr. g^auft
3u meiner Siragöbic über biefen ©toff" tt)irb eine
©teile aus ©iogeneS bon Saerte, ein 3lu8|pru(^
bes Slamerlan unb eine ©cene auS einem eng=
822 ein rttteraxtf(|et gfinbring aU SefflngS ilfauft [40
Kfd&cn SBetf über Uniöerfalgcfd&td^te angcfül^rt. §tcr
iDirb baS SJcrbcrben, baS butd& einen faracenifd&en
Surften über bie ©tabt ^ergamuS fommt, als ein
göttUifteS ©trafgerid&t für beren grcöel gefc^ilbert.
8lud& Samerlan l^abe feine ©raufamfeit bamit
cntfd^ulbigt, bafe er als ©eifeel ©otteg auf 6rben
trf(ftienen. Unb Don bem ß^nifer SJtenebemuS
erjäl^tt SJiogeneS, er fei in einer ^urienmaSfe
l^erumgejogen, mit bem SBorgeben, er fomme aus
ber ^öße, um auf bie ©ünber 3ld&t gu ^aUn unb
ben ©eiftcrn bafelbft Jlad^rid&t ju bringen. C^ierju
bemerlt Cef fing: „ffiiejeä fann öieüfeid^t bienen,
ben ©l^arafter beS SJerfttl^rerS in meinem jtoeiten
fjauft toal^rfd^einUdö ju machen, desgleichen toaS
5EamerIan jur Sntfd&ulbigung feiner ©raufamfeit
-gefagt ^aUn fott" u. f. f.
S)iefe9lotii bejeugt, bafe ßeffing einen „anleiten
^Jauft'' im ©inne l^atte, worin ber SJerfül^rer (ben
5Ramen 9Jtep]^iftol)]^ele§ finben n^ir t)on ßeffing
nic^t genannt) anberS gefaxt toar als im erften.
Ob biefer jtoeite fjauft, als bie obige SRotij ge=
Ji^rieben tourbe, auSgefül^rt toar ober nid&t, ba=
ruber geben bie ©oßectaneen leine SluSfunft. 3[d&
l^alte bafür, ba^ er nic^t auSgefül^rt toar, fonbern
41] SefflngS ^auft 828
crft conctt)irt ober cntiüorfen. ^ottc ßcffing einen
feiner S^araftere ouSgefül^rt, fo glaube id& nidöt,
ba^ in feinen Slugen irgenb ein ©itat baju bienen
fonnte, biefen ß^arofter „n3Q]&rfd&einUd& ju mad^en".
SBol^l aber mod&ten fie jur StuSfül^rung einen
fold&en Sicnft Iciften. 3lu8 bcn obigen ©teilen
lenktet fo öiel ein, bafe ßeffing ben SJerfül^rer im
Sauft als ein aBerljeug ©otteS gefaxt l^aben
loottte, in einer Stoße, loie fie ber tl^catralifd&e
aJlenebemud fid& anmaßt unb ber bämonifd&e Za-
merlan fie auSfül^rt. @r ftreift fd&on an bie 95or=
fteßung, bie baS S)iaboIif$e umfe^t in bie jer«»
ftbrenbe ©etoalt einer bämonif^en 3Äenfd&ennatur.
S)iefe Raffung ift ni$t mel^r im ©eift ber alten
Sage. SBenn fie nad& ßeffingS SBorten feinen
„jtoeiten ^auft" d^aralterifircn fottte, fo fd^Iiefeen
loir, ba^ thzn barin ber jtoeite fjauft fic^ öom
erften unterfd^ieb, unb alfo biefer ber ©age näl^er
ftanb als jener. SWerfwürbig genug, ba| aud^ in
ber ©oetl^efd&en 3)id&tung unterfc^ieben »erben mu&
jtoifd&en einem erften unb jtoeiten ^auft, bie nid&t
gleid&jufe^en finb bem erften unb jroeiten SEl^eiL
Sie ßottectaneen fd^rieb ßeffing in ben Salären
Dom ®nbe ber SBreSlauer bi3 in bie Stnfönge ber
824 C^in Iitteratif(|er [Ifinbling aI3 SeffingS ^auft, [42
SBoIfcnbütttcr 3ßit, fte fallen il^rem größten Um^
fange nad& in bie Hamburger ^ertobe,
4. 3n ßeffingS SBriefen finben fid& jlüei, bte
fel^r bemerIenStt)ertl^e Sleufeerungen über ben JJauft
entl^alten. S)er erfte, aus ber gifldtttd&ften unb
frud&tbatften Seit feines Setliner Slufentl^alteS,
faßt bid^t t)or bie ßitteratutbtiefe, ber jtoeite bid&t
Dor bie J^amburger Dramaturgie.
er fd^reibt ben 8. 3uli 1758 an ©(eint: ,©ic
l^aben e§ erratl^cn, ^err 9ftamler unb id^ mad&en
^ßrojecte über ^ßrojecte. SBarten @ie nur nod& ein
aSierteljal^rlÖunbert, unb ©ie follen erjiaunen, toa^
tt)ir alles toerben gcfd&rieben l^aben! SBefonberS idfe!
3d& fd&reibe SEag unb 3laä^t, unb mein Heinfler
aSorfa^ ift jc^t, toenigftenS nod& breimal fo öiel
©dfeaufpiele ju mad^en als ßope be SBega. Sl^eftenS
werbe id& meinen 3)octor ^auft l^ier fpielen laffen.
kommen ©ie bod& gcfd^iüinb lieber nad& Serlin,
bamit @ie il&n feigen fönnen!"
2QBir finben in biefen Seiten ben 3luSbrudE
einer freubig i)robuctit)en Stimmung, toorin bie
SluSfül^rung geiüiffer SBerle bcm 3)id&ter naiver er=
fd&eint, als fie ift. ©auj äl^ntid^ ftanb eS fünfjel^n
Saläre fpäter mit bem ©oetl^efd^en Sauft. 3d&
43] SefnngS l^auft. 325
fütd&te, ©leim toätc bamals umfonft nai) SBcxItn
gcfominen. 9Iu(Ä ift ber ganjc Ston in ßeffingS
©d^reibcn iiiel^r fd^crjcnb als ernftl^aft.
3tt bcr SRad&fd^rtft eines SBtiefeS an feinen
93tuber, batirt ^^amburg, ben 21. @ei)tember 1767,
l^eilt eS: „3d& bin SBillenS, meinen Dr. gauft
no$ biefen SBinter l^ier fpielen ju laffen. SBenig^
ftenS arbeite tcö aus allen Ätäften baran. S)a i(ft
aber ju biefer 9Irbeit bte clavicula Salomonis
braud&e, bte id& mid& erinnere ^errn 5(. gefleben
JU l^aben, um fie gelegentlid^ ju t)erfaufen, fo
mad&e il^nt mein 6omi)Iiment, mit bem Srfud&en,
fie bei bem erften ^PadEet, baS er an einen l^iefigen
SBud^l^änbler fenbet, mitjufd&iden."
6s ift nid^t anjunel^men, ba| er neun Saläre
öorl^er öottcnbet l^atte, tooran er jc^t aus allen
Äröftcn arbeitet. Unb tt)äre einer ber bciben fjaufie
fertig getoefen: toarum l^ätte er biefen nid^t im
SBinter öon 1767/68 in J^amburg follen auffül^ren
taffen? 3(ä& fd&Ueße, ba^ in bem Scitraum t)on
1758 — 1767 jtoei fjaufle iprojedirt toaren, aber
leiner öottenbet.
5. Siefer S^itraum unfertiger ^auftbid^tung
bel^nt fid^ nod^ toeiter aus, tt)ie aus getoiffcn
826 (»n litterarifti^er [(inbling aU SeffingS Sfaufi. [44
JBriefcn an ßcffmg crl^cllt. 3& nenne aÄenbel8=
fol^n« Srief aus bem Saläre 1755 unb einige
Sriefe 66ertS in SBraunfi^roeig au8 ben Qal^ren
1768-1770.
SDflenbetsfol&n fd^reibt ben 19. 5Rot)ember 1755
nid^t ben 19. 5DiQrj (ein ©d^reib» ober S)rudffel§Ier
bei ©anjel, ber qu§ feinem 2QBerf ju ben SRod&s
fd^reibern übergegangen ift): „SQSo jtnb @ie, Uebfter
Cef fing, mit Sl^rem bürgerlid^en SErauerflpiel? 3d^
möd&te es nid&t gern bei bem 9?amen nennen, benn
id^ att)eifle, ob ©ie il^m ben 5Ramen fjauft laffen
njerben. Sine einjige ©Eclamation D fjauftus!
fjouftus! fönnte baS ganje ^Parterre lachen mad^en.
SBieber ein fftotl^geber, toerben ©ie fagen, ber gar
feinen S3eruf baju i)at\ 9iun lool^l! ©o laffen
©ie es mir babei. 3d& toill alsbann baS SSer«
gnügen l^aben, fetbft mit bem ßeipjiger ^Parterre
ju lad&en unb ©ie bei jebem ©eläd^ter fid^ ent-
flammen ju feigen. S)enn lachen mu| man getoi^,
toenn Sl^re Sl^eorie öom ßad&en anberS richtig ift."
3m Sa^re 1755 entftanb Wi% ©ara ©amj)«
fon, unfer erfteS bürgerlid^e« 2rauerfl)iel, toeld&eg
ßeffing fd^uf. SBal^rfd^einüdö loollte er bamals ben
Sauft in eine Slragöbie biefer 3lrt öertoanbeln, um
45] SefPngS gfauft. 327
ftatt her cnglifd&cn ^amUtengcfiftt^te einen national
bentfd&en ©toff, einen ber beliefiteften, in bie neue
fjorm einjufül^ren. ®a8 ®i, au8 bem bie Sara
9efd&lül)ft toar, ßilloS Kaufmann öon ßonbon unb
Sltd^arbfong ©(ariffa, l^atte ber ©dualen ju öiel in
bem beutf^en Slrauetfl)iel jurüdgelaffen. Sine
bürgerlid^e Slragöbie t)on beutfd^em @(]^rot unb
Äorn toax ja bie Slufgabe, öon ber Cef fing in
jenem fiebgel^nten ßitteroturbriefe ^pxai) unb ]^in==
toieS auf ben ^ouft. ©tatt beS SCrauerft)iel3 fam
bie ed^t beuifd&e SJtinno, ein ©tüdE, ba3 ßeffing
felbft ein rrßuftfpier' nannte. ®nbUd& erfcfiien ba§
beutfdö empfunbene, bürgerli(]^e 3;rauerfi)iel, aber
in italienifd^er SÄaSfe: ©milia ©alotti! S)er
fjauft fam niiä&t. Sie ^lufgabe einer rein beutfd&en,
aus unferem SSotMeben gegriffenen SEragöbie l&at
ßeffing im ^auft t)or 3lugen gel^abt, aber nid&t
geföft, toenigjienS nid&t öor unferen 3lugen.
aOSarum la^t aUenbelSfo^n? aSeil er baS
SBoIfSfd&aufpiel fjauft, baS er öieöeid^t gemeinfam
mit ßeffing in Sertin fal^ — eS njurbe bort auf
ber ©d&udöfd^en »ü^ne ben 14. 3uni 1753 auf=
gefül^rt — / tiw^ läd^erlidö fanb. SQSaS ifi bem
toeifen 50lenbel8fo]^n mit feiner 3luf!(ärung unb
328 «n Iitterarif(|er SfinbUttfl a» SefflngS ^ix% [46
feinen bünnen, teinli^en SBegriffen bie SÄagic unb
bet aWaguS ber ©oHsfage mit feinen SEeufeISbe=
f$tt)örunflen unb bem jjtauenöotten ßnbe, baS t^m
baS ®eri($t bea ^immels Deriflnbet: „f^ouftuS,
OfauftuS, bereite bid& jum Sobe! 3)u bift ange«
«agt! SDu bift gerichtet! gfauftuS, gfau|lu§, bu bift
auf eiüig öerbammt!" 3d& l^öre formlid^, toie ber
gute aJlenbelgfo^n, ber fanfte SBeife, na^bem er
bad @tü(I gefeiten, in bie SBorte au^brid^t: ,,U)eI$er
Unfinn!'' Unb nun toill fein fjreunb Cef fing einen
tragt fd^en O^ctuft bid}ten! SBeld^e Sll^orl^eit! ^Sieb»
fter Cef fing! Sine einjige ßEclamation D SföuftuS!
fJauftuS! lönnte ba§ ganje ^Parterre (ad^en nia^en/
®6ert giebt ben4. Dctober 1768 feinem gteunbe
©fd&enburg, ber nad^ Hamburg reift unb fid^ ßef fingS
perfönlid^e SBelanntfd^aft mftnfd^t, ein 6m))fe]^tung§'
fd&reiben, toorin er unferem 3)id&ter feine littera*
rifd&en ©d&ulben aufjftl^lt. (5r l^abe im Flamen
ßeffingS Dielen 3lnberen ben Dr. fjauft öerfprodften,
er mxhe fd^on lange Don biefen Stielen um ben
f^aufi gemal^nt unb mflffe il^n notl^ioenbig l^aben,
toenn er nid&t ßcfrtng§ toegen jum ©d^elm toerben
fotte. „aSo bleibt Dr. gfauft?" I^eifet eS in einem
ätoeiten ©riefe Dom 2ß. Januar 1769, (gin Qal&r
47J SeffingS Sfauft. 829
fpötcr, nad&bem ßeffing in SBrounfd&iDeig gctocfcn,
bcrül^rt ßbert in ciniflcn ©teilen feines SBriefcS t)om
7. 3anuar 1770 toieber ben fjauft. Offenbar ift
t)on biefem 3Berf bei ßefftnflS Slufentl^alt bie fftebe
gewefcn. ©elbft einige ^ofbamen laffen il^n grüfecn
unb bitten, balb toieberjulommen unb ja ni$t ben
Dr. fjauft ju öergeffen. 3m ©inflang beS SBriefeS
l^eifet eS: „@ie muffen gaubetn unb mid& citiren
lönnen, toie ^l^r Dr. gfauft bie ©eifter cititte".
SQBenn ßbert nid&ts toeiter t)on ßeffingS ^auft
tt)u|tc, fo toax er g^^au fo Ilug aU mir, benn
bieg ftanb feit elf Qal^ren ju lefen in jenem 3rag=
ment, toeld&eS ber fiebjel^nte ßitteraturbrief entl^ielt.
Unb wenn er in einer folgenben ©teile ßeffing mit
feiner befannten ©pielfu^t aufjiel^t: ,,©ie müßten
eS benn aud& burd& 3öubereien bal^in bringen, bafe
id& mi$ ben Seufel reiten liefee unb einmal \pidk;
bod^ mx(b bflnit, baS traurige @£em))el meines SSer-
fül&rerS felbft ift allein fd^on l^inrei^enb, mir eine
eiüige 3Barnung ju fein" — fo ift l&ier fd^erjenb
Don ßeffing bie Siebe unb ni$t Dom gfauft. 3Äu6
benn überall, too einen ber SCeufel reitet, ber 3<iuft
babei fein? Unbegreiflid^, toie ©anjcl in biefen
830 «in litterarifd&er gfinbling at8 SejnngS gfaufl. [48
aSorten eine SInfpicIung auf ßeffingS jtDeiten fjauji
öetmutl&en fonnte!
SBtr fennen ßeffingS Slntiüorten auf bie eben er=
tDäl^ntcn aSricfe. 3luf 50lenbel§fo]ön8 fjrage in SBetteff
bc8 Sauft antwortet er ni(ä&t§; in ber ©ttoieberung
auf SbertS er jien S3rief , ben il^m ©fd&enburg gebrad&t,
f^reibt ßeffing ben 18. Dctober 1768: ,©ie fe^en,
ba^ id& nii$ je^t eben nid^t im ©d&riftftetter*
entl^ufiaSmuS befinben mag. SÄeine Slntiüort alfo
auf Sl^re freunbfd^aftlitfic ©jequirungen fönnen ©ie
erratl^en. 3um genfer mit alle bem SBettel!"
SluS ben obigen 3^ugniffen inSgefammt erl^ellt,
ba§ ßeffing in bem S^traum t)on 1755—1770
giüci Snttoürfe öon fjauft gemad&t unb feinen
t)ottenbet l^at, bafe er in beiben eine national^
beutfd&e SEragöbie bejtoedte, bie im erften bem
SBoIfSfd&aufpiel nöl&er ftanb als im jtoeiten, toorin
bie Sloöe beS SSerfül^rerS weniger biabolifdö als
bämonif(i6=menfd&Hdö, weniger als SQSiberfad^er benn
ate SBerfgeug ©otteS gebadet n^ar.
6. SRadö ber in ben ©oöectaneen gemad^ten Se»
merfung ift anjunel^men, baft ßeffing toal^renb
feines SSreSlauer 3lufentl^ält§ mit einer neuen 93e=
arbeitung beS fjauft befd&öftigt toar. Sffiir finb
49] ßefflnaS gfauft 881
bcflicttfl, t)on bcm bcftcn ©cmäl^rSmann, bcr üBcr
jene Seit betid^tet ^at, 9iäl^ereS ju erfal^rcn; tn=
beffen toei^ Slector «ßlofe nid^t mel^r ju fagen, als
bafe ßefftng anä^ biStoeilen an feinen Dr. fjauft
gebadet unb au§ einem alten ©tüd, ?loeI§ ßucifer,
einige ©cenen l&abe benü^en tootten. 31[ud& ba§
einer ber ^reunbe ßeffingS gtoölf Sogen be§ fjauft
in S3reSlau gelefen l^aben n^iö, bejidtigt, tt)cnn eS
fid& fo t)er]^ätt, nur unfere obige SBermutl^ung,
fül^rt uns aber in ber ©aiä^e niiftt weiter.
7. 3m 3a]^re 1775 mad^t Cef fing bie impro=
öijtrte Steife nad& Italien, bie il^n jtoeimal nad^
2Bien filiert, tt)o unter feinen SSerel^rern fidö be=
fonberS ber Staatsrat)^ öon ©ebler l^ertjortl^ut.
®iefer l^at fid& bei ßeffing felbft nad& bem Sauji
erfunbigt unb ftjreibt barüber ben 9. Secember 1775
an 5RicoIai: ^3d& toünfd^c, ba§ Sl^re Hoffnung
toegen ber Srfd^einung beS ßeffingfd&en ^auft äu=
treffen möge. SJlir l^at unfer großer, aber ju
toenig gegen ba3 ^Publifum freigebiger 3freunb auf
mein SBefragen münblidö anvertraut, ba§ er baS
©ujet Jtoeimal bearbeitet ^abe, einmal nad& ber
gemeinen ^abel, bann toieberum ol^ne alle
Seufelei, too ein ©rjböfetoid&t gegen einen Un-
Stuno [Ififil^er, meine @(|nften. 28
832 ein litterarifti^ex fJfinbUng aU SefflngS Sauft [60
fiftulbigcn bic Slottc bc8 fd&toarjcn SJerfül^rerS
Vertritt. S3eibe SluSatficitungen ertoarten nur
bic Ic^te §anb/' S)tcfc Slcußerung ftimmt mit
ben ßottcctancen unb unfercn ©d^Iüffcn: e§ ijl
niiftt au jtDeifeln, bafe ßeffiug eine fol^e @t=
lldtung gegeben, jugleid^ toirb ber unfettige 3u=
ftanb ber 3lrbetten beftätigt. ®enn ,,bie le^te
^anb" lann nod& t)iel ju tl^un l^aben.
ßeiber blieb il^r nichts ntcl^r ju tl^un übrig.
3lte ßefpng bcm 3Biener fjreunbe antjertraute, toie
es mit feinen Sauftbic^tungcn ftanb, gel^örten biefe
bereits, toie bie ©age gel^t, gu ben Verlorenen
^anbf^riften. ßeffing reift ben 9. gebruar 1775
Don SBolfenbüttel über ßeii)äig nad^ SBerlin, unb
gel^t im folgenben SJtonat öon bort über SJreSben
unb ^rag na6) SBien. Um leid^tereS ©epödE ju
l^abcn, fcnbet er t)on SJreSben eine Äifle öott ber
Derfd^iebenartigften Singe nodö ßeit)jig, öon too ber
Sraunfd&weigifd&e Sud^l^anbler ©ebler, ber fid^ eben
jur Dftermcffe bort aufl^ölt, fie nad^ SBraunfd&ioeig
mitnel^men unb bann toeiter nad& SBoIfenbnttcl eE=
^ebiren fott. ®iefe Äifte fott l^eute nod^ anfommen,
fie ging fpurloS Verloren unb mit il&r fämmtüd^e
3aujimanufcriJ)te.
61] SefflnfiB Sfauft 833
SBaruin ßefftng biefe toid&tigen J^anbf^tiften
t)on 2QBolfenBütteI über ßeiipjig unb JBeriin nad&
StcSbcn f(i&Ict)t)t, um ftc öon l^icr nad& SBoIfcn^
büttct aurüÄiüQnbern ju laffcn, iji eine tool^laufju-
toerfenbe fjrage, bie unbeanttoottet bleibt. Stile
SRad&forf^ungen beS SBtuber«, ber in ber SPonebe
äu ßefftnaS t)ermif$ten ©d^riften (1784) foflar
einen öffentli^en 3lufruf an bcn fjinbet ber fiifte
erlief, finb öergeblid^ getoefen. @8 galt für au8»
gemad^t, ba§ auf biefe SBeife ßeffingS göufi öer^
loren ßegangen. SBIanlenburg erjftl^It bie ©e-
fd^id^te, ate ob er babei getoefen, toie ßeffing in
Sregben feine fyauftmanufcrit)te eingei)adft ^aU;
bod6 toei^ er nid&t« ©enauereS, benn er irrt fid^
im 3lbreffaten, ber nad& il^m ein Äoufmann ßeffing
in ßeil)3ig getoefen fei: biefer toürbige Sölann, ein
S5ertt)anbter beS Sid&terS, l^abe fid& fel^r forgfältig
nad^ ber flijie erlunbigt, an ßeffing gefd^rieben u. f. »)•
Sludö ber S3ruber jeigt fid^ in ber SSorrebc ju ben
öermifd^ten ©d&riften nid^t genau unterrid&tet, er
glaubt, bie flifle fei erft t)on SQSien nad^ ücxpiXQ
gefenbet toorben unb auf bem 3Bege abl^anben ge*
lommen. @o t)iel fielet fefl unb itoax burd& ßeffing
felbji, ba§ bie flifte t)on 3)re8ben nad^ ßeit)jig an
23*
884 ^n ritterarif^et (jfinbling atS SefflngS fSfauft. [52
ben S3ud^]^ftnbler ©ebler aujS SSraunfd^tDeig gefd^tdt
iDUtbc. Slbcr bic fjrage tji: 06 bcr l^anbfd&rift'
ü$c fjauft tt)irfU(36 batin toar?
3m SRad&IaB ßcffingS l^at fid& öon fjaiiji ntd^t»
tocilcr gcfunbcn afe ber ©ntiüurf bc3 a3orft)icl^
unb bie t)icr crftcn Sluftritte, bic bcr Srubcr im
Siücitcn SBanbc bcS ,,Sll§catraUfdöcn 9lad&(affc8" t)ct=
öffcntUd&t l^at (1786). ©t fommt in bcr SBorrcbc
toicbcr auf bic Verlorene ßiftc ju fprcd^cn unb fügt
l^ingu: ^aJlir ifl c8 nid^t anbcrS, als ba^ mein
SBrubcr mir fclbji gefagt, mit bcm SScrlujic bicfer
Äijic fei aud^ alles, toaS er über bcn {yauft ge-
arbeitet, Verloren gegangen". Sic SBenbung: „mir
ift, aU ob" ad&tc id& für fein Seugnife; um fo
iDcniger, afe id& aöen ©runb l^abc gu glauben, ba&
ber Sruber fid& irrt. 5Rad) feiner Slüdlcl^r t)on
Italien l^at ßeffing gegen feinen SBruber in einem
JBriefe au8 JBraunfd&tocig t)om 16. 3uni 1776
auSfül^rlid^ ber unglüdUd^en Äifte (£rtt)ä]&nung gc=
tl^an: er l^at feitbem, fo t)iel i(ft fcl^c, feinen SBrubcr
nii^t mel^r gefi)rod&cn, urnnöglidö lann er i^m ctioas
anbereS ge[agt l^abcn, aU er il^m bamali gcfd^ricbcn.
Offenbar l^at bcm Ic^teren, ats er jcl^n Saläre
fpäter bie Sßorrebe jum „Sd^eatralifd^en JRad^Iafe"
£3] SeffingS (Jfauft. 885
fd^riefi, jener SBrief in unbeutüd&er Srtnnerung öor-
flefd&toebt, unb il^m njar, als ob ßefftng il^m ctoaS
flefogt l^abe, toaS er nid&t gefagt l^at.
aSaS nämtid^ ftanb in bem »riefe? „Sie
traurige ©efd^ii^te mit meiner Äifte aus SJreSben
l^atte id& fd&on öon bem l^iefigen SBud^l^änbler
©ebler öernommen. 9lffem Slnfd^ein nad^ ift fie
t)erIoren, unb mit il^r jugteidö eine SÄenge ®inge,
bie mir unerfc^Iid^ finb. 3ugleid& bie ©tüde t)on
beiner SBöfd^e, bie bu mir auf allen fjatt mit=
fiabft. — 2QBa§ mad^t »ofe ber SSater? 3$ bin
fel^r befümmert um i^n, unb ber Serlufi ber ßifte
ift mir um feinetroiffen t)orjüg(i$ unangenel^m.
€§ toarcn an bie öierjig neue fabeln barin, Don
benen idö feine einjige toieberl^erftetten fann. 2(ud&
tpar meine faft öoHig fertige Slbl^anblung öon @in=
rid^tung eines beutfd^en SBörterbud^eS barin. SRid^t
3U gebenfen eines SölanufcriptS aus ber l^iefigen
SBibliotl^ef, baS xä) in ©reSben cottationiren tooöte.
S)enn toenn id& an baS benfe, möd^te i$ DottenbS
aus ber §aut fal^ren."
3d) toüfete nid&t, ba& ßeffing t)on bieferÄifte,
mit bereu ©d^idfal bie ©age baS feines fjaufts un«
auf(öSli$ Derfnüpft l^at, fonft too gerebet. 6r
886 C^in Ittteratifti^er Sfinbling al8 SefflngS (Jfauft. [54
fl)ecificirt in bem obigen SBtiefc bcrcn ^nl^alt: er
nennt bie fjabeln, bie Slfil^anblnng, ben ßobej, er
fagt leine ©ilfie t)on feinem fjauft. ßiefier nod&
im Stbgrunb ber ^ööe öerfci^iüinbcn, aU in bem
einer Äifte! Söenn ßejfingS fjanft toirflid^ in
jener ßifte begraben lüurbe, fo toar bem Sid^ter,
tt)ie eS fd^eint, an biefem SJertufte gar nid&ts ge=
legen. S)a er fein SBörtd^en baöon fagt, fo glanbe
xä), ba6 bie 3auftmannfcril)te fid& nid^t in jener
Äifte befnnben l^aben, bie auf bem SBege öon
SreSben nad& ßeii)äig ober in ßeit)äig für immer
t)erIoren ging.
Sodö finb fie i)erIoren, benn in ßeffingS 3ladö=
Ia6 ]^at fi$ leine ©t)ur, aufeer ben oben ertoäl^nten
6nttt)ürfen, gefunben. 3d& bin fel&r geneigt anju=
nel^men, ba§ ßeffing feine unt)oIlfenbeten 3lrbeiten
über ben tJauft felbft öernid^tet l^at, ba er fal^,
ba§ il^m bie ßöfung feiner Slufgabe nid^t gelingen
wollte. @r toar auf unübertoinblid&e ©dön)ierig=
leiten geftofeen (©oetl^e l^at ganj biefetbe ©rfal^rung
gemad^t): ba§ alte S5oII§fd&auft)ieI mit feinem €>öllen=
at)l)arat tooßte fid& nid^t in bie 3orm eines bürger*
lid&cn SCrauerft)ieI§ auftbfen laffen, unb toieberum
i)afete bie tragifd^e Slnlage beS ©tüdeS, bie ßefftng
66] SeffingS f^fauft. 887
fepl^aUcn mu^te, nid^t ju bcr ^bf^txm Sfbce, bie
er of^m 3ttJeifcI ber SBoIfefagc gab unb aU @(i6Iu§
im ©tun l^atte. ®r liefe bie Slrbeit Keßen, er mv
barin ftedfen ßeblieBen unb fie toar x^m Verleibet,
benn baS ©tedfenbleiben toar nid^t feine ©ad&e.
6r fe^t ben Slnfragen naift bem Sauft ein unl^eims
lid^eS ©d^toeigen entgegen, baS mir untt)itt!ürlid&
ben (Sinbrudf mad^t: ber fjauft lebt nid^t mel^r,
3lud& jene SBorte an ISbert: „SReine 3lnttt)ort auf
Sl^re freunbfd&aftlid&e ß^equirungen fönnen @ie er-
ratl^en; gum genfer mit alle bem Settel!"
Hingen tt)ie eine SBerurtl^eilung.
©inige ber 3lbfid&ten, bie Cef fing bei feinem
jtoeiten fjöuft gel^abt, ftnb einer anberen S)id^tung
gu gute gelommen; ba§ bürgerlidfee SErauerfpiel
tourbe in ber ©milia ©alotti in einer fjorm
öottenbet, bie ßeffing nid^t überbieten fonnte. Unb
ber 5pian ju biefer SEragöbie toar \o alt, tt)ie ber
be8 Sauft. ®in Hauptproblem in ber jtoeiten S3e=
arbeitung beS S^uft toar bie menfd&Iid^e Sal^rl^eit
in bem ©l^aralter beS SBerfül^rerS: ber Sleufel al§
menfd&lid^er S)amon. Sfn ber Smilia ©alotti
tourbe biefe ?lufgabe getöft. ©tatt beS aJlep^ifto=
pl^eleS erfd^ien SJlarinelli. S)e8 springen le^te«
388 Sin ritteratifd^et Sfinbring aU SefflngS ^auft [56
aOBort Reifet: „©ott! ©ott! 3ft eS gum Unglttd fo
matid&er nid^t ßcnug, ba6 dürften 3Jlcnfd^en pnb,
tnüfjcn fid& aui} no4 SEeufel in i^rcn {Jtcunb t)cr=
ftetten?" 3lad&bcm ßejfing ben 3Jlartnetti gcfd&affcn,
töar bic 3bcc auSßcfül^rt, bic il^n in feinem jtoeiten
fjauft beJonber§ geretjt l^atte. S)arum möd&te i(5
Slouben, ba§ nad& ber Smilia ©alotti ber fjauft
unter ben ^Projecten ßeffings für immer öerftummte,
^ie Stimmung bafür tt)ar fd^on Vorüber, als er
bie ISmilia ©olotti ergriff unb bem fjauft öorjog.
S)oS Sfntercffc an bem le^teren toar erlofd&en.
8. 3nnerlid& ber ©id^tung abgetoenbet, tote eS
ber S3rief an ®6ert öerrötl^, mag ßeffing ben fielen
münblic^en 3lnfragen nad^ feinem fjauft mitunter
au§tt)eid&enb geantwortet l^aben: e§ fd&toirren je^t
ber {Jauftbid&tungcn biele in ber ßuft, er tootte mit
ber feinigen toarten, Bis fie erfd&ienen feien, da-
raus ift bann toieber ein ©tüd ©agengejd^id&te
über ßeffingS fjauft entftanben; als 06 er ben
Slnberen etwas l^ötte abgudfen eber gar ber SRann
fein wollen, ber nad& bem ©prüd^toort gule^t lad&t.
SQBogu warten unb worauf unb auf Wen? SBIanlens
bürg berid6tet: „ßeffingS fjauft war meines SBiffenS
fertig". @r fagt nid&t, Wolter er eS Weife. SBir
67j SefflngS &aup. 889
toiffen, boB er nid&t fertig toar. 6r fügt l^tnju:
„er »artete bloS auf bie ©rfd^einung ber übrigen
(Jaufte, man l^at eS mir mit ©etoi^l^eit erjäl^It".
9Hfo tüeiB er e8 nur t)on ^örenfagen. Unb in
bemfelben Söerid&te l^eifet eS: «ßeffing unternal^m
bie Umarbeitung, öielleid&t aud^ nur bie a5otten=
bung feiner Slrbeit ju einer Seit, too auä allen
3ipfeln S)eutfd&Ianb8 Raufte angelünbigt toaren".
9Kfo tt)u6te Slanlenburg feineStoegS, ba§ ßeffingS
SBerl fertig toar, aber er fagt eS. S)ie Umar»
beitung fdttt in bie SreSlauer unb Hamburger
Seit. SBeld&e fjiiufte toaren bamals angelünbigt?
aJlan nennt ßenj, ber nie einen tJauft gebid^tet
ober angelünbigt (benn ba§ „Fragment aus einer
tJarce, bie ^öllenricfiter genannt", toorin (Jauft in
ber Untertt)elt erfd&eint unb bon Sacd^uS in er»
fel^nte SBergeffenl^eit gefenft toirb, ift ein SBIöttd^en
aus feinem •Kad&Iafe, baS für leinen gauft gelten
Iann)S ben 3JlaIer SDlüIIer, beffen gauft ein ^a^x-
gel^nt fpäter föllt als bie Dramaturgie, ©oetl^en,
1 Seffing ettoftl^nt ben Senj in einem S3ttef an feinen
99rubet t)om 8. Sanuat 1777: ^Sen^ ift immer no$ ein
gang anbetet Stop^ aU Stlxn^tx, beffen le^tes ©tüd i(^ un«
mögliijji l^abe auSlefen Tonnen".
840 «in litteTatil^er ^inbUnfi alS SefflngS ^auft [68
bcr bamaU nod& ntd&t an ben gaufi bacäftte, bon
beffen Slbfid^t einer gfauftbid&tung bie näd&fien
(Jreunbe bor 1772 faum eine ßunbe l^atten, t)on
beffen ©id&tung feI6fi vettere Äretfe erft mel^rere
3ol^re fpäter ettoaS erful^ren. Unb biefelBen ßeute,
bie an bie ßifte glauben, mit ber tm^al^re 1775
ßeffingS 3fauft für immer Verloren ging, erjöl^Ien
guten SKutl^eä, ßeffing l^abe auf bie ©rfd^einung
be§ ©oetl^efd^en gauft gett)artet, t)on beffen ©Eifieng
er bor 1775 fidler nid^ts gett)u6t l^at. @r foll
gefagt l^aben: ,, deinen gauft ^olt ber Teufel, x(S)
toiH ©oet^e« feinen Idolen!" S)iefe8 geflügelte
SQBort l^at ISngel in SBerlin bem Siener ^offd^au*
fpieler 3Jlütter erjöl^It, ber eS in feiner Siograpl^ie
tt)ieberl^oIt, unb 31. ßoberftein l^at e3 in einem
Sluffa^ über „ßeffingS Sauft" (im SBeimarifd^en
Sal^rbadö t)on 1855) t)on 3leuem ertoöl^nt. ISngel
gab eS aU eine SBefröftigung , ba§ ßeffing feinen
Sauft fidler l^erauSgeben toürbe, foBalb ber ©oetl^efd^e
Sauft erfd&ienen fei, 3d& toeife nid&t, ob @ngel ju
ben fliftenglöubigen gel^örte. 3lber er teufte ja,
benn bie SBelt l^at eS t)on SBIanlenburg unb il^m
erfal^ren, ba§ ben ßeffingfd&en S^^uft ber SEeufet
nid^t l^olt. SBie alfo fonnte er jene Sleu^erung,
69] SefflngS ^aufU 841
tt)cnn fie ßefftng toirind& ßetl^an l^at, ernjil^oft
ncl^nten? @r l^ätte in htm SBorte: ,;Tnctncn fjauft
l^olt bcr Sleufel!" einen ganj anbeten ©inn toittern
fotten. Unb loa« l^at ßeffing ber Äritüer nid&t
atteS ßel^oft! 3^ l^öre in bem SBotte: ,,id& toitt
©oetl^eS feinen Idolen!" nid^t ben S)id&ter breiten,
fonbern ben firitiler.
9. aOBir l^oBen über ßeffingS gauji nod^ gtoei
Sendete, beibe naS) bem SEobe beS S)id&terS er-
fd&ienen. S)er erfte ift ein ©d&reiben be8 ^anpU
mamtS t). SlantenBurg in ßeijjgiß t)om 17. 3Jlai 1784
,,ü6er ßeJfinflS verloren ßegangenen Sauft", in
3lrd&en]^oIj' „ßittetatnr unb SBöIIertunbe" ; ber
gtoeite ein SBrief be§ 5ProfejjorS ®ngel in Serlin
an ßeffinflS Sruber, t)on biefent t)er5ffentlid&t im
,,SE]^eatraIif(j^en 9lad&Ia§" guflleid& mit ßeJfinßS
enttourf (1786). SBeibe fd&ilbern ben ^Prolog.
SBIanfenburg erjä^It, bafe in jener ndd&ttid&en
SJerfammlung ber .^öttengeifter, bie SJerbetben
brüteU; einer ber festeren bem ©atan Berid^tet, er
l^abe einen SWann auf @rben gefunben, bem nid&t
beijutommen fei, er ^ait feine ßeibenfd^aft, feine
Bä^toai^ijät, nur einen Slrieb unb eine Steigung:
einen unauSlöfd&Iid^en Surft nad^ SBal^rlöeit unb
842 ein ritterarifd^et f^tnbling a» SefflnfiB Qfauft [60
©rfenntiüB. „©otin iftermein!" ruft bcr Dberfte
ber SEeufel, „unb auf immer mein unb fid&erer
mein, aU bei jeber anbcren ßeibenfd&oft!" SRun
erl^ölt SJtepl^iftopl^eleS Sluftraß unb Slntoeifung,
toie er cS anjufanßen l^abe, um ben Sauft ju
fanflen. 3n ben folgenben 3lcten Beginnt unb t)ott=
enbet er bem ©d&eine nad& fein S33erl. $ier lann
xä) feinen Beftimmten 5PunIt aufleben, ©enug, bie
l^öllifd&en ^eerf^aaren fliauben il^re Slrbeit t)ott*
brad&t gu l^aben; fie ftimmen im fünften 3lct
SEriumpl^Iieber an. S)a unterbricht fie eine l^imm«
üfd&e ISrfd&einunfl. „Sriumpl^irt nid&t!" ruft
il^tten ber ®nflel gu, „il^^ l^abt nid&t über 3Jlenf^=
l^eit unb SBiffenfd^aft flefiegt, bie ©ottl^eit l^^t bem
3Jlenf(i&en nid^t ben ebelften ber SLriebe flegeben,
um il^n etüig unglüdlid^ 3U mad&en; toaS il&r fallet
unb je^t ju befi^en glaubt, toar nid&tä als ein
5p]^antom/' @o toeit SBtanfenburg, beffen einge»
ftreute f^ale SBemerlungen id& toeglaffe. SBir
^ören nid&t bie 3lnal^fe eines ©tttdeS, fonbern nur
bie eine« PaneS. @r felbfi fagt t)on ben folgen«
ben 9lcten: „§ier fann id& feinen beftimmten 5punft
angeben".
©efd&idCter ift ISngelS Serid&t. „3Jon ßeffingS
61] Semnft» Qfaufl. 343
fjauft, um bcn ©ie mid^ öoraüglidö fragen, tociB
t4 nodö biefcS unb jenes ; tocniflftenS erinnere td&
mtd& im Slllgemeinen ber Slnlage ber erften ©cene
unb ber legten .&aupttt)enbunß berfeI6en/' ®r
fprid&t aV\o nur t)on bem ^Prolog, bejjen ©d&aupla^
l^ier nid^t bloS „ein alter S)om", fonbern ,,eine ger»
ftörte flotl^ifd&e ßird&e" ift. „S^rftörung ber SQBerfe
©ottes ift ©atan« äBottuft." SDte ©cene felbft
fd&itbert @ngel in bramotifd^er fjform. S)er erpe
SEeufel l^at bie $ütte eines 3lrmen jerftört, ber
jtt)eite eine {Jlotte mit SBud&erern öernid&tet, ber
britte bie Unfd^ulb eines 3Jläbd^enS mit toollüftigen
SLraumbitbern Vergiftet, ber t)ierte l^^^t nid&ts ge=
tl^an, nur einen ©ebanfen gel^abt, teuftifd&er als
bie SEl^aten ber anberen: er toill ©ott feinen
ßiebling rauben, einen benlenben einfamen 3üng=
Ung, ganj ber SBeiSl^eit ergeben, nur für fie atl^-
menb, jeber ßeibenfd&aft abfagenb, au^er ber ein»
gigen für bie Sal^rl^ctt; ber SBerfül^rer l^abe il^n
umfd&Iid&en, aber nirgenbs eine ©dötoöd^e gefunben,
toobei er il^n faffen fönnte. „^at er nid&t SBifes
begierbe?" ruft ber ©atan, unb toie ber SEeufel
antwortet: „mel^r als ein ©terblid&er!" ift er feiner
©ad&e getoi^. „Ueberla^ il^n mir, baS ifJ genug
SU «in atteranf^eT SfinbUng aXi SeffindS ^oufl. [62
jum SSerbcrtcn." 3lIIe SEeufcI f offen x^m l^elfen,
btefe« aKeiperjiüd fatantjd^cr SKad^t unb ßifi aus«
aufül^reti. 3)a ruft chte ©tunme aus bcr ^öl^e:
r/3^t: ]oUt nid&t ficflen!" „@o jonberBar, toie
bet ©nttüutf biefer crften ©ccne", fäl^rt @nßcl fort,
„ift ber ©ntwurf bcS ganjcn ©tüdeö." ©ie 3Jer-
fül^runa ßcf^tel^t an einem 5pi^antom, ba^ ber
fd^Iafenbe toirlKd^e Sauft als SLraumgefid^t fd&aut.
S)ie Teufel finb getöufd&t, ber ertoad&te {Jauft 8c=
toarnt unb belel^rt. Unfer Sertd&terftatter fd&Iiefet
mit ben SBorten: „SBon ber Slrt, toie bic SLeufel
ben ^tan ber SBerfül^rnng anfpinnen unb fort=
fttl^ren, muffen ©ie leine SRad&rid&t t)on mir er=
»arten; xi} toei^ nid&t, 06 mid^ l^ier me^r bie @r*
jäWung Sl^reS SBruberS ober mel^r mein ®ebäd&tni§
öerlö^t, aber toirllidö ließt affeS, loaä mir baöon
borfd&toebt, gu tief im S)unleln, ate bafe xii l^offen
bürfte, eS toieber ans ßid&t gu atel^en".
9lad& äffe bem fd^eint ©nflel baS ßeffingfd&e
SKerl nid^t auS ber ^anbfdörift, fonbern nur aus
münblid^en ©d^itberungen beS ©id^terS gelaunt ju
l^aben.^ 2)ie ISrinnerung ifi öerMa^t. 33on ber
» aOÖann madjte SeffinQ unfercm aBetidJterpattet jene
SDflittl^eilungen über t)erf(^tebene t^eatranf(!§e ^lAne, ins-
63] SefflngS ^auft» 345
SliiSfül^rung toetfe tocber er nod^ Stanfenburg ettoa«
SefümmteS. Sl^re a3eri(J6te bcfd&rönlen fiift im
SBefentüd&ctt auf baS a5orft)iel unb ftimmcn in bcn
^ouptjttgen mit bcm bon ßcffitigS $anb J^intcr*
iQJjenen ®nttt)urf fo ftd&tbar überein, ba§ fie für
glaubtoürbig gelten bürfen. 3n jmei fünften
geben fie mel^r, aU ber autl^entifdöe Snttourf oer=
ratl^: ba^ in biefer fjaufttragöbie bie ^ötte nid^t
fiegt; öielmel^r burift ein ^pi^antom getäufd^t toirb.
JRad^ Slanlenburg faßt bie ©ntfd^eibung an ba§
6nbe be§ ©tüdeS, na^ ISngel toirb fie fd&on am
©d&tuffc be3 SJorf^iete t)erlünbet. Sfn biefer Sbee
liegt bie ©rl^öl^ung unb Umbid&tung beS 3fauft*
m^tl^uS, ipeld^e ©oetl^e aufnal^m unb jum Sll^ema
feiner jtoeiten {Jauftbid^tung mad^te, elf ^al^re
liefonbere über ben be$$ Sfaufl? (Sngel; gtoölf ^al^re
iflnger qIS Seffing, lam na$ Seip^ig; ali Seffing t)on
S3re8lau nad^ SSerlin ging (1765), unb er lam nod^ a9er>
Im in einem S^it^unlte (1776), nod^ toel^em Seffing biefe
Stabt ni^t toiebetgefel^en. ^uf feiner IReife nad^ SBien
%ai Seffing im Sfebruar 1775 Seipsig berül^rt unb bort
einen Ileinen Slufentl^alt gemad^t. Sßenn bamals (elf
Saläre t)or dEngeld S3eri(^t) jene münblid^en SJlittl^ei*
lungen übet ben Sfauft ftattfanben, fo ifi au fd^Iiegen, bag
Seffing bie ^anbfd^Tiften gar nid^t bei ftdg l^atte unb
mit fid^ fül^rte.
846 Sin litteTarifd^et Sftnbling a» SefllnfiS gfauft [64
nad&bem ßcffingS (Stittourf unb ©ngcte S3ert(i6t
öcröffentltd^t toaren. 3f(5 gtoeifle nid&t, baB ©octl^c
feinen großen SBorgönger aud& an btefer ©teile ge^
fannt unb t)or Singen gel^abt l^at, o6gIeid& fein
3eugni§ barttber öotliegt, ba§ ßeffingS ^Prolog
auf ben ©oetl^efd^en eingetoirft.
10. SDie 3bee ber SRettung gaufts ift ol^ne
3tt)eifel ed^t leffingifd^, aud& toenn fie nid&t mit
feinen eigenen SBorten Bejeugt ift. @ie liegt in
feinem @nttt)urf: fjauft fott burd& feine ju gro§e
SBiPegierbe geftürgt toerben, nur burd& biefc,
barauf aüein grünbet ber Teufel feinen Pan.
2)ieS toor fd^on eine 3l6tt)eid^ung t)on ber SBoIfö«
fage, eine fold&e Slbtoeidftung, toie fie ßeffing mod&en
mufete. @r ergriff ben Sauft ber SBoIISfage an
bem 3uge, ber il^m ber geifteSöertoanbtefle toar.
©d&on in bem SBorfpiel erlennen toir einen
ßeffingfd&en Sauft. 3)iefer fjöuft befd&wört gu»
erft ben SlriftoteleS, toie ßeffing felbfi in feiner
Dramaturgie! S)iefer {J^^ufi \o&m ju feinem
S)iener b^n ^öttengeift, ber fo fd&nett ift, toie ber
Uebergang bom ©uten jum Söfen, glcid^fam b^n
S)ämon be8 ©ünbenfatts. 2Bir l^ören aus feinen
SBorten, toie tief er bie aJlad&t beS Söfen lennt,
65] Sefflngg {ifauft. 847
er l^ot fie erfal^ren; toaS braud^t er fie nod^ ju
erfal^rcn? S)a§ er aus eigener SBal^I unb ßraft
bem Saftlisfett inS Singe fd&aut, ift feine SOlad^t
über ben »afilisfen. 2)er ©eift ber SBiBbe =
gierbe, gegenübergefteltt bem S)ömon ber
©ünbe: fo offenbar bad&tc ftd^ Cef fing ben ®egen=
fa§, aus bem nimmermel^r ber SLriumpl^ beS
©atanS toerben foHte.
$ter aber entftanb bie ©oüifion jtt)if(i§en ber
Einlage unb bem 3irf ber ^aufttragöbie; l^ier
mufete \i6) ber ßeffingfd&e {Jauft t)on bem ber
SBotlSfage fd^eiben unb biefer l^erabfinlen ju einem
5pi^antom, S)er Sauft, ben bie SEeufel t)erfü]^ren
unb erbeuten, ift nid&t ber toal^re, ed&te, nadö Sal^r»
]&eit ringenbe Sauft, fonbern beffen ©d^atten unb
©d&einbitb. S)ic ganje biabolif^e SCragöbie toirb
jur ^l^antaSmagorie, bie ber toal^re Sauft tt)ie in
einer SBetäubung, in einem Sraume erlebt. S)iefer
abenteuerlid^e, ben SBeltbegierben l^ingegebene unb
in ben 9lbgrunb getriebene ßebenSgang ift „baS
ßcben ein SLraum", angetoenbet auf ben
Sauft! 3d& glaube gern, ba§ ßeffing eine fold^e
3bee l^atte, unb finbe fie feiner ganj toürbig.
Unfere Serid^terftatter toaren nid^t bie ßeute, einer
ftuno f^ifiü^er, StUim ©(ü^riften. 24
348 d^in (ittetarifd^^t f^finbUttfi alS SefflngS flfauft. [66
fold^en 3bcc auf ben ©runb ju fe^en. 3lber barauS
licB fid& iDcber ein Bürgcrlid^eS Sraucrfptcl nod^
überl^aupt ein bramatijd&eS fiunfttocrf I5fen, bcnn
ber tüirÄid&c ^auft l^anbelt l^icr fo gut tüte gar
nidbt. (Sine fold^c Slnlage l^atte bcr erfte Sauft,
ben Cef fing bcrlieB. (St unternal^m einen gtoeiten,
ber eine lebenbtge uub adiöe fjaufttragöbie toerben
foÜte, tt)orin bie berfül^terifdben 3Jläd&te itbifd& unb
menfd^tid^ gefaxt toaren. SBie biefer jtüeite fjauft
auäfa^ unb irie toeit er gebtel^en, bat)on toeife id&
nid^tS unb lenne niemanb, ber etwaS bat)on tt)et§.
@S tft eine l^öd^ft intereffante unb 6ebeutung§=
öoße SEI^atfad^e, ba% aud^ ber ©oetl&efd^e „iJauft"
in jtüei öerfd&iebene S)i(i§tungen äerfallt, bereu erfte
aus bemfeißen ©runbgeban!en entfjjringt, ben ßeffing
bei feiner jloeiten l^atte, unb bereu gmeite benfelben
©runbgebanlen ergreift, i)on bcm Seffing in feiner
erften ausging.
3fd& glaube, baB meine ®r!Iarung mit allem
übereinftimmt, tt)a8 irir t)on unb über ßeffing§
gauft aus litterarifd^en 3eugniffen erfal^ren, beren
i(J6 jebeS an ben Drt, ber il^m au3 fritifd&en unb
l^iftorifd&en ©rünben julommt, gcfteßt unb bort ge=
tt)ürbigt l^abe.
67] 2)ei totebergefunbetie ^auft SefflngS. 849
m. ^et n^iebetrgefiitibeiie ^anfl <^eff{tig$.
1. S)ie «uffinbunö.
9iun übcrrafd^t nttdö bie fiunbe, ba^ ßeffinßS
„jtoeitcr fjauft" aller SBal^rldfecinltd^Ieit nodö ent=
bcdt, bie bunfelfte ©egenb ßeffingjd^er ©id&tuitß
plbiiliä) erl&eHt unb alle SBelt ßlüdlid^ in ben
©tanb geje^t fei, [id^ über biefen „Sauft ol^ne alle
Teufelei" genau gu unterrid^ten.
3uerft mufe man ben ßiftenglauben befd&toören,
ber fid^ in bie ©agengefd^id^te bon ßefpngS gauft
böÖig eingenifiet l^at; bann lö^t man bie ©e=
fd^id^te einer t)erIorencn unb toiebergefunbenen
.&anbfd&rift gefd&e^en, bie fid^ in ber SBelt fd&on
oft jugetragen; enblid& giebt man gu, ba^ ber
ßeffingfd^e SCejt atterl^ötti^ SBcrönberungen erfal^ren,
fd&on um baS geftol^tene ©ut Küglid^ gu öerl^el^Ien.
S)arf man fragen, tt)aS unöeränbert geblieben?
SBer fielet bafür, ba^ man bem Sling einen an-
bereu ©tein eingefe^t unb biefem ©tein eine anbere
gaffung gegeben, ba^ au§ bem S)iamant am ®nbe
©las, aus bem ©olb Sled^ getoorben? Dber fott
ber Sling fo ausfel&en toie ber in ber gabel, „ba§
felbfi ber SSater feinen SRuftcrring nid^t unter=
fd&eiben !ann"?
24*
850 atin ritterarifd^er gfinbting aI8 Sefilnfi« Sauft. [08
3ft, tote ber SBrubcr meint, mit ber ^ifte alleS
öetloten i^ian^tn, toaS ßejfing über ben 3<^uft
gearbeitet, toarum Hieben bie Snttoflrfe jurüd,
bie pd^ im ^laijla^ fanben? SQBarum ift mit bem
jtoeiten ^auft niefit oucfi ber erfte gum JBorfd&ein
ßelommen? SQ3o foU bief er geblieben Jein? ajlü^tge
fragen! ©exen toir frol^, bo6 tt)ir ben jtüeiten
befi^en, eS l^ot ein Sfol^rl^unbert gebauert unb bem
Sinber SRü^e genug gefoftet.
S)te erfte ,,©pur 'oon ßeJfingS Sauft" brachte
im October 1875 ba§ aSiener iüuftrirte aJlufi!=
unb SC^eaterjournal: eS toar bie Sntbedfung jenes
alten Sll^eaterfalenberS t)on 1779, toorin bie beiben
fd&on angefül&rten SRotijen gu lefen finb, bafe jemanb
mit „3Ke#ftöp^eIe§ in ßeffings Soljann Sauft"
bebutirt ^aU, unb ein attegorifcfieS ®rama „^o-
l^ann fjauff' ol^ne Sßamen beg SJerfafferS ju
3Jlünd&en 1775 erfd^ienen fei. 3Kit ber 3tuffin=
bung biefeS ©tütfeS burdö ßarl ®ngel l^at ficfi
nun bie (Sutbedung öoÖenbet.
®em ©tütfe öoran gel^t ein „SSorberitfit",
untergeicfinet „®er JBerfaffer". ®er 3lnon^mu§
gebenft ber alttl^eatralififien ©etoolönl^eit, „alle=
gorif(fie Siguren ju belörpern", er tooÖe nid&t
69] ^er toiebergefunbene (Jfauft SefflngS. 861
„bie glansenbcn Seifpiele cincS ©^afejpeare unb
aSoItattc burd& ©elfterer Jd^einungcn na6^ai)\nm",
er ertl^eilt ber ©idfetung „ba^ erl^abene SBorred^t,
fi(5 in bie ©rengen beS Unmöglid&en ju
fd^toingen"; er fd^reibt ^9ÄeIand&ton" unb
nennt il^n einen „©ejci&td&tld&reiber". ®r öerftel^t
bie Äunfl, ßejjing ju t)er]^eimti(j&en; er mu^ tl^un,
als ob er bie Hamburger Dramaturgie nie gelefen
l^abe, toorin „beut gtängenben SBeifpiele SSoUaireS"
ber ©arauS gemad^t tourbe unb namentlidö bie
©eiftererfd^einungen eines SBoItaire fo fd&ted&t n)eg=
famen im ©egenfa^ ju ben ©eiftererfd&einungen
eines @^a!efl)eare : ber ©eift beS 9?inuS im ©egen=
fa^e ju bem beS .^amtet! — S)er aSerfajfer rebet
aSIed^, bamit ja niemanb mcrfte, ba^ er ßejfing=
fd&es ©olb in ben ^önben l&ätt; er öerunftaltet
baS SBerl, um befjen §er!unft ju t)er6ergen.
@S ift feine ßleinigfeit, ßejfing, bieJeS SRufter
unferer fprad^Iid^en ©d&önl^cit, in ben ©adf ju
ftedfen. 93Ber toirb l^inter fd&toülftigen 5p^rafen,
fd&Ied^ten $rot)injiatiSmen, untogijd^en unb fel^Ier«
l^aften 3luSbrüdEcn, l^inter öjierreid&ifd&en 3tebenS=
arten, toie „öerge^ er nid&t auf mid^", i/t)ergi§ nid&t
auf bid^ fetbft" l^inter Senbungen tt)ie ,,er läßt
852 C^in Utteratifd^er SfinbUng alS SefflnflS ^auft [70
eud^ über eure 3u!unft jittcrn" u. f. f., bcn erften
©ttitftcn ©cutfd&lanbs öertnutl^en?
2. ^te gabel unb beten ^uSfü^ning.
§tcr ift bie gabel bcS ©ramaS, fotoett bei
btcfcm ©tüdc t)on einer fjabel unb Don einem
©rama bie SRebe fein lann.
1. iJauft, ber ©ol^n armer ©Itern, bie SEl^eobor
unb ©lifabetl^ l^eifeen, fclbft ein gutmtttl^igeS,
aber ganj totttenSfd&iDafieS ©ubject, ^at qu§ 33er=
gnügungsfuci&t unb feinem anberen ©runde einen
33unb auf jtoanjig ^af)xt mit bem ^öltengeift
2Re^]^ifto^^eIe8 gefd&loffen, einem „ber gefallenen
©eifterd&en", bie unter ben aJlenfd^en SSerberben
anftiften unb baburd& ©ott beläm^fen iDoUen. St^m
gegenüber fielet Sftl^uriet, ber gute @ngel, ber bom
^immel l^erabgeftiegen ift, um ben ^auft ju be=
feieren unb ju retten. 3tn ber {Julie be§ Ueber=
fluffeä unb ber ^xaä^t ^at g^auft in feinem 5|Jataft
mit feiner geliebten «^ eleu a, bie il^m einen ©ol^n
©buarb geboren, unb mit feinem «^ammerbiener
SBagner bie luftigen Saläre als SBolIüftling bis
auf bie 3leige t)erf(ftioeIgt. 3)ie legten STage
finb ba unb ie§t fott bie SWagelprobe gemad^t
tt)erben. @o beginnt ba§ ©tüd.
71] ^tx kDiebergefunbene Sfauft SeffingS. 358
®urd& bic 3ctu6ertnittel bcS SÄepl^ifto^l^eleS
jinb alle feine SBünfd^e erfflßt toorben. SRiemanb
»ei§ t)on feinem gel^eimen unb Derberblid^en 33unbe,
au^er ber gute Stl^utiel. Snbeffen fielet ^auft bei
bem 5|JubUIuni im ©erud^ eines ^ejenmeifterS, bei
bem olterl^anb 3öubermittel ju l^aben finb. ®a6ei
mad&t ber ßornmetbiener feine Srnte. ©onnerfd^tag
fud^t ein foId&e§ SJlittel gegen bie Sö^mung, bie il^m
eine eiferfüd^tige ©eliebte onge^ejt ^aU, 'otxmnt^-
Vx6) nid^t burd^ bie ©ifetfud^t, fonbern butdö bie
Siebe; er l^eifet „©onnerfd^lag'', tt3eit er ))ottert
unb ben ©d^tag ju befürd&ten l^at. ajlan nennt
bieS „eine aßegorifd&e 5igur"! @))urau8, „ein
getrönter 5ßoet unb ^ßebant", »ie e8 im 5Perfonen=
t)erjeid&ni§ l^eifet, ifl felbft eiferfüd&tig unb tt)ünfd&t
ein 3ciu6ermittel, um unfid^tbar bie ©eliebte ju be=
l^ord&en. ®iefe ©eliebte, SRamenS ßmilie, eine
alte ©d^ad^tel, mit ber SBrille auf ber SRafe, l^at
fid^ tt)ei§mad^en taffen, fie toerbe ein gelrönte§
^au:pt l^eiratl^en, eine ?Pro^]^ejeiung, bic il^r SBagner
gemünfd&termafeen beftätigt, ba er eben l^ört, ©:pur=
aus feipoeta laureatus. 3llle§ überaus geiftreid^, ed^t
leffingifd^! ®ie altegorifd^e SBebeutung t)on ©:purauS
unb ©milie ift fo tief, bog fie unergrünblid^ ift.
354 C^in litteraTifd^er OftnbUng al8 SeffingS Ofauft. [72
iJauftS ©timtnung ift gcbrüdt unb trtft, toie
c§ nad^ StDQtijifl Saluten ber ©dötoclgcrci unb bei
bcr Qttgenel^nten SluSfid^t auf bog nal^ beborftel^cnbc
@nbc ntd&t anberS fein lann. 6§ gel^t il^m tote
«omne animal». Qtoax 6tlbet et fid^ ein, bie
3aubermtttet feines ^öUifd^en SSertrauten nur jum
©Uten Qn9ett3enbet gu l^aben, bodö btefer Belel^rt
il^n eines ©dölimmeren. Sitte feine ^anblungen
»oren S^l^otl^eiten ; bie Uebeltl^Qt l^at jidö in S3Bo]^l=
ti)at, bie SBol^ltl^aten fömnttlid^ l^aben [xä^ in UeBeI=
tl^aten berlel^rt. SluS 9lQdöfud&t l^at er einen 9letdöen
in Slrntutl^ unb 6Ienb geftürjt, aber bie Slrmutl^
l^at ben SWann gut unb glüdlicft gemad^t, barum
l^eifet er oudö „iJriebreid^". Umgelel^rt l^at er
einen armen SEeufel SJlittionör »erben laffen, ber
fid^ je^t als SBud^erer, ©eijl^atä unb Setrüger bor
il^m auffpielt, fein SWame fagt genug tt)o^l fd^on:
er l^eifet „©itbergeij". Slber {Jauft lann burd^
l^öl^eren SBeiftanb bie ßeute nidfet btoS arm unb
reid^ mad^en, fonbern il^nen aud6 J)erfönUd6e Sigen«
fd^aften, SEugenben unb ©tettnngen anjauBern. @o
]^at er burdö bie @aU ber ©d^önl^eit ein !o!etteS
grauenjimmer gefd^affen, bie brei^ig ßiebl^aber ju
öertoalten l^at, burd^ bie ber Sla^fer!eit einen grau=
73] 2)er koiebergefunbene flfauft SefflngS. 355
famcn SBütl^crtdö, burd^ ben crften 5ßfQ^ am «^ofc
be§ fjftrften einen nur für fidfe unb feine Stellung
beforflten ©ttnftlingi unb ber arme SBogenfd^reiber,
bcn er jum glönjenben 9lbt)ocaten gemadfet, ift ber
unreblid^fte 9labulift getoorben, ber feinen ßlienten
nid^tS SBeffereS ju ratl^en toeife at§ ben TOeineib.
3)ic Flamen finb anwerft finnöott getoöl^It: ©röfin
©d^önl^citlieb, ?ftaufgern, ®raf ©orgenöott (toeti
er Beforgt ift) unb 2Baifen))lag. 3)iefe allegorifd^en
ßum))en erfd^einen auf hzn SBinI be8 ajlej)]^ift05
))]^ele8 unb reben frifdö Don ber ßebcr toeg, ba
jeber in S^uft feinen Vertrauten ju feigen meint,
3)ie 33ertt)anblung gefd^iel^t im Umfel^en. fjauft
mu§ Bei biefer ©elegenl^eit aud^ bie ©eftalt ber
gröftid^en Äammerjungfer ßifette paffiren!
©old&e8 3ßug, baS fonft nur in ben elenbeften
3auBer:poffen ajlobe toar, tooßte unfer tt3ieberaufs
gefunbener ßeffing in bie Bürgertid^e SEragöbic
einfttl^ren! ®aS ifl ber fjauft ol&ne alte 3ctuBerei
unb Sleufelei ! ©od^ id& Dergeffe immer, bafe e§ ja
ber gefto^lene ßeffing ifl, ber öerftol^Ien im ©adf
ftetft. ®er SBorberid^t, bie elenbe ©:prad^e, bie al=
Bernen S^uBereien, bie linbifd^en Slltegorien ge*
l^ören jum ©ai. 3e gröber baS 3ßug, je garftigcr
356 C^n litteratifd^er ^inbting aU SefjingS ^auft. [74
bic ©adlcintoanb, fic ijl nod& sarfttgcr qI§ fjatt«
ftoffs ^cmbeti; um fo feinet ber ©d^tauIot)f Don
ajcrfaffer, ber bie Äunft beS §e]^ter§ gu ü6en l^atte.
©nblid^ öffne td& ben ©ad, auf ben Snl^alt
begierig. 3^6 toill iefet nid&t ßeffingS Seftament,
fonbern baS il^m geftol^tene ©tüd!
Sttl^uriel unb 3}leJ)]^iftop]^eteS lQnt))f en um fjaufts
©eele. ©o oft fie gufammentreffcn, giebt e§ alle*'
mal eine l^eftige ©cene, loorin jeber b«n anbern
fo fd^ted&t maä^t, al§ er lann, unb immer tt3ieber=
l^olt, tt)a§ er fd^on gefagt l^at. 3m erften Slct
rebet St^utiel bem Sauft gut gu, unterl^ält il^n
t)on iJreil^cit unb Unjlerblid&Ieit unb bringt il^n
ju bem @ntf(i&tu§, fid^ bon ber geliebten §etena
gu trennen. SBarum gerabe Don biefer, ift nid&t
eingufel^en, ha man, tt)ie ber S5ertauf geigt, fie mit=
beffern lönnte. Slber loa§ toeife id& t)on ber 5päba=
gogif ber @ngel! ©teid^ barauf erfd&eint bie ge=
liebte <&elena unb ftöfet ben tUn gefaßten @nt=
fd^tuß »ieber um. @S bleibt altes beim 9llten.
5Rur ben!e man bei biefer «^etena ja nid^t an ettt)a§
©ried&if^eS, i^re eingige gried^ifd&e Sigenfd^aft be=
ftel^t barin, bafe fic fd&ted&te§ 2)eutfd& f^rid&t. ®er
crfte Slct ift aus.
75] ^tv toiebergefunbene f^fauft SefflngS. 857
2. ®cr jtocitc 3lct Beginnt toicbcr mit einer
3anlfcene gtoifd^en bcr l^immlifd^en unb l^ößifd^en
©jcellenj. 3)onn toerbcn bie attegotifd^en ßunH)en
auS9ej)Q(It, bie toir fd^on lennen. S^uft bebarf
einiger 3erftreuung nnb löfet fid^ Dom Äanimer=
biener ettt3a8 auf bcr §orfe t)orf:pieten, tooBei ber
ßammerbiener oud^ fingt. 2)er jtoeite Slct ift ouS.
3. 3m britten Slct feufat fjfauft, Iftfet 1td& aber
ba§ ©ffcn fd^meden. 3Jie:p]öiftop]^ete§ !ommt mit
fd&tt)erem ©efd&ü^, einer ©d^aar ,,fd&öner SDläbd^en",
bie ober bem ßammerbiener 6effcr gefallen aU
bem §errn, ber feine trifte @m:pfinbung nid^t lo§
toirb. ©agegen bringt aud^ Sitl^uriel fd^tt)ere§ ®e=
fd^ft^: SauftS belümmerte ©ttern, Stl^eobor unb
©Ufabetl^, bie ber Äammerbiener im erften Slct
weggelogen l^at. 3)q§ ®iner tt)irb geftört, bie
SSerfftl^rung modfet \\i) aus bem ©taube, unb eS
lommt gule^t gu einer red^t ernftl^aften S^milien»
fcene. 3)er Sitte lieft bem ©ol^n bie ßeDiten,
ajlutter aud&, beibe Dermünfd&en il^n, loerben aber
toeid^, tt)ie ber ©ol^n ju il^ren fjüfeen SBefferung
gelobt. aSater »eint, aJiutter aud^. 3)a feiert
9}le))]^ifto))]^cle8 jurüdE, mit il^m Helena, il^ren ©ol^n
6buarb an bcr §anb, ben fie auf ber ©teile ju
8B8 ein titterarifd^er gfinbring alS Scfflngg gfauft. [76
etmorben btol^t, toenn {Jouft xi)x nicJ^t treu bleibe.
aSater flud&t, ajiutter toeint. fjauft ift totrllid& in
einer J)relären ßage, er fud&t allen S^l^eilen geredet
ju toerben, inbem er ben SSater lieben unb bic
Helena belialten loiH. SQBieberum bleibt affeS beim
Sllten. 3Jiep]^iftot)]^ele§ aber finnt auf „neue§
aSergnügen". ®er britte 2lct ift au8.
4. aJitt btefem SSergnügen beginnt bcr bierte,
6s ift ein „SBallet, ber 3auberpalaft ber Siebe",
toorin Slntor unb S5enu§ bie Hauptrollen fpielen
unb alle 5ßerfonen fid& einmal in „rafenber ©lellung"
befinben. 2)ie Stellung ift rafenb, bie ©ruppen
bctoegt! 8llle8 fein aUegorifd^. ®odö fel^lt e§ nid^t
an bem meue tekel. 3fn „golbenen SSud^ftaben"
erfd&einen bie finftern SBorte: „Sauft, eS mirb
?lbenb!" ?lun tt)ill ber erfd^redte ^auft bem
Stl^uriel folgen, aber — erft morgen. ®ie Sllten
feieren jurüdC, bamit ber ©ol^n umfel^re, fie liegen
t)or it)m auf ben ßnien unb deinen beibe. §elena
toiU bie Hütte ber Slrmutl^ mit il^m tl^eilen, fie
rebet al§ treue ©attin, unb man begreift nidfet,
toarum fie brei 3lcte lang 3lot]^ gemad&t ^at. ®nb=
lid^ mu& ein ?ftud in bie ©efd^id^te lommen, ha%
3b^H lann loSgel^en. SBir erwarten, ba§ SSater,
77] ®er toiebcrgcfunbcnc fjauft ScfjlnflS. 359
SWutter, ©ol^n, ©d^toiegcrto^tcr unb @nlet fid^ ju
einem ftugolen ^Jrül^ftüd fe^en, toobet 3t{)uriel
ba^ Slifd&geBet öerrtd^tet. Slber ber @n!el ©buarb
fep. ®cr arme Sunge ift in hm §änben beS
3Kep^tfto^]^ete8, ber i^n als .©eifeel" feftl^ött, btc
fci&öne fjamitienfcene unter6rid&t unb feierlid^ er=
Hört, bie 3eit be§ 33unbe§ fei um, ber SSertrag
abgelaufen, ^auft bie mol^l ertoorbene 33eute ber
^oHe. 3e^t ma(i&en fid& bie Sllten baDon, fjauft
tt)ünf(i&t einige Seit jur Ueberlegung, man loeife
nid^t, wag bie Ueberlegung l^etfen folt, aber er gel^t
ab, nur Helena bleibt unb legt fid^ aufs Sitten.
2ÄeJ)]&ifto:p]^ete8 t)erf:pri(i&t il^r bie Slettung be§ ®e=
liebten unb ben ©ol^n alg Slgio, unter ber 33e=
bingung, ha^ fte ben JBater, ben guten alten
S^eobor, im @d&laf tobtet, tt)a8 il^r natftrlidö
einige @Iru))el öerurfad^t. JBorl^er l^at fic ettoas
2Äebea gefpielt, je^t fott fie ettt)a§ Üab\) ajiacbetl^
fpielen. 2Äan mer!t, ber JBerfaffer l^at t]^eatra=
lifd^e SleminiScengen. @S folgt eine fel^r gerül^rte
©cene gtoifd&en fjauft unb Helena, bie mit ben
tiefgefttl^Iten SQBorten ber le^teren beginnt: „Sd^
liege an beinem SSufen, id6 toafdöe bid& mit meinen
Sll^ränen!" SSieffeid^t öerratl^en biefe legten SBorte
860 «in litterarifd^et Ofinbling aU SeTflngS ^auft. [78
anäi SRcinltd^IcitSflcfül^I. ©ic ift cntfd^Ioffett, ben
©clicBtcn gu retten, maS fo ötel Bebeutet, als ben
Sitten abmurffen. 3ule§t nimmt ber getoafdöene
Sauft toel^mütl^tgen Slbfdfeteb Don feinem Äammer=
biencx, ber anä^ »el^mütl^ig geftimmt toirb, toomit
ber Dierte Slct enbet.
5. 3m fünften SIct fallen bie ßeute toie bie
gfliegen. aJle:p]^iftop]^cIeS fd^Wgt mit einer Ätat)j)e
nid^t Bios jtoei , fonbern brei, S)cr afte fjauft l^at
il^n erBoft, toeil er ben ©ol^n faft Belel^rt l^dtte,
er mu§ umfommen: ba^ ift 3lr. 1. Helena bient
nur ber 9lad&e be§ SleufetS, »öl^renb fie glaubt,
jum aSeften beS ©elieBten ju l^anbeln, fie toirb
burdö aSetrug jum 2Äeu(i6eImorb, burd^ bie @nt=
tdufdfeung jum ©elBftmorb getrieben unb l^offent«
lici^ bie Seute ber §ölle: biefer Heine SJebengetoinn
ift 3lx. 2, Sauft felBft ift bie britte fliege.
aJleJ)]^ifto:p]^eIe8 erfudfet il^n, fid^ mit eigener ^anb
aus ber SBett gu fd&affen, unb gönnt il^m bie SBal^I
gtoifd^en ©d^toert, 3)old^, ©ift unb ©tridf. 6r Der»
giftet fid& unb fielet fterbenb, tt)ie bie ©eliebte
feinen SJater umbringt. UeBrigenS leBen alle brei
fo lange, bafe ber SJater nod^ 3ßit ^at, ben ©ol^n
unb bie SDlörberin gu fegnen unb ©ott um @r*
79] 2)aS Crgebntg* 861
barmen gu flcl^en, in toctd^e« ©ebct fjauji ctn=
ftimmt» 3n biefcm crbaultd^cn SJlontcnt fti^Iögt
bie aJltttcrnQd6t8ftunbc, bie 5ßofQune bc8 ©crici&tS
ertönt ober, lote fid6 ber SSerfaffer Iragifcä^ aug«
brüdtt, fie „röchelt". TOep^iftop^eleS erfi^eint im
^öttcnloftüm, Stl^uriel in gldnjenbcr ^immelS»
geftalt, beibc mit ©ort^ge, unb ber gute @ngel
t)er!ünbet, ba§ ®ott gerid^tet unb in feiner a3Qrm=
^erjigleit berjiel^en f)abt. Snbe gut, alles gut!
tt)ürbe iä) jagen, tocnn nid^t SDle^^iftop^eleS bie
©ad^e fo ernftl^aft nöl^me, ba^ er mit feinem
ganjen ©efolge ju 33oben ftürät. 3d& miH i^n
aufrid^ten. 6r t^eile fid6 mit feinem ^immlifd&cn
Stntipoben 6räberUd& in btn fjauft, (äffe jenem bie
©eelc unb begnüge fid^ mit bem ßeib. 6§ gab
I)ier in ©ttbbeutfd&Ianb t)or Salären einen ©d^ul»
rector, ber in einer feierUd^en Siebe ba8 mir un=
oergefelid^e SBort an^\pxaä): „2)er ßör:per ift ber
ebeljie Z^txl beS 2Äcnfd&en nad^ ber ©eele!''
3d& l^abe ben ©adf geleert bis auf ben ©runb
unb nid^tS gefunben als — ©ädfe, angefüllt mit
©tro^!
362 C^in littetarifd^ex flfinbling atS SefflngS ^auft. [80
SQBo ift bic Bütgcriid^e Strogöbie? ©ott bie
©tDiUfirung ettt)a barin Bcftcl^cn, ba§ man ou§
betn 5amulu§ einen ßammcrbicner gemad^t l^at?
3)ie ©tto]^:pup^c , bie l^ier aU »Sol^ann Sauft"
figurirt, brandet leinen gomuluS; in bem 5|Jalaft.
hzn biefe @tro]^:pup^e betool^nt, ift au(j& nid^t ein
SBinleld&en t)on ©tubirjimmer. ®er ©runbjug
beS ßeffingfd&en fjauft ift bie SBifebegi erbe; biefen
3ug l^at ßeffing fo fel^r jur ^anpthä)^ gemad^t,
ba§ er in bem ©l^aralter feineä ^auftö il^n allein
erleud&tet l^at. ®r tDufete toarum. ßein Streif el,
ba§ in biefem Sn^z fein gtoeiter gauft bem erften
gleidö tt)at, Unb biefen ©runbd&aralter l^at ber
SBerfaffer unfereS ©tüdeS fo grftnbtid^ bcrfd^ioiegen,
bafe er il^n aud& nid&t mit einem (eifen SQBörtd&en
öerrätl^, aud^ nid^t t)on fern al^nen Iö§t, öielmel^r
toenbet er jur JBerl^eimüd&ung beSfelben ba§ t)ofi=
tiefte SJlittel an unb mad&t au§ feinem fjauft
einen — ©tro^o^f. 5Run ratl^e nod^ jemanb auf
ßeffing!
SBo ift bie t)erf:prod6ene Slragöbie „6f)x\t alle
Sleufelei"? 3)a§ fpuft ja Don oben big unten baS
gange ©tüdt l^inburd^. ©oH etioa ber ßniff barin
befleißen, ba§ Sngel unb S^eufel fünf 9lcte lang
81] %ai (it^ttni^ 868
incognito l^erumtaufen, toie toeitanb ^Ptinjcn unb
3Jliniftcr in her ßotnöbte, unb erji am 6nbe bcn
Uc6etjic]^er Quffnö:pfcn unb bcn Orben feigen laffcn?
®q8 ©tüd ift frciU(i& ein Unicura; c8 ift in
bet fjaufttitlcratur eingig in feiner Wci, eS ift bcr
einjige Sauft, ber gar leiner ift, ber aud^ nid&t
ein ©tauberen t)on bem l^at, toaS man fauftifd^
nennt. SBäre biefer Sol^ann gauft anonym, toie
fein aSerfaffer, fo toürbe bei einer fold^en Sigur
unb einem fold^en ©tüde ber 3lamt Sauft felBft
feinem Herausgeber nici^t einfallen. Unb il^m
lonnte beilommen, ba^ Ceffing ber SSerfaffer fei,
ber mutl^mafef id&e ? Safe in biefem ©trol^fad
Cef fings gtoeiter Sauft ftede ? Unb eS giebt 3eit=
fdöriften, bie bei biefem SBecftfelbalg, ben man
Cef fingen unterfd^ieben möd&te, ©eöatter [teilen!
©d&limm genug, ba§ in 3)eutfd^Ianb faft ein ^af)X'
l^unbert nad& ßeffingS Stöbe eine fold^e 5|Jrobe beS
Ungefd&madS unb ber Unlritil an ben SEag treten
fann, für beren 3lbleger ßeffing niä^t bloS um«
fonft, fonbern gar nid&t gelebt l^at!
@S fd^eint, Stanlenburg ^at fid& geirrt. @r
fagt in feinem belannten Serid^t: ,,3u fürd^ten ift
nid^t, ba§, toenn ein Slnberer mit biefer Verlorenen
Stuno ^i\äitx, jtleine ©d^riften. 25
364 C^n littetatifd^ei; ^inbring al8 SefflngS ^auft. [82
fjcber fi(S folltc fd^tnüdcn »ottcn, ber Sctrug nid&t
cntbcdt tocrbcn toütbe, bcnn toaS man Don bcn
SBcrfcn bc8 §omer unb ben 3bcen bcS ©l^alef^eare
fagt, gilt mit eben fo Dielem 9led^t Don ben Sir«
Beiten ßefftngS, unb ber Verloren gegangene fjauft
gel^ört ju biefen." 5Rein, er fott fici& nid&t geirrt
l^aben!
®ie äußeren ©rünbe, bie ben meiflerl^aften
©d^Iu6 ju SBege gebraut, iene§ ©tüd lönne ßeffingS
Verlorener S^auft fein, finb nid^t um ein §aar
befjer, aU bie inneren. Sfm Saläre 1775 fott
ßeffingS fjauft abljanben gefommen fein, in b^m-
felben Saläre erfd^eint irgenbioo ein anonymer
gaufl, alfo ift biefer Slnon^muS mutl^ma^lid^ßeffing :
bie§ iji ber ©d^Iufe, ben man „eine ©^ur Don
ßeffingS fjauft" genannt l^at! SBarum nid^t lieber
umgefel^rt fd^liefeen: tt)enn ßeffingg S^auji, toie bie
©age gel^t, jur Oftermeffe 1775 in einer Äiftc in
ßeipjig Verborgen lag, fo ift fd^toerltd^ anjuncl^men,
ba§ er in bemfelben Saläre in ajiünd&en gebrudt
erfd^ien!
3)od^ id& Dergeffe ben ©ebutanten, ber nad6
bem Sl^eaterfalenber „ben3Jlet)]^iPo:p]^ete§inßeffing8
Stol^ann ^auft" gefpielt l^aben fott. 3)iefe SRotij
88] S)aS C^TgefiniB« 865
l^at tnon ftd6 bcrgeftatt gu ^erjen gelten laffcn, ba^
man ben ßopf barüBer Dcriorcn, ben »iTlIid^cn
ßeffing gang bcrgcffcn unb ben erftcn bcften 30=
l^ann O^aufl, bcr um bic iUiijt 3eit auf bcm
a3ftd6ermar!t crfd&tcn, für ßcffingS feinen angefel^en
l^at. §etr SBalbl^err, ber 3)eButant au8 bem
SEl^eaterlalenber t)on 1779, ift baS Srrlicftt getoefen,
bem man l^eutjutage nad^gelaufen ift, im SBal^ne,
ßeffing auf ber ©pur gu fein, Bis man rid^tig im
©umpf lag Bis üBer bic Dl^ren. 3lun l^ftlt man
ben ©umpf für ßeffingfd^eS DuetttDaffer.
33eiläufig fei Bemerft, ba^ ßefpngS 2)id6tung
nid^t „Sfol^ann Sauft" ^ie^, fonbern „Dr. fjauft''
unb nie anberS, too immer baöon gerebet toirb.
3)er SWame Sol^ann ftammt au§ bm SBoIIsBüd&ern
unb bem SBoßSfd^aufpielc. ®8 lönnte ja fein, ba^
in bem SSoItSfd^aufpiet „Sol^ann ^Jauft" bie ©cene
ber ©eifterBefd&toörung einmal nadft ßefftng gefpielt
ttjurbe, unb nun ha^ gange ®ing auf bem %^takx=
gettel „ßeffingS 3o^ann gauft" l^icg.
W>n feit »ann gilt üBerl^aupt ber Stl^eatergettet
einer SBanber* unb 2Bin!eItruppe für eine litterar^
l^iftorifci&e Duette? „ßeffings Sol^ann gauft" »ftre
25*
866 Sin Ittterarifd^ei; ^inbUng aI8 ßefringg ^auft [84
nid&t bic erftc Oügc, bic auf einem SEl^coterjettel
gejianben.
^ij toeife ntdöt unb l^abe gar fein Sntereffe,
es ju etgrünben, toer bicfen „Sol^ann fjauft" ju=
fammengefubclt l^ot, ober id^ l^abe mid^ bei bcr
ßectüte nid^t beS @inbrudg erioel^ren lönnen, ba^
ber SBerfaffer eine SJlifd^ung toar t)on ßitterat unb
Äomöbiant, ein baöongelaufener ©tubent, ber Qn=
fing Sll^eaterftüdfe gu fd^reiben unb mit SBinIeI=
fd&Qufpielern ju Dagabonbiren. ®a8 3;]&emQ t)om
gauft lag in ber ßuft, unfer SJlann toufete, bafe
man Don ßejfing eine fjaufttragöbie mit großer
@))annung ertoarte ; er mad&te feinen @rfttinggt)er=
fud& im ®rama unb fd^rieb einen „Sol^ann fjauft",
er tüollte aud& einen ©rfttingSDcrfud^ auf ber SBül^ne
mad^en unb bebutirte in ©unfelSbül^I ober fonftloo
mit feinem eigenen 3Jle))]^iftop]^cle§; ber 3Jiann toax
©rünber in feiner 3lrt unb l^ielt c§ für ebenfo
))rofitabet tt)ie fidler, auf bem SEl^eaterjcttel in
®un!et§bü]^l bie Heine Sätfd&ung auSjupofaunen :
«ßeffings ^ol^ann fjaufl". STuf ä^ntic^e Slrt
finb in ber ßitteratur jal^Hofe^öIfd^ungen entftanben.
SBie toftre eS, loenn unfer SDlann „SBalbl^err"
gel^eifeen? @o l^ätten unfere Iieutigen ßeffingfpürer
86] <!)qS ^geanig. 867
toenigftenS batin eine feine 9lafe gel^abt, bafe fie
gtoifd^en bem Sol^ann Sauft, tootin ber ©ebutant
bcn 30'let)]^iftot)]öcIcS fpielte, unb jenem anonymen
©tücf, baS 1775 in SÜJlünd&en erfd^ien, eine gel^eime
SBegiel^ung l^etauSgetoittert. 3d& toütbe il&nen biefen
S^tiump]^ gönnen.
SÜJlein ©efd&idötd&en ift gleid^ gu ®nbe. ®et
SCl^eaterfalenber bringt nodö eine artige SRotig:
„§err SBalbl^err mufe nid&t gefaÜen l^aben, benn
er t)ertte6 nod^ in bemfelben Sfal^r bie ©efeÜ=
fd&aft". SBieüeid&t ging er nad^ 50lßnd^en unb liefe
fein t)er!annteS ©tücf brucfen. ®a8 ^ßublilum
l^atte il§n unb feinen Sfpl^ann Sauft ausgepfiffen.
* ♦» >
368 dHn f^auft'GonttnentatoT. [86
(Kitt imp^^mmtniijAi^x.'
®g ift foeben ein fel^r tl^eureS unb cor^)uIentcS
SBct! in einem Umfange öon mel^r atS 65 SBogen
unter folgenbem Slitel erfd&ienen: „Sphinx locuta
est. ©oetl^eS Sauft unb bie SflefuUate einet
rationellen JDletl^obe ber Sorfd&ung t)on
5erb. Slug. ßouöier."* ®er Slitel l^at auf ben
erften SBIicf ettoaS SBerblüffenbeS unb foll e§ l^aben,
toenn bie @inbrücfe beS ^ßublilumS mit ber Sled^s
nung beS 35erfaffer3 übereinfiimmen. 3emanb l^at
gefagt: e§ gebe ßeute, toeld^e ©oetl^eS ^auft für „bie
grofee @l)l&inE ber beutfd^en ßitteratur" l^alten. ®er
SBerfaffer gel^ört ju biefen ßeuten, er l&ölt ben
©oetlftefd&en Sauft für ein „ ^tätl^fettoer! burd^
unb burdö".
» JBeilaue aur Slflaemeinen 3eitunö. 1887. STlr. 15.
©onnabenb, 15. ganuar.
2 3« 8toei Steilen. (JBerlin. ©eorge u. Siebler. 1887.)
87] S)er Ziitl beS SOßer». 369
SBcnn in fitd^Iid^cn ^tagen bic l^öd^fte 9lutotität
il&rc ®ntfd&ctbung getroffen l^at, fo l&ei^t eS: «Roma
locuta est». SBenn bie @l)]&inj il^ren 50lunb
öffnet, fo Iä§t fie jene« 9tät^fel ertönen, toeld&eS
Debipug gelöft l^at. 3n bem öorliegenben SBerfe
fotten nadb ben öergebüd^^ti Söeftrebnngen eines
l^dben Sal^rl^unbertS gum erften mal enblid^ unb
ilüdliä) alle Sflät^jel gelöft fein, bie ben 3n^alt
beS ©oetl^efd^en O^auft auSmad^en. S)aB biefen
©inbrucf ber obige SCitel l^eröorrufen ntöd&te, ifi
lein 3toeifel nad& bm gro§fl)re(Jöerifd^en 9ln!üns
bigungen, bie bag SBer! augt)ofaunt l^aben unb in
il^rer jüngfien Raffung aud6 mit brei günftigen
9ltteften öerfel^en finb, beren SBerfaffer fid^ tool^I
gefd^meid&elt füllten, auf bem ßiebl^abertl^eater ber
bud&l^änblerifdöen ^zclamt bie SloIIe t)on STutori^
täten ju f fielen.
$err ßouöier l^at bem ©oetl^efd&en ^auft bie
9iotte ber mobernen ©l)]^inj unb fid^ bie beS
mobernen DebipuS gugebad&t. ®iefe ©pl^inj rebet
im Sauft unb in bem öorliegenben SBerle nur,
fofern ber Sauft barin abgebrucft ift; ber eigent»
ü(j&e 9iebner ift ber rätl^fellöfenbe SSerfaffer beS
SBer!e§. 6r l^ätte bal^er rid^t fagen foüen: «Sphinx
870 Qin flfauft'eoinmentatoT. [88
locuta est», 9lun, er l^at fid& mit bctn DcbipuS
unb bcn Ocbtt)u8 mit bet @l)]^iTij t)ertoed&felt!
©0 unt)erftänbt8 unb anmafecnb i[t bct SEitel ge-
toöl&ft nad& bct cinjig öerftänblid^cn SluSicgung,
bic man il§m geben fann.
3nbeffen %at bet SJetfaffet feinen Sitel im
SJetlaufe beS SBetle« auf anbete 9ltt gebeutet,
abet toit muffen übet 600 ©eiten lefen, Bet)ot toit
(IL @. 170) l^öten, toaS et meint. ®t meint
ja nid&t bie ©t)]&ins t)on Sl^eben, fonbetn bie
„Q^n^iinit** in bet claffifijen SBalputgiSnad^t öon
©oetl&e. S)iefe ©^inje finb nämlid& nad& bet (St^
IWtung unfeteS Debi})u8: .baiJ Stlpl^abet, bie
Gonfonanten, bie Sud&fiaben*'. ,,3)enn bie fön^
ftaben ftnb fflt leben Uneingeioeil^ten tötl^fed^afte
3eid&en, b. 1^. @J)^inje. S)ieS betoeifen bie d&inefi=
fd^en SBud^fiaben auf jebet SEl^eefifte," SHfo finb
bie @))]^in£e bie SSud^ftaben. @o fielet teöttlid^ ju
lefen II. @. 166. 9lun ift bie ßtflärung gegeben,
bei £)ebi))ud l^at gefptod^en, mit l^aben ni$t ju
fragen, toatum bie @))]^inse bie 93ud&ftaben finb,
fonbem und nur gu metlen» bag fie ed finb. @S
gilt )}on ie^t an a{d eine be!annte äSBal^tl^eit.
@Ietd& auf bet nftd^ften @ette l^eigt ed: •2)ie
89] <!)er Ziitl beS aOßerfö. 871
Hört fid^ ber ©inn il^tcr SBortc, btc fic an ben
30'le|)]^ipot)]^eIeS rietet: w®u ntagft nur immer
bleiben, wirb bid^'8 bo(i& felbft quS unferer Sölitte
treiben".
®ie @t)]^inE ift baS 3ni)]&abet, tool^Igcmerft
baS gried&ijd^e: bie SÜJlitte ber brei erften Su(i&=
jiaben ifi S3eta, abgelürät „33et", ber gmperatiö
t)on beten. „®aS toirb ben Slenfel fid&er forttreiben."
©0 ftel^t tt)örtlid& H. ©. 170. Smej)^ifto»)]^eIe8 Qnt=
toortet: „3)u bift red^t oppetitlid^ oben anjnfd^Quen,
bod& unten l^in, bie SBeftie mad^t mir ©rouen".
®ie ©pl^inj ift baS Sttpl^abet, mol^Igemerlt
baS franjöfifd&e: «Alphaböte», toie ber 35er=
foffer fdfereibt. „®a§ Alpha Hingt red^t t)übfd&,
aber weiter unten folgt une bete." ©o ftel^t
wörttid^ ju lefen auf berfelben ©eite. Unfer DebipuS
triumpl^irt als @ntbedCer: „®ic Jßetferei ift fel^r
gefd^idft Verborgen bis auf biefen Stag".
5lun er!(ärt fid^ erfl fein SCitet: „SBenn in ber
gauftfprad&e bie ©J)]öinE ber S3ud&ftabe ift, bann
]^at in biefen SBIättern ber SBud^ftabe, alfo bie
©pl^inj gerebet. 5lid^t alfo ift ein ©inn n)ittfür=
lid^ l^ineingelegt in baS ©oetl^efd^e SBer!, fonbem
872 C^n fJfauft'(£oinmentatx)v* [90
bic 2ltbett l^at pd^ bis inS (gtngcinc genau an bcn
SBud&ftabcn itfjalkn, unb nid^t bcr SSerfaffcr, fon=
bem bic ©oetl&cjd&c Slrbeit jclbji ^at gctcbet, bud^-
ftäblidö genau." SBenn bcr Stitel nadö unfcrer
3lu8legung in feinet Slbfid&t t)etftänblt(jö genug,
in feiner Raffung fel^r löd&erlid^ toar, fo ift er nad&
be3 SBerfafferS eigener naij^träglidöer SluStegung
öötlig finnloS. SDiefe Erläuterung beS SitelS ift
fd^on l&inreid&enb, um ben ßefern bie STugen gu
öffnen über bie ©eifteSart be§ ganjen SBerfe. SBir
fagen mit SJlepl^iftopl^eleS in ber ^eEenfild^e: „S)a3
ift nod^ lange nidE)t Dorüber, id6 !enn' e§ mol^I, fo
Hingt ba§ gange 93ud&, id^ l^abe mand^e 3eit ba=
mit verloren".
IL PU brei ^anflfpxa^m.
1. S)er breifad^e Sfau{t))Ian,
„®a§ ber 5pian beS 2Ber!eS einl^eitUd^ auS
einem ©uffe gefd&affen fei", bel^auptet ber SJers
faffer (I. 49), un6c!ßmmert um bie l^iftorifd&e
©oet]^e=3orfd6ung unb il^re Stefultatc, bie man be=
ftreiten unb, toenn man lann, toiberlegen möge,
aber nid^t ignoriren barf, benn bie Untoiffenl^eit
ift in einem fold^en ^alle mol^I ein ©runb ber
®r!Iärung, aber nid^t ber ©ntfd&ulbigung. ®a8
91] 2)ie brei (Jfauftfprad^en. 873
%^ma bcr ganjcn ©id^tung beftcl^t nad^ §crrn
ßouöicr in einer pl^ilofopl^ifd^cn ©runbibee, toeld&e
©oetl^e in eine ^teil^e öon SSilbern öerfleibet l^abe,
fo ba% feine SBorte im gaufl ettoas gang anbereS
Bebeuten, afe fie befagen. ®er ®id&ter rebet burd^«
gängig eine aUegorifdöe @t)ta(j&e, bie bisl^er
niemanb öetftonben. @rft mufete ber ©d&Iüffel
gefunben toetben, um bie SBilbetfprad^e gu ent=
jiffern, in toeld^er ©oetl^eS Sauft gefd&tieben ift.
®iefen ©d&tüffel nennt unfet SSerfaffer bie „Sauft =
©pradöe" unb fid^ ben (SntbedCer berfetben. ®t ift
babei fel&r rationeÜ gu 2ßer!e gegangen, gteid&
benen, meldte bie $ierogt^))]^en unb bie RüU
fd^tift entratl^felt l^aben: erft l^at er mül^felig ein=
gelne Slätl^fel gelöft, bann mit bem gewonnenen
ßid&te bie übrigen. @o ift er gleid^fam ber 6]^am=
t)OÜion unb Surnouf be§ ©oetl^ef d^en Sauft getoorben.
@r l^at weiter entbetft, bafe ber Sauft eigent^^
lid& in breiSprad&en gefd&rieben ift, ober bafe feine
SBorte, ^ßerfonen unb ©cenen je brei Sebeutungen
l^aben: bie erfte ift bie bud^ftäblidöe, bie gtoeite
bie |)]öiIofot)]^ifd&e, bie britte bie geitgefd&id&t=
lid&e ober, toie fid& ber SSerf affer auSbrütft, „bie
cuItureUe". ©oetl&e l^at gePiffentlid^ feine ®id^=
374 (Sin Ofauft>(£ommentQtov. [92
tung in biefen brci ©tagen gebaut: bieS nennt
unfer SSerfaffer ben „^an^-^lan", t)on bem U^-
^tx niemanb aud& nur eine leife Sll^nung gel^abt
l^abe; er nennt bie brei ©tagen aud& „ben poetifd^^n»
t)]&iIofol)]^ifd6en unb culturellen S^aufl". Sin Sei«
f|)tel mad^t alle« !Iar. „Unb bieS gel&eimnifeöolle
33u(^ t)on 9loftrabaniuS eigner $anb" u. f. f.
3ni ^)oetif(Jöen Sauft begeid^net biefe ©teile ben
franjöfifd&en 9lftroIogen Michel de Notre Dame, im
pl^ilofopl^ifd^en bebeutet «Nostra damus» ©oetl^en,
unb baS aSud^ bebeutet feinen Sauft: toir geben
unfer SBer!; im cuItureHen ift 5loftrabamu§ =
©toebenborg. ©o ftel^t toörtlid^ ju Icfen I. ©. 96.
2. 2)aS bteifad^e ©tetd^en.
©retd^en l^at aud& il&re brei ©tagen: im l)oetifd&en
Sauft ift fie ©retc^en, im pl^ilofopl^ifd^en bebeutet fie
„bie 9lait)etät" unb im culturellen „ben Untere
gang beS JDleiftergefangS". 3)ie ©cenc „Slrüber
Sag, Selb" bebeutet „baS ©rfd^einen ber 2BoIfen=
büttler S^ögmente", ber Sftabenftein bebeutet „bie
©d^rift beS $aul)tt)aftor8 ©ö^e" u. f. f. S)er
SSerfaffer l^at fünf Saläre gcbraud&t, um ©oetl^eS
Sauft auf biefe 2Beife ©d^ritt für ©d&ritt ju
bed^iffriren. ®afür erntet er nun bie ©enugt]^u=
98] 2)ie brei f^auftfptad^en. 375
ung auf bcm Slitel feines SBerleS: l^tet fielet nid^t
Bios «Sphinx locuta est», fonbetn aud& „bie
Olefultate einet rationeUen Söletl^obe ber
5otfd&ung öon ^erbinanb Stuguft ßouöiet".
3. ^h üantifd^e SJetnunftftiti! unb bte ^inl^eit beS
(Boetl^efd^en Srauft.
5DaS burd^gängige %^ema nämlid^, tDeld^eS
©oetl^e in feiner ©id^tung ausfüllten tooUte, toax
bie ffiatfteHung aUtx Srtgänge beS SBetftanbeS auf
feinem 3Bege jut SSetnunft, toobei bie Äantifd^e
aSetnunftftitil füt eine Oleil^e öon ©cenen, inS=
befonbete ffit bie SBalentinfcene, bie Einleitung in
bcn jtoeitcn Stl^eil unb ben ©d^lufe beS ©angen
gut mafegebenben Slid^tfd&nut gebient l^abe. Sa-
turn l^abe ©oetl^e aud& mit bet SSottenbung bcS
gtociten Sttjeils fo lange gegögett, meil bie S5ct=
nunftlritil t)ot]öetge]^en mufete. 3)iefe etfdEiien 1781,
bet gleite Sll^eil beS ^auft mutbe genau fünfgig
Salute fpätct öoHenbet! Unfet tationeller ^otfd^et
l§at alfo etgtünbet, bafe „bet ^lan beS ©oetl^efc^en
Sauft einl^eitlid^ auS einem ©uffe gefd^affen", in»
gtoifd^en abet ßants Ätiti! bet teinen SSetnunft
etfd^ienen fei, toaS gut ^olge l^atte, bafe bet gtoeite
S^l^eil beS ©oetl^efd^en SBetleS etfi ein l^albeS Sfal^t«
S76 (Sin Ofauft*eommentator. [94
l^unbert naij^l^cr gu ®nbc gcfül^tt toutbe. SBörtlid^ :
„®8 fotgt fogar bcr SRad^tociS, bafe baS lange
Sögem beS 3)id&tcrS, bcn jtocitcn %^nl gu licfetn,
feine Urfa(j&e l&at in ber ingtoifd^en etfd^ienenen
ßtiti! bet reinen SSetnunft" (I. 318).
Sauft ift ber SJerftanb. SDie Sfrrgänge beS
SSerftanbeS finb feine „SSerbinbung" 1. mit bem
SBiffen: bieS ift ber erfte 3lct, 2. mit ber gebanlen=
lofen 3ugenb: bieS ift 2luerbad^§ ßeUer, 3. mit
bem gebanlenlofen 9Hter: bieS ift bie $ejen!üd&e,
4. mit ber Jlaiöetöt: bieg ift bieOretd^entragöbie,
5. mit bem SBal^n: bieS ift bie aBaIt)urgiSnad&t,
6. mit bem ©d^ein: bieS ift ber .^of beS ßaiferS,
7. mit ber SfUufion: bieS ift bie ^elena, 8. mit
ber ^errfd&aft: bieS ift ^l^ilemon unb SSauciS,
9. mit bem Stoeifel: bieg ift bie ©orge, 10. mit
ber Stl^at: bieS ift fjaufts ^Rettung unb §immel=
fal^rt nad^ ber ©d&ablone ber Äritil ber reinen
SSernunft.
®ie ©inne finb ber «Pater profundus», bie
transfcenbentale 3le|i]^etil ber «Pater seraphicus»,
bie tranSfcenbentale ßogil bie ßngel, bie tran§=
fcenbentalen Sfbeen „bie feiigen ßnaben", ber tran8=
fcenbentale 3fbeali§mu§ ber «Doctor marianus» unb
1^
95] S^xt brei Ofauftfpiad^eiu 377
bic SSemuft bic «Mater gloriosa». (I. @. 8 — 10,
IL 466 ff.)
4. S)a8 afauft-SGÖörtetbud^.
3lIIe btcfc Einfälle tnu^tc ©oetl^e affegotifdö
barftettcn utib in Silber öerfleibcn, idqS nur burd^
bic @rfinbung einer ganj aparten „5aufl=@))rad6e"
unb eines „Sauft*® tctionnatre^jubetoerlftclligen
toar, baS nun bie rationette SÜJletl^obe ber Sorfd&ung beS
^errn ßout)ier enbUd^ glüdlid^ anS ßid&t gebrad&t
l^at. Sauft iji ber SJerftanb, biefer tool^nt im
©el^irn; bal^er Bebeutet ba§ SBort ©tabt in ber
Sauftfpraci^e bas ©el^irn: mitl^in SKauer =
©d&öbel, aKauerl^öl^Ie = Stugenl^öl^Ie, ba§ finftere
l^ol^Ie Z^ox = 50lunb, bun!fer ©ang = Äel^Ie,
Sl^ürban! = ßit)t)en, ©retd&en = S«ait)ctät, bie
Smutter ©retd&ens = Unbetoufetfein, Valentin ber
JBruber = gefunber aWenfd&enöerftanb u. f. f. (I.
©. 20—25.)
3Kit $ülfe biefer gel^eimen ©praci^e l&at ©oet^e
feinen gauft gemaci^t, er l^atte fein Jafd&enbiction::
naire unb üBerfe^te im ©titten feine ©infötte aus
ber fjauftfprad^e in bie getoöl^nlid&e. Sülit ^ßlfe
biefer neuentbedEten ©prad^e l^at unfer rationetter
Sorfd^er atten ßefern ben ^auft öerftänblid^ ge=
878 Qrtn (Jfauft-(Sommentatot. [96
mad&t, baS ©icttonnatrc ift ba, fie Brauij^en HoS
tia(J6äuf (flogen, gum Sctfpicl: ©rctd&cnS aJlutter
toirb burdö btci Stopfen eines @d6Iaftrun!§ ge«
tobtet; es loäic gang entfe^Kd^, ober gIüdEIi(J&er=
toeife aud& ganj falfd^, loenn man baS toörtUdb
öerftel^en toollte: ba§ l^eifet ol^ne ©tctionnatre. ®ie
aJlutter bebeutet baS Unbetoufetfetn, biefeS toitb
getöbtet burd^ baS SBetoufetfein ober baS ^S^, toeld&eS
au§ bret ßauten befielet. SBenn man biefen Un=
finn, ber I. 25 ju lefen fielet, l^inuntergetoürgt
l^at unb ben rationellen ^orfd^er fragt: „3tber
toarum finb SCropfen = Saute?", fo antwortet er
fiegeSgetoife: „®aS lel^rt bie 5auftf))ra(J6e, fd^Iagen
@ie gefäÜigft baS Sictionnaire nad&!" ^tidfetig, ba
fielet eS! SÜJlit einem StuSbrutfe freubigfter a5er=
tounberung, bie er bem ßefer mitjutl^eilen münfd^t,
J)flegt ber rationelle fjorfd^er gu öerfünben, ba§
feine ©rHörungen mit ber „3auftf))rad^e" überein=
ftimmen. ®ie gauftf^rad^e folgt au8 feinen @r=
flörungen, unb biefe folgen aus ber 5aufift)rad6e,
id^ meine bie ©orte t)on Einfällen, bie $err ßou«
mer @r!larungen nennt. SBeld&eS tounberbare 3u=
f ammentreffen ! ®r fd^reibt in fein 3auft=®ics
tionnaire: „%xo)f\tn = ßaut" (I. ©. 25), unb
97] S){e brei Qfauftfptad^en. 879
bann fd^teifit er in feinen ©ommentat: „®ie SEtoJ)fen
Begeid^nen Befanntlid^ in ber ^Qufifprad&e ftetö bie
ßaute j)ber Sucfeftaben" (I. @. 323).
®q8 gauft'SBörterbnd^ ift bis je^t ein fel&r
magere« ®ing mit einer geringen Slnjal^t t)on
SBocabeln, t)iel ju bürftig für ben fleinen Äettner
fjranj in ber ©d^enle ju (Saftd^eat), beffen ganje
5Berebfam!eit ein ©tütf Sled&nnng ift! 3nbeffen
e2 toirb mit ber 3ßit toad^f^n. SDer SBerfaffer
red&net fd^on auf eine Sleil^e neuer Sluftagen feine«
SBerleS unb eine ©d^aar t)on 50litarbeitern, bie
Begierig finb, feinen Sftulöm ju tl^eilen, unb il^m
l&elfen toerben, ba§ S^auftsSBörterBud^ ju öermel^ren.
(ginige 5pröbd^en fotten bem ßefer jeigen, toeld^e
9lrt Srüd^te bie (Srfinbung unb 9lntoenbung ber
5auft=@|)rad&e in ben ©eutungen beS rationetten
S^orfd^erS ju SEage geförbert l^at. 3u ben IeBen3=
öottften Silbern, bie je gebid&tet toorben finb, ge=
l^ören im ffauft bie ©cenen öor bem Stl&ore. ©t)ajier^
gönger atter Slrt giel^en l^inauS. „9lu8 bem l&ol^len,
finftern Sll^or bringt ein Buntes ©etoimmet ]&er=
öor." SBaS l&at ber rationeffe ^orfd^er auS biefen
©cenen gemad^t? ®a§ l^ol^Ie finftere %^ox Be-
beutet in ber 3auft=©|)rad^e ben „aJlunb"; bie
st nno (Jfifd^er, StXtim ©d^riften. 26
830 <Sin {Jfauft-eommentatov. [98
©J)ajiet9än9cr aller 31 tt finb bal^cr „alle prbaren
Sleufeerungen be§ ©etjieS!" ®te ©ebid&te finb bie
©ölbaten, bie Oefül^Ie bie 3Kabc^en, bag 35oIfö=
lieb ift ba§ SBürgetmäbdöen, bie ©tubentenUeber
finb bie ©dualer. 3tu8 bem 50lunbe lommt ja au(6
ber SSefel^I: ba§ ift ber aSürgetmeifter ; audö S^rage
imb Slntroort: ba§ l^eißt SSettler unb 3Kmofen,
audö „SBottöerbrel^unflen". $ier ben!t ber 35er=
faffer auS eigenfter ©rfal^rung an ba§ Sölü^Irab,
toeld^eS ftd6 im Äot)fe l^erumbrel^t, nnb läfet barum
bie §anbn)erl§6urfci&en fagen: „SIBir aber tooUm
nad& ber SDlül^Ie toanbern". 3laä^ biefer ßeiftung
iriumpl^irt ber rationelle gorfd&er ü6er aÜe frül^eren
ßrllarer, ,,bie nid&t auf bie SBermutl&ung gefommen
finb, bafe man e§ l&ier mit SlUegorien ju tl^un
l^aben !önne". (I. ©. 122 f.)
Sluerbad&g ßeller Bebeutet in ber 3auft=@|)rad&e
bie aSerbinbung beS 35erftanbe§ (fjaufts) mit ber
geban!enIofen Sugenb : O^rofd^ ift bie SRafetoeiSl^eit,
Sranber bie SiteKeit, 3Htma^cr bie ßeid^tgläubig«
leit; ©iebel bie ©rofemöuligleit. „®er @(f)mer=
ianS) mit ber fal&Ien Patte!" Sie ^Platte Bebeutet
in ber gfauft=©t)rad&e „^ai^lopW ©iebel felBft
fd&reit: „mt offner SSruft fingt SRunba!" „Offene
99] S)ie brei ^auftfprad^en. 381
SBtufl" Bebeutet in bet 3auft=@l)rad&e „firofeeS
3l\xn tft baS Sflattenlteb ganj Kar: eS tft
bag @J)ottIieb auf bie ©rofemäuligleit ©lebete,
U)ie ba§ S^ol^Iteb ein @))ottIteb auf bie @itel!eit
beS aSranber. ®ie flöd&in bebeutet in ber Sauft^
©ptad^e „bie 2Biffenfd^aft", Sftattengift bebeutet in
eben biefer ©prad&e „Äenntniffe". „S)ie ®ro|=
möuligleit fann nur fo lange leben, ate fie nid^ts
toeife." Um fie ju tobten, ftteut bie ß5(J6in
SBiffenfd&aft bag Sftattengift ber Äenntniffe. @o
ftel^t au lefen I. @. 212. 2«tma^er ifi „bie ßei*t=
flläubig!eit". 6r glaubt, toaS er l&ört; aum §ören
braud&t er feine Dl^ren, bal^er ift er für feine
Citren beforgt unb ruft: „Sffiel^ mir, td6 bin t)er=
loren! SaumtooHe l^er! ®er flerl fprengt mir
bie Dl^renl"
SBein bebeutet in ber 5auft=@))ra(j&e „ben
geijiigen ©el^aft'' unb in 2luerbad68 Äeüer bie
^reigeifterei ober ßibertinage beS aij&tael^nten 3a]^r=
^unbertS, bie SBeinföffer finb freigeiftige Sd&riften
unb @d6riftftetter. SSranber fagt: „3d& tt)iü ©l^am«
t)agner". „Solan !ann nii^t ftets baS ^rembe
meiben, baS ©ute liegt uns oft fo fern." ®a8
26*
382 Sin f¥aufi*(Eommentator. [100
grcmbc bebeutet l^iet „baS SReue". „S)aS ©ute
Hegt uns oft fo fern" Bebeutet in ber S^auft«
©t)rad&e: „S)a§ 3leue liegt uns gar nid^t fern,
tt)lr ^abm eS aud^ in S)eutfd^tanb". SÄit ^ülfe
biefer rationellen STuSlegungSfunft, nad^ meldtet bie
SBorte bas t)ölliae ©egentl^eit t)on bem bebeuten,
tt)QS fie befagen, getoinnt l^ier ber SSerfaffer- eines
feiner fd&önften unb überrafd&enbjien SRefuItate.
wSin ed^ter beutfd^er SKann mag feinen Sranjen
leiben, bod^ il^rc SBeine trinft er gern". 9lun l^at
unfer rationeller {Jorfd^er entbedft, ba^ unter
r/Stanjen" leineStoegS, n)ie alle bisl^erigen ßefer
einfdttigertoeife gemeint l^aben, fjranjofen ju t)er-
jiel^en finb, fonbern — ,;5ranj5öloor!" „Sreitid^
mag fein ed^ter beutfd^er 9Äann eine fold^c ©anaille
teiben, toie ber S^ranj iWoor es allerbingS iji, aber
feine Sreigeijierei finbet bennod^ Slnffang bei ber
beutfd^en Sugenb." ©iebel bagegen finbet biefe
fjreigeifterei bitter. „33itter*' l^eifet in ber fjauft=
©J)rad&e ,,fauer". ®arum fagt ©iebel: „®en
fauren mag id& nid^t. ©ebt mir ein ©tas t)om eckten
©ü&en!" ,@ucö foir fogteidö SCofa^er fliegen." S)er
SCofa^er bebeutet nämtid^ hm „Oefterreid^er". ,,^ier
ift bie ßöfung fel^r leidet gemad^t: ber 3)on Sfuan
101] 2)ie eipfel beS UnfinttS unb ber Untoiffenl^ett. 383
tft gemeint mit feinet greigeifterei. SCreibt ber
^fiampa^mxl" u. f. f.
®et aSerfaffer fjat eS fid6 toirflid^ fel^r leidet
. gemad&t: er t)ertt)ed^felt nur ben Ungarn mit bem
Defterreid^er, ben SWoaart mit bem S)on 3uan
unb bm ßl^ampogner mit bem Solarer! S)er
leichtgläubige SMtma^er ift mit jebem SBein,
b. ^. mit iebem ©d^riftfteller, aufrieben, nur
ßl^ripian ßangS ©laubensBelenntnife mag er nid^t;
bal^er feine Slnttt)ort: ,,5Dlit jebem! SRur nid^t
lang gefragt!" S)iefe SBortc fd^reibt unfer ratio=
neffer gorfd^er folgenberma^en: ,;3Jiit jebem! SRur
nid^t ßang! gefragt." S)ie3 affeS ftel^t toMlxij
ju lefen I. 223 fg. 3iad& biefer ßeiftung lobt
ber SJerfaffer t)on neuem feine SSerbienfte, bereu
größtes in ber (Sntbedtung ber 5auft=@j)rad&e be=
ftel^t. „®iefe unt)ergteid^nd&e Satire lonnte in
äffen il^ren (Siniell^eiten nur mithülfe ber fjauft=
©t)rad6c t)erftänbUd& toexbm; ol^ne biefe n)äre fte
ett)ig unentbedft geblieben." (©. 219.)
®em »erfaffer ifl toirltidö eine Slrt ftunftftüdf
gelungen : er ]§at in ben angefül^rten Steffen ben
384 QHn Sauft'Sommentator. [102
®ij)fet beS UnpnnS auf bm ©tt)fel ber Untt)iffen=
l^eit gctl^ürmt. 3n SluerBad&S ßeller etitbedt btefct
rationelle tJorfd^er 3rnfj)ielun9en auf ©d&itterS
,,9läubet" unb SWojartS „S)on Sfuan". Sie ©cene
gel^ört nad^toeislidö gu ben älteften, bie t)oll(enbet
toarett, afe ©oetl^e im 9lot)em6er 1775 tyrauffutt
t)crne6. ©c^iüers „SRäuBer" erfd&ienen 1781,
aOlojartS „S)on 3uan" 1787. ®ie 3^auft=@t)rad&e
muB ©oetl^en fo l^eflfel^enb gemad&t l^aBen, bafe er
bie „SRäuBer" unb ben „®on Sfuan" fd^on lannte,
6et)or Beibe bas ßid^t ber SBelt zxbliät l^atten:
jenen minbcftenS fed63 unb bie[en ntinbcfienS jtt)ölf
Saläre frül^er.
S)aS ganje SBerf beS ^errn ßouDier n)immelt
t)on einer tJüHc unt)eranttt)ortnd6er Unfenntniffc,
bie toir nur ijorüBergcl^enb nod^ mit einigen S3ei-
fjjieten erleud^ten tt)oll(en. S)en Q)fxnä) «Roma
locuta est» Sejiel^l er auf ,,ba8 antue 9lom!"
„(Sx liegt in 5pabua begraben beim l^eitigen
SlntoniuS." ®ie[en tt)elt6efannten 23ettetmönd&, ben
©d^u^l^eiligen ber Siliere, bm ©d^üter unb 3laä)'
folger be8 l^eiligen {JranciScuS, l^ält er für 9ln=
toniuS, bm Sinftebler in Sleg^t)ten, ber in ber
SBüfte t)on teuflifd&en SSifionen gel)tagt tt)urbe unb
103] S)ct ©tpfcl bc8 .UnflnnS unb bcr Untoiffcnl^cit. 385
neun Sfal^rl^unberte t)ot feittetn itaUettifd^en 3?amen8=
brubcr gele6t l^at. SBie fommt bcnn bcr @in=
ftcblcr SlntoniuS aus $leg^t)tctt nad6 5Pabua? S5icl=
leidet l^eifet Slc9^t)tcn in ber gauft-©t)rad&c 5pabua?
3ur UntDiffenl^eU gefeöt ftd^ micber ber Unftnn.
„S)er ®inftcbler tt)urbc Bcftänbtg t)om SCeuf d t)erf ud^t " ,
er 6ebeutct bal^er „bie SSerfud^ung" ; ^err ©d&tt)erbt=
Icitt, SDlartl^enS bat)ongcIaufetter 9Äann, bebeutet
„ben S3erfud& ju getöinnen ober baS ßottertefl)ieP.
®er „aSerfud^" rul^t bei ber „95erfud&uug". 3iun
ift bie ©ad&e Mar: „Se^t aber, ba SIntoniuS tobt
ift; rul^t uatürtidö aud& ber SBerfud^ beim l^eifigen
SlntouiuS". ®a]^er liegt ^err ©d&toerbtieiu in
5Pabua begraben beim l^eiligen SlntoniuS. @o
toörtlidö gu lefen L ©. 277.
3u biefem Unfinn gefeilt fid6 toieber bie Un»
!enntni§, jtoei SDldngel, bie inunferem rationellen
S^orfd^er unerfd&ö:t)flid&finb. 5pi^iIofop]^ifd^ genommen,
bebeutet §err ©d&toerbttein \i^l ßotterieft)ieI, bie
®ett)innfud&t; cuIturgcfd&id&tUd& genommen, bebeutet
er "t^Xi Sagliojiro. S)ie8 l^at ber SSerfaffer nad&=
tröglidö entbedtt. 9leaj)el bebeutet in ber 3^auft=
©J)rad&e „SÄietau''; baS fd&onc gräulein, bie ftd^
feiner annal^m, bebeutet «Slife t)on ber 9ledfc'%
386 C^in ^auft'Sommentator. [104
btc crft an Sagtiofiro geglaubt , jule^t a6er feine
Settügereien erfannt unb eine ©d&rift barüber t)et-
öffcntttd&t tjat, tooburd^ ber 3l6enteurer feinen 6re=
bit t)crIor, „ba% er'S 6iS an fein feiig @nbe fpürte".
Me3 »örtlich gu tefen: „JWad&trdge ©. 9\
3iun gel^ort bie ©cene in ,,ber Sftad^barin ^auS"
mit ber ©rjöl^tung t)om SEobe be§ ^ertn ©d&tt)erbt=
lein ju ber diteften S)i(i&tung, bie ©oetl^e im Saläre
1775 mit nad& SBeimar brad^te; ßaglioftro aber fam
erft 1779 nad^ SÄietau, unb bie ©d&rift, meldte
(SKfe t)on ber 9ledCe tt)iber il^n fd^rieb, crfd^ien 1787!
3)en Sfraeliten SRabotl^, toetd&em ßönig 3ll^ab
ben SQ3einberg nal^m, nennt unfer rationeller tJorfd&er
„JWabob", als ob er 8tattl^alter in 3nbien getoefen
tt)äre. (I. ©. 271.) — anet)^iftot)]^eIe§ , in ber
§ejen!üd&e tl^ronenb:
§tct flfe' i(6 wie ber Äönig auf bem S^l^tone,
2)en S^^ter l^alt' t(| l^ier, eS fel^U nur no(^ bie ürone.
bebeutet griebrid^ ben ©rofeen mit bem firüdC=
ftodC, womit er unter bie ©läfer unb SEöjjfe ber
§ese fd^Iägt. „3)ie ganje fittlid^e ®ntrüflung beS
großen ßönigs aber ])fxx6)t \xii aus in ben SBorten:
«®aS ift ber SEact, bu 3laS, ju beiner SKetobei»/'
mbxtlxä) gu lefen: I. ©. 244. 3)cr ©atan felbjl
105] 2)ie ei^fel beS Unfinng unb bet Untotfrenl^eit 387
in bcr SBalputgiSttQd^t, %oä^ oben Quf bem ®tj)fcl
beS ^ejenfiergeS tl^ronenb, bebeutet ,,©einc 5ölQJ[eftät
3la\>oUonL, fiaifer ber S^ranjofen". (L ©.361.)
®ie aBaIt)ur9i§nad^t, t)on ©oetl^eö ^attb 9efd&Tie=
Ben, batirt aus bem 3loDem6et 1800 unb gebruar
1801, mäl^renb 3la)foUor\ erft im Sollte 1804 jum
ftoifer ertoäl^It unb gefrönt tourbe!
©inen 6^!Iu§ Heiner fatirifd&er ©ebid^te, bie
nod& jur Xenien^Sid&tung geprten, l^abe ©oetl^e
in bie gorm eines „SoncertS ju DberonS unb
S^itaniaS golbener §o(i&3eit" geHeibet unb in
bie SQ3QH)urgiSnad&t qIs „3BaIpurgiSnad6tS=
trQum" aufgenommen. 3)iefe SSerfe füllten als
„DberonS golbene ^od^geit" fd^on im Sfal^re 1798
erfd^einen, tt)aS auf ©d^itterS 9latl^ unterblieb.
Unfer rationetter gorfd^er aber erüdrt ben SBalpur«
gisnad&tstraum für eine J)atriofifd&e ©atire auf baS
eurot)äifd&e ©oncert im Saläre 1808: Oberon be=
beute „5ßreu§en", S^itania bebeute „Defterrcid^'';
erft bie ©dieibung, bann bie SBereinigung! „SBenn
fid& jweie Keben fotten, braud&t man fie nur ju
fd^eiben." S)ieS bebeute ©oetl&eS Uebereinflimmung
mit SBiSmardf: er l^at ben ftrieg t)on 1866 unb
baS aSflnbnife t)on 1879 attegorifd^ t)or]^ergefe^en!
388 (Ein Sfauft'Sommentator. [106
IV. ^e9eirfe|itti0eii att$ bei: ^anflfpxa^t.
3d& laffc ben SBcrfaffct jum ©d^Iuffe nod^
einige ^Ptöfid^en liefern, tt)ic berfelfic tjermöge ber
3^auft=©l)ra(iöe ©oetl^cS Sid^lnng Derftel^t unb er*
Kört. SBir toiffen ]i}on, ba% ber lieberlid^e ®e=
mal^I ber grau SD^artl^e ben SSerfud^ gu getoinnen
fiebeutet; bie ©etoinnfud^t l)at il^r 6j)iel t)erIoren,
b. ^. fie ift tobt. „^^ niö(i&te brum mein Sag
nid^t lieben, tt)ürbe mid^ 33erluft ju Sobe betrüben/'
©0 SWargaretl^e. 2Ba§ fie in biefen SBorten eni=
t)finbet unb ausbrildft, l^at erft unfer rationeller
Sorfd^er entbedEt: „©retd^en fd^eint eine ©egnerin
be§ SottofpielS ju fein, fie tt)ürbe ben SSerfud^ gu
fj)ieten nid&t lieben, toeil fie t)erlieren fönnte, baS
ift nait), aber fel^r t)ernünftig gebad&t". ©o tt)ört=
lid& L ©. 277,
3)ie ©cene am SSrunnen, tt)o fid^ CieSd^en
frol^IodCenb über ffiörbeld^en unb beren ©eKebten
ergel^t: „9luf ber SC^ürban! unb im bunfeln ©ang
toarb il^nen feine ©tunbe gu lang", SEI^ürbanf 6e=
geid&net in ber fjauft=©t)rad&e „ÜiW^n", bun!(er
©ang bebeutet „Äel^Ie". 2lu§ ber Äeljte lommen
„©timme unb ßlang": bal^er bebeutet SBörbetd^en
bie ©timme unb it)r ©eliebter ben ßlang. „S)er
107] Uel^etfe^ungen aug bet f^aufltfpracle. 389
fttang tnad^t bic ©ttmtne t)oIlf unb giebt tl^r ©eele,
b. ^. curtefirt il^r mit 5Paftctd&en unb SBcin." ©o
bcr rationelle gauft=®rHäTer (I. ©. 329). — „fttiegt
fie il^n, fott'S tl^t übel gel^n!" fagt ßieSd&en, „baS
ßränjel reiben bie 23u6en il^r unb ^ödterting
[treuen »ir t)or bie SEI^ür!" §ören tt)ir je^t, »ie
unfer rationeller gorfd&er biefe SBorte erHdrt:
„Sefi^t bie ©timme aber Ätang, bann l^utbigen
il^r bie jungen Setounberer burd& Äränjetoerfen" u. f. f.
//3ebe gro§e ©öngerin toirb bie SBal^rl^eit biefer
gfaufl.-9iaegorie beftötigen fönnen." (I. ©. 330.)
SSatentin, ber Sruber ©retd&enS, ift als fold^cr
ber gefunbc 5Dlenf(i&ent)erftanb , gebid^tet nad6 ber
^lid&tfd&nur unb SBorfd^rift ber Äantifd^en S5er=
nunftfritü. „S)er a3ett)ei8 liegt barin, ba^ ber
SSerftanb alle jmölf Kategorien beS S3erftanbe3 ge=
orbnet benü^t unb in feiner 9lebe anbeutet/' 33e=
lannttidö ift eine ©xuppt biefer Kategorien bie ber
Quantität; ©n^eit, »iet^eit, STÜ^eit. ®arum fagt
SSalentin gu ©retd^en:
„2)u flngft mit €tnem l^eimlicl an, (^inl^eit)
SBalb fomtnen il^rer STlel^re btan, (SBiell^eit)
Unb tnenn bi4 erjt ein2)u|enb i^af, (MegiDDIf
l^ategorien)
^ann ^at bt(^ au(| bie gange ©tabt.' (M^eitJ.
390 (&xn Sfaufi'(Sommentator. [108
©0 fielet au lefen I. ©. 345.
®ett SSortDurf her Unn}iffcttl^ett unb Unlennt-
m% l^ätte ber SSerfaffer »cnigfienS jum SCI^eil t)cr=
meibcn lönnen, tocnn er ftd^ einige bet aett)ö]ön=
Udöften ftenntniffe t)erfd&afft l^dtte, ol^ne toeldöe
l^eutjutage niemanb ein 33ud& über ben 5auft §u
fi^reifien öermag. 9I6er in ber t)on il^m entbedten
gauft=©t)rad6e »erben „i?cnntniffe" mit bem SQ3orte
„aiattengift" bejeid&net; biefe§ ©ift l^at er fel^r
gefd^eut unb aus gurd&t öor bem ©d^tdfal ber
9lQtte fidö bie ©igenfd^aften betoal^rt, als beren affe=
gorifd&e Sarftettung er ben ©iebel betrad&tet!
®r n)iK in bem ©oetl^efd^en gauft bie aKe=
gorifd^e ©arftellung ber Srrgänge bes SBerflanbeS
auf bem SBege gur SSernunft entbedt l^afien; toir
ftnben in feinen SrKärungcn bie Srrgönge beS
Unt)erftanbeS unb Stbcrtoi^eS auf bem SBege jum
Unfinn, um mit leinem fd&Iimmeren SBort ba^
Siel; »eld&eS er nie öerfel^It l^at, gu 6ejeid)nen, oU
tt)ol^I baS fd&Iimmere SBort l^ier baS rid&tigere tt)dre.
^i) toürbe über fein SBerl, biefen SöetoeiS einer
traurigen ®eiftc§t)ertt)inung, gern gefd^wiegen unb
aud6 baS ungemeffene ©elbfllob, ba^ ber SSerfaffer
ficäö ft)enbet; überbört l^aben, »ie bie breifte Sln=
109] Ueberfe^ungen au3 bei ^auftfprad^e. 391
mafeung, »omit er tro^ bcr cttDQS Heinlautcn SBor^
rebc über alle frül^etett (Stftdtungen be§ ©oet^efd&en
Sauft a6ft)rid6t, n)entt nid&t burd& atterl^anb tnbu=
ftrtette ßunftgriffe unb ÄIapt)ertt)er!jeu9e bie öffent=
Kd^e StuftneTffamleit für biefeS SBerf erregt unb
jur 9eft)annteften ©rtoartung gerabegu ]^erauSgefor=
bert toorbcn todre. 3Slan ^at ben Unfug in bem ge*
ge6enen gatt fo »eit getrieben, bafe eine öffent-
lid&c 3l6tt)e]ör unb ©d&u^töel^r 3lot^ tl^ut. ©eit
SDlonaten finb biefem SBerf ^öd&fi maröfdöreierifd^e
3lnt)reifungen t)orauggegangen unb mit fd6onungS=
tofer 3ubringlid6feit in SKaffen nad& allen ^immel§=
gegenben t)erfenbet toorben. 3)ie Slectame fonnte
bic SBadcn nid^t \)oU genug aufblafen, um in il^re
5ßofaune ju ftofeen: „^ört! §ört! ®ie ©pl^ins
%at geft)rod&en, ba^ Siötl^fel beS ©oet^efd&en Sauft
iP getöft." ^@ine a6fotut neue S^orfd^ungSmetl^obe!"
„Ungeal^nte unb überrafd&enbe 2luf!Iärungen! 9lffc
Ktterarifd&en greife ®eutfd6IanbS »erben in Ie6=
l^afte Setoegung geratl^en, aud& bie SBül^nen unb bie
S£l^eaterbefud6er!" S)aS SSerftänbniS ber größten
beutfci&en Sid^tung toar bisl^er unmöglid^; ba man
il^re ©prad^e nid^t t)erjianb. 3e^t ift ,,biefe bi8=
^tx ungeal^nte gel^eime 33ilberft)rad&e ©oetl^eS" ent=
392 d^in Sauf!t'(Eommentatoi. [110
bcdt, nad6 fünfiöl^tigen gorfd^ungen eines SÄantteS,
bcr „jtüanjig Saläre als 3)irectot im l^öl^cren @(i^ut=
tt)efen t^ätig tt)ar".
(Sin $crr Dr. ßlaffen (natörlid^ nid&t ber
öerbienftüolle ©d^ulmann unb ^ßl^ilologe) begeugt
bem SSetfoffer, bafe er „einen ganj großartigen
Sortfdöritt in ber 3luf!tdrung beS rät]öfeIt)olIen
aOBerfeS getl^an l&abe unb feine 2lr6eit im t)ottften
©inne bal^nBreti^cnb ju nennen fei", ©in ^err 5prof.
SBä^oIb erHdrt bie SWetl^obc feiner SluSlegung für
„burd^aus neu unb original" unb t)er]^ei§t bem
aBer!e „ein bered^tigteS 3luf feigen in ber ©ele]^rten=
weit". 6in ^err SIebacteur SEudö ift t)on ber
©ntbedfung beS breifad^en Saufi=5ßlans „entl^u^
fiaptifdö" gerül^rt unb ertl^eilt bem (Sntbedfer fol^
genbeS unanfed^tbare S^ugnife: „3ffi aber Sl^re
ßöfung bie rid^tige, fo l^at fie unfd^ö^bare a3er=
bienfte". 3a mW SBenn nur baS „^mn" unb
bas „Slber" ntd&t todre! SBaS fagt bod^ ber alte
Äinberreim? ®cr 5ölann, ber baS SBenn unb baS
Slber erbad^t, l^at fidler aus ^ddCerling ©olb fd&on
gemad&t. 3lud& ^ddEerüng aus ©otb! 3)enn ift
bie ßdfung beS ^errn ßout)ier rid&tig, fo ift
©oetl^eS Sauft nid^ts als ^ädCerling!
111] 2)et aOßuft bon Slaferei. 893
1. ®oet^e aU üaBbalift.
fjftnf Salute ttad&bcm bic ®\if)mi burd& bcn
aWunb bc§ C^errn ßouöicr lauter unfinniflcS unb
untoiffenbeS Seug jtt)ei bide SBdnbe l^inburi^ ge»
tebct l^attc, ijl baS Beft)rod&cne aOBctf bcm 5pu6K=
lum in einer „jweiten SluSgabc" für bm l^alben
^reiS angeboten unb gugleid^ öon bemfelben SBer«
faffer ein neues rätl^fellofenbeS SBer! ftber ©oetl^c
öeröffentlid^t toorben: ,,©oet]&e als ßabbaüft in
ber «3auft»=S£ragöbie".^
SBermöge feiner tiefen labbaliftifd^en ©tubien
l^at ber SBcrfaffer entbedt, bafe bie öier ©tanjen
ber ,;3ußignung" eine öierfilbige ß^arabe bilben:
bie beiben crflen ©üben finb „bie erften ©efdnge",
bie beiben testen „bie folgenben". Salier bie SBorte:
@ie ]^5ren nii^t bie folgenben ®efänge,
2)ie 6eelen, benen i^ bie erften fang.^
SBenn gaufl in ber „^eicznUä^z" bem 5Ket)]^ifio»
J)]^eIeS juruft: „©ott xä) genefen in biefem SBujl
l)on Siaferei?", fo bemerft §err ßouüier, nai^bem
er bie SBorte labbatifüfd^ geprüft l^at: „Siaferei
1 »erlitt, »ibliogra^l^ifcleg 3nftitut. 1882.
2 @. 13-23.
394 Sin 2fauft'(Somnientator. [112
fd&cittt Quf bie 3lr6cit eines fiefttmtnten ßabfialijien
gu itf)tn, bn t)teffet(i&t «Stafer» gel^et^en l^aficn
bütfte. @S giebt meines SBiffenS einen fold^en
aber ntd&t. 3fd6 toürbe olfo ben 5Pun!t unberül^rt
laffen muffen, tt)enn ©oetl^e nid&t immer Quf bcn=
fclben ober ftl^ntid&en SluSbrud gurüdfgriffe, 3. 33.
„5DaS tolle Seug", „SHe rafenben ©efidrben",
,,aBer toxti M mit ben SRorrn befaffen?" u. f. tß}
2. ^anS Don 9lt^:pa(]^ als 2)on 3uan.
3m fogenannten „Urfauft" (1775) fagt grofd&:
„3f(36 meinte etma, il^r l^ättet mit bem berül^mten
^ans brüben gu ^ölittag geft)eift". Unb 3Kten (3«t=
ma^er) fogt: „S)ie Srangofen lann iä) nid^t leiben,
fo großen 9left)ect id& öor il^rem SBein l^abe".^
Sfm Fragment (1790) lauten bic SQ3ortc beS
Srofdö:
^aBt il^r mit fetten ^anS no(^ etft )u 9lad^t gef:pei{t?
Unb bie beS SSranber:
(&xn edgtet beutf^er HJlann mag leinen ^fransen leiben,
S)o(| il^rc SDßeittc trinft er gern.
1 ebenbaf. ©. 76 ff.
2 ©oet^ed Sfauft in urf:prünglidger ©eftalt* ^eraud-
flegebcn öon (gri(| ©(ä^mibt. 3. »bbrncf. ©. 23 u. 27.
113] $er aOßuft Don tRafeiet. 395
S)ic SBcbeutung beibet ©teilen itn „Urfauft"
unb itn „Sragmettt" ift, tote iebem fofort einleud^tet,
t)ööia biefeI6e; bie SSetfd&tebcnl^eit be§ SluSbrudfS
erflört fid& aus ber Umgeftattung ber ^Profafcene
in SSerfe.
§err ßout)ler bagegen n)ä]^nt, bafe „^err
§Qn§" im Fragment bie beutfd^e Ueberfe^ung t)on
,;®on 3uan" fei, unb ba^ bie SBorte „feinen
fjranjen" im Fragment nid^t tJranäofen bebeuten,
fonbern „Strang 3Jloox" , m^^alb id& il^m burdö
meine ^intoeifungen auf feinen d&ronologifd^en
SBirttoarr ein fd^tedflidöeS Unred&t zugefügt l^aben
foö, toorüber er nunmel^r 3ßter fd^reit. SBir
tt)oIIen il^n fd&reien taffen unb eS nunmcl^r mit il^m,
tt)ie 3Dtet)]§iftot)]^eleS mit ber ^eje l^alten: „SBer
toiß fid^ mit ben 9?arrn befaffen?"
Äuno Ort y dl er, ÄIctnc @(|riften. 27
896 ^ert 2)ün|er alS SttiHUx. [lU
j^err Mnpx Als Ärtttben
34 ]^a6c biäl^cr nie gegen $errn 3)ün^et ge-
|d&tte6en, obtoobH td& mtd^ oft genug an feinen in
elenbem ©eutfd^ t)crfa6ten, gröfetentl^eits triüiaten,
nidöt feiten fel^Ierl^aften unb täd^erlid^en 6riäute=
rangen unferer großen ©d^riftfteffer fowol^t ge=
ärgert, als ergoßt l^abe. 3lud& l^abe iS), was bie
Sufammentragung bcr 5ölateriaUen betrifft, einen
gewiffen SBertl^ unb SRu^en feiner ja^reid^en
©d^riften feineSwegS unterfd&ä^t, freilid^ ftetS mit
bem SBebauern, baß feine gefd^idtere geber fid^
gefunben unb biefem ©ef^äfte geloibmet ^at
3u tt)ieber]^otten malen aber l^abe id6 bemerfen
muffen, ba^ ^err Sünder olinc jcbcn perfönlid^en
3lnla§ unb ot)ne aüen fad^Iid^en ©runb Balb ba
balb bort in blinbefter §aft 2lu8fdlle gegen mid^
t)erfud6t l^at, bie id& unertt)ibert gclaffen, bis er
116] S)ie einlebe. 397
in einer förmUd&en ©d&rift aufgetreten ift, ttjorin
er mir Qu8brüdtHd& feine fjel^be erltärt.^ ^ier ift
meine 2lnttt)ort, bte feinen SBertl^ al8 Äritifer
bartl^ut, unb nadö toeliä^er iä) faum mel^r für nötl^ig
l^altc, feine ferneren SlugföHe ju bead^ten.*
3n ben ©renjboten l^ot ^err ®ün^er unter
ber Ueberf d&rif t : „ßuno ^ifd&er über ©oetljeS
3^3]&igenie" tüiber meinen in SBeimar geljaltenen
unb iüngft im ffirud erfd&ienenen g^eftöortrog eine
SluStoffung beröffentlid&t, bie id^ unbead^tet loffen
Mrbe, tpenn nid^t ein fd^einbor fod^Iid^er 6intt)urf
barin entl^alten tüöre, toeld^er unfunbige unb flüd&tige
ßefer beirren lönnte. ®en religiöfen Sl^aralter
ber ©id^tung unb il^rer ^elbin ju erleud&ten, toar
eine meiner »efentlid^en Slufgaben unb mußte e§
fein, ba eine altgried&ifd&e SultuSfage ben ©toff
ber ®id&tung auSmad&t, unb bie SBergleid^ung ©oetl^cS
mit ®urit)ibe8 in ber fflel^anblung biefeg ©toffeS
Don iel^er bie Setrad^tung aller ®oet]^e=5orfd^er
befd&äftigt ^at.
1 ©renaboten. IV. 1888. @. 38-42.
« Jöeilaflc 8ur Siaöemcinen Scitung. 1888. 9lr. 295.
23. CctoBer.
27*
398 ^err 2)fln^eT alS Attttfer. [116
3lun ttjirb mit entgegnet: eS fei nid^t rid&tig,
baß 3ft)]^igenic ftd& berufen unb Don il^rer götttid&en
SRetterin beftimmt glaube, baS fd&ulb= unb fi[u(5=
bclabene ©efd^led^t ber Santatiben ju erlöfen unb
il^r fd^tüer befledteS §quS ju entfül^nen, inbem fie
il^m bie ©ötter toieber t)erföl^nt; eS fei nid&t bloS
unrid^tig, fonbetn unmöglid^, baß fie biefen ©louBen
fd^on feit il^rer SRettung l^ege, ba fie ja bie in
il^rem SSoterl^aufe t)olIbrQd^ten ©räuel be3 ©atten-
unb 5DJüttermorbe§ erft nad^ t)ielen Salären crfal^re,
unb t)or]^er gu einer ßntfül^nung toeber ©runb
nod& ©egenftanb borl^anben fei. ®ieS ber ®in-
tt)urf beg §errn ®ün§er unb ber einjigc ©runb,
toeld^er mid^ t^eranlafet l^ot, il^m l^ier ju begegnen.
SBenn e§ fid& in ber Sluffoffung unb a3e=
urtl^eilung bid^terifd^er SBerfe um bie 3fbcen ber=
felben l^onbelt, fo toerbe id^ borüber niemals mit
bem <&errn ©ün^er redeten; bod^ glaubte id& il^m
jutrauen gu bürfen, bafe er ben SBortlaut unb ben
urfunbUd^en Seftanb einer ©id&tung, tt)eld&e er felbft
nid^t btoS „erläutert", fonbern aud^ l^erauSgcgebcn
l^at, einigermaßen fennt. 3(d^ toiÜ feigen, ob in
bem oorliegenben Satt biefe günftige Grtt)attung
ftdö red&tfertigt.
117] «Die Surticftoeifuttfl. 399
IIL pie ^nxMmifnni.
1. S)ie 3bec ber Q^ntfül^nung.
©leid^ im Slnfangc, too 3t)I)igcnie bem ^öniflc
il^rc ^erfunft Befennt unb tl^re Sll^ncn fd^tlbcrt,
ixblxdt ftc in ben ©d^idfalcn bcr Santaliben eine
fortfd^reitenbe JBetlettung bon ©d^ulb unb ©ttafe,
Don ßrbfd&ulb unb ®rbflu(3ö: jene befielet in ben
fid^ fteigernben 5ret)eli]&aten bet Sontaüben, biefer
in bem ©öttetl^ofe, bet feit ber Urfij^ulb beS STI^n-
l^errn bie 3laäjltomxatn berfolgt. „3ld^! unb fein
ganj ©efd^leiä^t trug il&ren §06." 3n ben STugen
ber 3t)]§igenie bebarf bol^er biefeS ©efd^Ieiä&t ber
©ntfül^nung unb l^at fel^r nötl^ig, baß il^m bie
©Otter berföl^nt tt)erben. SBie tief fie t)on biefer
35orftettung erfüllt ift, fielet jeber, ber il^re SBorte
burd^bringt. ®q fie aber in il^rer @rjäl^Iung nid&t
QuSbrüdttid^ t)on ber Sntfül^nung \pxx^t, fo ift ba§
für unfern ßritifer ©runb genug ju 6e]^aut)ten:
fie benfe gar nid^t baran unb fönne fügUd^ertüeifc
erft baran beulen, nad&bem i^r bie SJlutter ben
aSater unb ber Sruber bie JDlutter erfd&lagen unb
fie Don biefen Untl^aten Äunbe erl^alten l^abe: in
unfrer ®id&tung alfo erft im vierten STct; t)or]^er
400 ^err S)ün^er atS Acitifer. [118
l^obc e§ Qud^ bem ©id^tcr nid&t einjatten fönncn,
fic baran ben!cn ju laffen.
9iun ift es aber tro§ bem §errn Sünder unferm
®td&ter eingefallen, feine §elbin ober, »ic er fic
tro^ bem §enn ®ün§er genannt J^at, feine ^ciltgc
an iene ©ntfül^nung, feit biefelbc in SauriS lebt,
nid^t bloS benfcn, fonbern aud^ fagen ju laffen:
bafe fie ftetg baran gebad&t l^at. @ie fül^lt fid&
bajn berufen unb Don ber ©öttin beftimmt. SBtc
tief fie biefeS ©efül^l in il^rem Snnerften gcl^egt
l^at unb l^egt, befunben in bem ©elbftgef^)räd&,
»eld^eS il^rer testen Unterrebung mit ^tjIabeS folgt,
bie SBorte:
@o l^offt' td& benn bcrgcBcn« ^icr toettoal^tt,
fSon meines ^aufeij ©d^tdffat aBgefc^teben,
S)eretnft mit teiner §anb unb reinem §ergen
S)ic fd^toer Beficrfte SKo^nung ju entfft^nen!
2, S)er flcine bem ^i^ttx entfd6lö^)fte aDßibetfprud^.
SBaS tl&ut ie^t ber ßritifer? SQBie ^ilft er p*
aus ber SBerfegen^eit, in bie er mit feiner un=
befonnenen Sinrebe geratl&en ift? S)er 3)tci^ter
last feine 3f))^igenic befennen, bafe fie bisl^er jiets
gel^offt unb gebad&t ^ahz, »aS fie nad^ unferm
Äritifer bisl^er nie gebad&t l^abcn fann! S)iefer
119] 2)ie Surfidtoeifuttfi. 401
tottt feinen ßefern botf^jiegeln, bafe meine ©rllätung
mit ber urlunbli(j&en Std&tung in SQßiberft)ru(6
ftel^e, eine „Unterfd^iebung" fei, ein ^J)]^iIofoJ)]^ifd&elJ
Sääal^ngebilbe", unb toie bie StuSbrüde toeiter l^eifeen,
toorin fein l^ajüger unb blinber ßifer fid6 gegen
mid& ergel^t. SBenn l^ier ein SBibetf))rud& ftatt«
fänbe, fo l^ötte il^n bet Sid^tet t)erf d^ulbet ; nur
ba§ §err Sünder mit ©oetl^en anftönbiger unb
glimt)flid^er umgel^en muß, aU mit mir. SqS^
bei mir ein großer, unberjeil^liij^er SQßiberft)rud^^
,,ein J)]^iIofot)]^ifd&e8 SBal^ngebilbe" l^eifet, baS ift
bei bem ©id^ter ein Meiner, fel^r t)erjci]&Ii(i6er.
Unfer Äritifer fagt loörtlidö: ,,3reiUd^ ift eS ein
Heiner SBiberft)rud&, toenn fie (3t>^igenie) l^ier Be^
merft, fie l^abe biefe Hoffnung fd&on biefe ^al^re
über gel^egt. S)tefer SQßiberft)rudö ift ober erft burd^
bie le^te ^Bearbeitung l^ineingefommen, man fann
»ol^I fagen, bem ©id^ter entfdölüj)ft/' @ine grajiöfe
?lrt fid^ augjubrüdten : „ein Siberft)rud^, ber bem
®id&ter entft^Ittpft!"
3. Sttin aOßiberf^TU^^ fonbem bie ©runbibee beS 2)i4tet8.
SBir gel&ören nid&t ju ben ßefern, bie bem §errn
®ün^er ol^ne toeitcreS glauben, loaä er fd&reibt,
402 ^err 2ftit|er alS StvitiUx, [120
benn toir l^abcn ju l^äufia ctfal^rcn, loie ungcorbnet
unb ungepnlft, toit ungenau unb unrid^ttg bei
attem äuBerlid^en ©ammelflei&e öicle feiner 3[n-
gaben pnb. ®icfe feine tool^lbefannten ^Dlöngel l^at
er in bem borliegenben fjalfc übertroffen. S)enn in
ber erfien Bearbeitung ber 3t)]^i9enie finben toir
an ber angeführten ©teile genau baSf elbe Selenntnife,
toenn toir ben ©inn ber SBorte in§ Sluge faffen.
©ie fagt: „SBergebenS l^offt' id&, ftitt Dertoal^rt bei
meiner ©öttin, ben alten 5fu4 über unfer ^au8
Derflingen ju laffen unb burdö ®fbet unb Steinzeit
bie CIt)mt)ier ju Derföl^nen".
3n ber legten Bearbeitung lautet bie ©teile:
@o l^offt' td^ benn DergetenS l^ier üertoa^Tt,
S[}on metned ^oufeS Bä^id]al ab^t]ä)\thtn,
53)creinft mit reiner §anb unb reinem bergen
2)ie fd^toet befledte SBo^nung gu entfül^nen«
Solan bergleid&c bie beiben ©teilen, um fi(6
t)on ber tJöHigenSbentitöt be3®ebanfens gu über=
jeugen. 34 finbe bie urf))rünglid&e Raffung fogar
bie beutlid^fte. SRun l^at unfer ßritifer ©octl^eS
3t)]^igenie nid^t bloS ju erläutern öerfud&t, fonbem au(!^
bereu Derfc^iebene Bearbeitungen l^erauSgegeben:
er muß toiffen, toaS in ber erften ftel^t, unb, toenn
er e§ t)ergeffen l^at, fofort feftfietten fönnen. ®feid&=
121] S5ie 3urücftoei|ung. 403
t)icl tt)QS il^m l^tcr begegnet ift, ob eine ©ebäd&tni6=
\ijMä^t, bie ba§ SHter entfd&utbigt, ober eine jener
fjol^rläffi gleiten, tt)eld&e bie SBielfi^reiberei mit fid&
bringt, gleid^üiet ob abfii^tlid^ ober unabftc^tlidö :
er l^at feine ßefer in gröblid^er SBeife ge=
taufest.
@8 ift ni(3^t tDdf)x, bag ber ©oetl^efd&en Spl^igenie
bie Sntfül^nung il&reä ^aule§ erft im t)ierten 9(ct
in ben ©inn fommt: fie befennt inelmel^r, baß fie
ftetS biefe Hoffnung gel^egt l^at.
ß§ ift nid^t rodf)x, bo^ biefe§ Sefenntnife erft
in bie le^te ^Bearbeitung unfreS SBerleS gefommcn
ift: e§ ftel^t bielmel^r fd^on in ber erften unb
fel^lt in feiner; eS gel^ört nidbt bIo§ ju ben bebeut=
famften ©teüen ber ©id^tung, fonbern aud^ ju il^rer
urfprünglid&ften fjaffung.
6§ ift nid^t toaiix, bo§ biefeS SBefenntni^
mit ber ©id^tnng felbft im SBiberfpruc^ fteljt, t)iel-
mel^r offenbart e§ beren innerften ©inn: nämlid^ bie=
jenige 2iriebfeber, tt)eld&e ben religiöfen S^arafter
ber ©id^tung unb il^rer §elbin auSmad^t ®e§]^alb
l^at aud^ ©oetl&e feine §elbin eine ^eilige gc=
nannt, eine ^eilige nad^ d^riftlid&em SBorbilbe, meit
fie bie ©ntfül^nung il^reS ^aufeS als iljren gött=
404 ^eti 2)ünj;eT aI8 StxiixUx. [122
lid^en Scruf fül^ft utib burd^ il^re 8auter!eit unb
ßiebe bottbringt. ®icä ift ber SBiberft)ru(fi, tocld^cn
§etr ®ün§cr in ©oetl^eg tieffinniget unb l^cnltd^er
SJid^tung juglctdö tabeln unb cntfd^utbigen toottte.
„2)iefer SBtberfJ)rud^ ift aber erft burd& bic le^tc
«
Bearbeitung l^ineingefommen, man fann tt)o^I
fagen, bem ®id^ter entfd&Iüt)ft." 3lein! bas fann
man nid&t tool^t fagen. ©iefer SBiberft)rud^, toenn
eS einer ttJäre, müfete bem ®td^ter t)ier bis fünf
mal ,,ent|d&lüpft" fein.
III. Pttii|et:$ ^auintootte.
§err ®ün§er fagt; ,,3reiUd^ ift eä ein aBiber=
ft)rud^!" „STber erft in ber legten Bearbeitung."
SJlan fann mol^l fagen, bem ®id&ter „entfd6lü))ft".
3d^ fenne biefe 3(rt ju reben, tüie aud^ anbere fie
fennen, mlä^^ ©ün^erfd^e ©d&riften aufmerffam gu
Icfen bie UebertDinbung geübt l^aben. @r l^at ,,brei
©etoaltige" in feinem ©ienfie, bie il^m l^elfen,
tt)enn er nid&t toeiter fann, fie tieifeen: „x^xtiüä^",
„SBoIjl" unb „STber". ©. t)on ßoet)er l^at in feiner
treffenben, meit lauter Treffer entl^altenben ©(ftrift^
1 ®. ö. ßoe^er: 3u ®oct^ci$ ©cbid&ten (»erlin 1886).
@. 20 unb @. 26.
128] ®runbfalf(|e Sntet^retationeiu 405
toibcr Sünder biefe brci ©eiüaltigen fel^r gut
dSaraftcrtfirt : er nennt „baS immer einen Sel^l«
fiä^lufe anfünbigenbe, uns faft auf jeber ©eite be-
läftigenbe «tool^I»" unb föl^rt fo fort: „©eit Salären
l^Qbe id& mir angeioöl^nt, ®än^erg «tool^l» in ein
«tool^f nid&t» ju t)ertt)anbeln unb l^obe gefunben,
bafe bieS faft immer t)Q6t". Sölit bem 3öuber-
morte ^.freiUdö" pflegt fid) ^err ®ün^er bie hinter«
tl&üre JU öffnen, burdö bie er ju entfd^lüj)fen fud&t,
fobalb er fid^ genötl^igt fie^t, baS ©egent^eil öon
bem, toag er eben nod^ be]^QU))tet l^ot, einzuräumen,
©age i^ „ber ^immel ift trüb", fo entgegnet
§crr Sünder: ,,@in J)]^ilofo^)]öif(3&e8 SBol^ngebilbe!
Ser Fimmel ift l^ett unb l^eiter, freilid^ ift er
l&eute trüb, man lann tool^t fagen, baß i^m bie
SBoHen unh)illfürfid& entfd6Iät)fen, ober erft l^eute,
frül^er toax ber fiftönfte ©onnenfd^ein/
IV. ^xunhfatf^t ^nicxpxäationen.
1. ^aS ®ebet ber Sipl^tgenu«
Unfer ßritifer l^at bie unbeneibete ©abe, bid&-
terifd^e STuSfprüt^e l^öufig ganj t)erfe]^rt aufgufaffen.
3d^ fd^ilbere btn ©eeIenfQm^)f 3t)]^igenieng nadö
il^rem ©ef^jrftd^e mit 5P^IabeS am ©d^Iufe beS vierten
406 ^err 2)an^er atS Aritifer. [124
?tcte8, tt)o tl^r SSettrauen auf bie ©üte unb SBcr»
fö^nlic&fctt ber ©ötter in ©efa^r Mt crfcfeüttert
ju ttjerbcn: fic fott ben SBrubct retten, inbem fie
baS SBilb raubt unb ben SEl^oaS betrügt. S)er
SBiUe gur SRettung beS fflruberS fämt)ft mit bem
jur ©rl^oltung il^rer ©eelenreinl^ett. 3n biefer
Sebrängnife fielet fie ju ben ©Ottern: „SRcttet mtd^
unb rettet euer 33t(b in meiner ©eele! SBor meinen
©l^ren tönt ba§ alte ßieb, boS ßieb ber ^Parjen"
u. f. f. ®er alte Sinbrudt beö 5ParjenKcbe8 Der«
büftert in biefem STugenblid il^r Vertrauen auf bie
©ötter.
SBaS l^at §err ©ün^er ju entgegnen? „®a-
t)on fann gar feine SRebe fein, ba 3it)]&igenie
felbft bie ©ötter anruft: «SRettet euer 33itb in meiner
©eelc»." §err ®ün§er t)erfte]&t nid&t, baß ber JRuf
nad& 9tettung aus bem STngftgefül^l ber ©efal^r
ftammt; er l^ört niiä^t 3ft)]^igenien8 SBorte:
C, bafe in memcm SBufcn nid^t sulc^t
d^in aDÖibcmittc !cimc, ber Sultanen,
S)cr attcn Oöttcr, tiefer §a6 auf eud^,
£)It)mpicT, nid^t aui^ bie jatte S3ruft
3Jlit ©ciex!(aucn faffe! 0letlet mid^
Unb tettet euer S3ilb in meiner @eele.
125] ©runbfQlfd^e Interpretationen. 407
SBq§ fönnen btefc SBortc onbcr^ befagen unb
bebeutenoIS: „JRcttet meinen ©tauben an tnä^V*^
2. ^er @f^ beS Santalud an ber ©öttettafeL
3n meinem SBortrage rebe id& Don ber ©d^ulb
begSEantaluS unb beleud^te bie Derfiä&iebenen 3lrten,
tt)ie ©oetl^e biefelbe im 50Junbe ber ®id&ter, beS
SEl^oaS, ber 3t)]^i9enie unb be§ ^ParjenftebeS er=
fd^cinen läßt. 3t)]^igenienS feelenfunbige ©d^ilberung
fogt: „6r toar jum ^ned^t ju groß unb jum ®e=
fetten beS großen ®onnerer§ nur ein ajlenfd^!" ,,3d&
möd^te biefe SBorte", BemerÜe id& Beiläufig, „nid^t
fo beuten, toie id^ mid^ erinnere fie irgenbtoo er=
Märt gefunben ju l^aben: ba§ SontoIuS an ber
©öttertafel gu tief unten l^abe fi^en muffen unb
mit feinem ?PIq^ unjufrieben getoefen fei. SBenn
il^m 3ut)iter feine ?piäne Vertraut l^at, fo fa§ er
bem Sater ber ©ötter gett)i§ nol^e genug." ^
3dö fürd^te foft, bafe biefe l^armlofe Semerfung
bie STffecte unfreS ßritiferS in einen fo öertoorrenen
STufrul^r Derfe^t l^ot, benn er ifi ber Srfinber biefer
geiftreid^en Srllörung, aber id^ l^abe il^n obfid^tlid^ nicftt
1 SDfleinc ©oel^c-Sd^tiftcn : ©oetl^cg 3p]&tQcnic (^cibcU
Berg, ©. Söintct'S Uniöcrfltätsbuti^anblung). 1888. ©.31.
« (gbenbaf. @. 33.
408 $ert !Cün|er aI3 Aritifer. [126
genannt, fonbern nur gefagt „irgenbtoo". ©oglcid^
maijz iä) bag Unrcd&t meiner Unterloffung gut.
3n®än§er8 ,,@rläuterung" be§ ©oetl^efd&en SBerfS
finbet fid& biefe fd&öne ©ntbedung, nad& totlä^tx
3t)]^tgeme „anbeutet, ba^ bie ©ötter bem SantaluS
an il^rer SEafel eine ju niebere ©teile angetoiefcn"
u. f. f. (@. 62). ®arf man fragen, tt30 ftc biefe
9lnbeutung maii^t? @ttt)a in ben 3Borten: „Unb jum
©efetten beS großen ©onnererS nur ein 5ülenf(3^"?
@3 lag tüol^l an bem unterften 5Pta^ ber ©ötter=
tafet ein 3ettet mit ber STuffc^rift ,,2Jlenfd&". SDott
faß SantatuS unb toar unjufricben.
§err S)ün^er l^at eine t)offirUd^c Slrt, ©oetl^efd&e
3ru§ft)rüd&e erft in il^r finnlofeS ©egentl^eil gu
t)er!e]^ren unb bann mit ber Srltörung feines ®in=
t)erftänbniffe§ ju belohnen. SltS ©oetl^e nad^ öiclen
Salären bie 3t)]öigenic toieber gelefen l^attc, ht-
mer!te er fd^erjenb: baS ©tüd fei „ganj t)erteufett
]§uman". Unfer ßritüer citirt biefeS Söort als
ein Urtl^eit, bem er juftimme, toenn eS il^m er*
laubt fei, „teuftifd^" in „l^immUfdö" ju t)erBeffern.
6§ ift alfo „t)immlifd& l^uman". äBenn ©oetl^e
gefagt l^ötte „©rüß bid^ ©ott", fo Mrbe nad^
ber eben betoiefenen ßogil ^err ®ün^er juftimmen,
127] ®runbfalf(l^e ^ntetpretattonen. 409
toenn eS xf)m nur erlaubt fei, bafür gu fagen:
^^or bid& her Seufel!"
5ülit biefer 5Probe feiner Äunft enbet bie 3lug=
löffung gegen mi(3&, bie nod^ t)or iebeni S5erfud&
3ur Segrünbung feiner Derfel^rten SintDürfe fogleid^
mit bem 5ßofaunenfio§ begonnen l^otte: „3dö bin
mir ber Slrogtoeite biefe§ fd&arfen Urtl^eilS über
htn je§t in jtoeiter ?luftage aU erfteS ^eft Don
gifdöerä ©oetl^esSd^rifien öorliegenben fjefiöortrag
lool^t betonet, aber feit einem l^olben So^rl^unbert
reblid^ bemül^t, baö Sßcrftftnbnife ©oetl^eS gu förbern"
u. f. f.
SBie l^eifet bod^ gleid& jene oft citirte ©teile in
gfr. 2^. aSifd^erS brittem S^eil ber gfaufi^Slragöbic?
g^Quft brol^t bem SJalentin, ber il^n einen »6^q=
ralterlum))" genannt:
fSSaii* nur, toart' nut! 2)a8 fag' i^ tneinetn 2)ün^et!
S^alentin,
2öa8 fd&ccr' id^ mtdj um tiefen 3opf?
3ciö'8 i%m nur an, bem taufenbfadjen ajlünjer
S3on ©oet^cS (e^tem ^ofenlnoipf!^
1 Sauft ber Sragöbie brütet %f)nl. %un im (Seifte
bes atoeiten Sll^eiU beS ©oetl^e'f^en tian^i gebid^tet t)on
S)eutobo(b S^mboUaetti ^Hegorietoitfi^ STl^ftifiaingf^.
(2. Slufl. 2:übinöen 1886.) ©. 19.
410 ^err tünt^tx alt ftririfer. [128
SQBic CS fi(^ mit ber Urtl&eilsfd^örfe bcs §erm
®ün§er \>nf)Qli, l^abcli loir gefeiten. 34 fennc
niemanb, ber fte tül^int, ausgenommen er felbfi.
SWon möge feinen ©ammelfleiB, feine comt)i(atorifd^c
Snbuflrie unb ©efc^öftSemfigfeit, bie er Quf bem
©ebiete unfrer cfoffifc^en ßitteratur betl^ätigt l^at,
onerlennen unb nad^ bem ©robe il^rer SSraud^bar^
leit fd&ä^en: er loeife jerfireute SJlaterialien nid&t
etoa 3u orbnen, aber gu ^öuf en, ouS Keinen Raufen
größere unb noc^ größere ju mod^en unb fuber»
loeifc bie ßrippen einer SJlenge fioffl^ungriger ßefer
gu füllen. SBqS fein „reblic^eS SBemül^en, ha^
SBerfiönbniB ©oet^eS gu forbem", geleipet unb
ausgerichtet l^ot, tooUen mir alsbalb ))rüfen.
6(^lDerli(^ ^ot je ein genialerer Sid&ter einen tri=
bialeren Gommentator gefunben. ßefjtngS ^^anciSfa
fagt: ,,3Jlan ft)ri(i)t feiten t)on ber SCugenb, bie
man l^at, aber befio öfter Don ber, bie uns fel^It".
§err Sünder foHte nid&t fo biet t)on feinem
^fd^arfen Urt^eil", feiner „reblid^en ^Prüfung"
u. f. f. reben. @r foHte etioaS Don bem, toaS ^^uft
bem SamuIuS emj)fie]ölt, aud^ fic^ gefagt feinlaffen:
„^nä^' er ben rcblid&en ©eloinn, fei er lein ]ä^cUcn=
lauter Stjor!"
129] Sie Sftnlerf^e Gd^retB* unb CrltarungSart. 411
^ättc er btefen yiaif) befolgt, fo tDütbc er
einen elenben Sluffa^ toeniger gefd^rieben l^aben.
©er bei toeiteni größte Sl^eil feiner niaffen=
l^aften ©d^reibereien beftel^t barin, baß er ben 3n=
l^alt eines bid&terifd^en SBerfeS in ber triöialflen
S33eife bergeftalt referirt unb J)araj)]&rafirt, ba§
bie 5orm beS Originals oufl^ört fenntltd& ju fein,
©oetl^e toirb ins ©ün^erfd^e überfe^t, b. 1^. immer
ins Sriöiale, fel^r l&äufig ins ©innfofe unb JBer-
leierte, ^ier finb einige augenfättige a5eif))iele.
!• Slel^men toir baS ®ef^)rä(i6 ber beiben ßeos
noren, bie berül^mte ©cene, toomit ©oetl^e feinen
^ Torquato Zaffo" Beginnt; i^ borf t)orauSfe§en,
ba§ fie meinen ßefern gegenwärtig ift. 3wS
S)ün§erf(3öe überfe^t, »irb bie ©cene folgenber-
mafeen befdörieben: w®ie 5Prinjeffin eröffnet baS
®ef))r&dg mit ber g^rage naij ber Urfad^e beS
ßftd^elns ber (Jreunbin, biefe aber bringt bie
9lebe auf bieÄränge, toeld&e fie fled^ten, unb
gtoar auf berfii&iebene Slrt, toorin fid& fd&on ber
ei^arafter beiber auSf^)ri(i&t'' u. f. f.^
1 ©oet^eiS SaffO; etl&utett Don $. ^ünfeer* 4. 9luf(*
Mpm 1890. ©. 86.
Auno Sfifd^er, ftUint Gd^riften. 28
412 $err S)ün|er alS Arttifer. [130
SBqS ift benn für ein ©egcnfa^ 3toifd6en ber
tJroge ber ^rtnjef jtn unb ber 3lnttoort ber ©rftfin,
bte, auf t^re fd6äferUd&e Äletbuttg unb bie Ärdnje^
ti)el$e fie totnben, l^tntoetfenb, ber ^reunbtn er*
fiftrt, toarum fie Iftd&elt? 68 ift gar lein ®egen=
fa§ 3ti)ifd6en fjrage unb 3lnttoort unb bal^er t)öffig
finnloS ju fagcn: „biefe aber".
3)er ©id^ter läßt bte Betben ßeonoren Ärdnje
t)on berfd^iebener 3lrt fted&ten: bte 5Prin jeffin einen
ßorBeerlranj, bie ©räfin einen Slumeniranj. §err
S)ün§er bagegen Iä§t fie „ßrönje fted&ten, unb
giüar auf t)erf(ä6iebene 3lrt". Sei beut 3)id&ter ift
bie 3lrt ber ßränje, bei feinem Kommentator bie
3lrt beS Sled^tenS t)erfd&ieben ! Reifet ba§ nid&t,
ben etnfadftflen ©inn in bie baare ©innlofigleit
t)erlel^ren? 6§ ift ba§ Ungtüd biefeS SÄanneS,
ba^ fid& in feinem ßopf bie ©egenftönbe berqueren,
unb er bie einfad&ften @ad&en unter gel^n malen
neunmal «de travers» t)erftel^t. Unb er ^jral^lt
mit ber ßrllärung ,;be8 SBortfinneS", als ob er btn-
felben gejjad^tet l^ätte, toäl^renb feiner il^n l^ftufiger
berfel^It unb t>zxltijxi, aU gerabe er,
2. 2f(ä5 fud^e bie 6teüen nid&t ettoa auS, fonbern
nel^me fie, bifttternb, tt)ie fie mir in bie §anb
^
131] 2)ie ^ün^eTfd^e ©d^reib* unb (SrnetrungSart. 418
fallen, ^ter ift bic SBcIröttjungSfcene, ins S)ün§er=
f$e üBerfc^t: ,,2;affo überreizt fein ©ebid&t, ber
t)on ber geliebten 5ßrinjefftn auf ben SBinI beS
^erjogS i^m aufgefegte Äranj regt il^n getoaltig
auf". „Saffo toei^t t)or bem Äranje fd^cu jurüd,
beffen er fid&, al8 ßeonore barauf beutet, toeld^e
§anb il^m ben Ätanj reid&t, nod^ toeniger toürbig
fül^It."^ SBelc^eä Seutfd^! 2BeI$e ©d&reiBart!
60 feigen ©oetl^efd&e Figuren aus, toenn fte S)ün§er
unter bie §önbe Belommt unb in feinem SSIei un-
fbrmlid^ nad^giefet: bem 2affo wirb ber ßranj
aufgefmtpt unb regt il^n getoaltig auf!
3. 2fd& Blättere toeiter unb ftofee auf bie (£r-
flörung einer Staff ofteffe ; eS finb bie SBorte ber
^ringefpu (111,2):
3u fürd^ten ifi baS ©d^öne, baS fQoxtxt^üä^t,
SOie eine gflamme, bie fo l^errltd^ nü^t,
Bo lange fie auf beinern ^erbe brennt,
Bo lang' fte bir t)on einer gfadEel leud^tet.
Süßte Iftolb! Süßer mag, toer lann fie ba entbel^ren?
Unb frifit fie ungel^ütet um fid^ l^er,
SOie elenb lann fie mad^en! Sag mid^ nun!
SBaS meint ber „(grlftuterer"? ^Offenbar toitt
fie fagen", fagt ^err S)ünfeer, M^ 6d&öne fei
Cbenbaf. ©.97.
28*
414 ^ett S)fln|er alü jhntifer. [132
fd^ön, fo lange man eS Be%, aUx fd^merjl^aft,
toenn man babon fd^eiben muffe, tote ba^ fjeuer
tool^ltl^dtig fei, fo lange eS rul^ig toörme unb
leud&te, aber öerberblid^, toenn eS affcS um fi(5
öergel^re. " ^
3tebeS SBort ift Unpnn, Bei bem leiner fi(5
ettoaS benlen lann, aud^ ^err S)ttn|er fettft fid&
gar nid^ts gebadet f)at
6r fteßt eine SBergleid^ung auf, bon toeld&er bie
SBorte ber ^rinjeffin nid^ts entl^alten. Unb toaS
für eineSSergleid&ung! „SBie baS ©d&öne — fd&merg*
l^aft iftr toenn man t)on il&m fd&eibet, fo ift ba^
Qfeuer — berberBlid^, toean eS atteS um fid^ l^er ber«
geirrt". 9lad& ber öergleid&enben ©a^form: „toie —
fo" muffen toir ertoarten: „toie baS 6d&öne fd^merj«
l^aft ift, toenn man bon il^m fd^eibet, fo ift ba§
fjeuer öerberBUd^. toenn man ba'oon fd&eibet". Statt
beffen aber fagt ^err S)ftn§er: „SBenn" (man
nid&t bon il^m fd&eibet, fonbern) „eS atteS um fid&
t)erge]§rt*'. @S l^eifet bod& nid&t Dom Steuer fdfeeiben,
toenn man t)erbrennt?
Sine fold^e 5Paraßele, toie biefe S)ün§erfd&e,
toürbe man feinem Quartaner burd^Iaffen, unb fte
1 «benbaf. @. 137.
133] 2)ie Sftnletfd^e ©d^retb- unb ^flftrungSafi 415
fielet in einer ©d&rift, toel(i&e t>on Seigrem Benu^t
fein toillt unb Benu^t toirb!
Unb bieg toöre ©oetl^efd^e SBeiSl^eit im Sölunbe
ber ^Prinjeffin Seonore: „S)a8 Qfeuer ift öerberBIid^,
toenn eS atteS um fid& t)erje]^rt*? 68 ift öetberB*
Ud^, toenn e§ aUeS berbirbtl
S)ie 5ßrinjefjtn fagt Don ber fjlamme, toeld^e
bie ber Siebe ift: „Unb frifet fie ungel^ütet um
fxäi l^er, toie etenb lann fie mad&en!" 3d6 l^aBe
bie gcbanlenboffen SBorte, bie au8 ber Stiefe il^rer
©efül^le flammen, erllftrt unb üBerl^öre ben albernen
unb fd^mdl^füd^tigen SluSfaff, ben ber „ßrttuterer"
Bei biefer ©elegenl^eit 8^9^^ mid^ berfud&t. Stter
iii fel^e lool^I, ba| id^ eg mit einem red^t t^Iumpen
©efeUen aus htm ©efolge be§ ^nd ju tl^un l^aBe
unb biejenigen Jteile Braud^en mu^, toeld^e auf
einen fold^en ÄIo^ ijaffen.^
4. S)ie tieffinnigen unb BebeutungSöotten SBorte
ber 5Prinjeffin:
(&i gtebt ein ®lüdE, attetn tolr lennen'd ntd^t,
9Btr Iennen'j{ tool^I unb tDtffen'd nid|t gu fd^ä^en.
f offen nad& bem ^Srlduterer" Don ber «ftiffen
3)ulbung gelt en \ SBiebenn? ,,S)ieftiffeS)ulbung"
1 ajtein Serf fiber ®oetl^eS 2:affo. @. 253 ff.,
257—258. 3)ftnfter: ®oetl&e8 Xaffo. @. 140 ff.
416 ^txt S)fin|ei alS Aritifer. [134
foß ha^ ©lud fein, t)on bem bie 5ßrinjcjftTi fagt:
„@8 gteBt ein ©lud, affein tDir lennen'S nid&t"?
®a§ ©lüii t)on bem fie fagt: „SBir »iffen'S ntd^t
ju f$ö§en"? S)a8 ©lud, t)on bem fie nod^ eBen
Bemetlt ^ai: „SBir laffen loS, ttaS toir Begierig
faxten"? S)iefe grllörung, ööttig gebanlenlo^
unb ungereimt, tDie fie iji, )fa^t auf bie SBorte
ber $rinjeffin, toie bie ^auft aufS 3luge! „©old^e
ßrÜörungen gieBt man, toenn man leine ju geBen
toeife!'* 3d5 roieberl^ole biefe meine SBorte.^
5. SBie bie ^rinjeffin in bie öbe 3ulunft
l^inaugBIidt, tt)o ber ^reunb nid^t mel^r in il^rer
?lö]§e toeilen toirb, löfet ©oetl^e fie fagen:
9flun übctfattt in trübet ©cgcntoart
3)cr 3ufunft ©d^redfcn l^eimltd^ meine JBrufi.
3[n8 S)än^erf(]6e üBerfe^t, lauten biefe SBorte:
,;S)ie 3ulunft brüdt fie toie ein Sllj), ol^ne ha^ fie
biefeö «l^eimlid^en» 2lngriff8 fid^ ertoel^ren lann".*
©0 nimmt fid^ bie ^rinjeffin in ©oetl^eS SEaffo
aus, toenn S)ün§er fie abfptegelt unb erläutert: fie
leibet am Slip unb „l^eimlid^en" Singriffen!
■■s
1 3Jlein 2öer! über ©oet^cg Slaffo. @. 258.
2 S)ün^er, @. 139.
135] Sie Sün^eifd^e ©d^cetb- unb (StfiarunflSart. 417
6. Set)OT i(% ba^ ficbjel&nte SBänbd&cn beS „(£r=
löuteterS" aus ber ^anb lege, um eS l^offentlidö titc
toicbcr auäufcl^en, fällt mein SBIid nod& auf bte
©(ä^Iu^fcene, todd&c S)ün§er in folgenbcr SBeife Beinal^
lomifdö triöialifirt : „Jiad^ einem 2But]§au8Brud&
rid&tet fid^ 2affo an 3lntonioS SBruji toieber auf",^
7. Um uns aber nid^t auf feine Staffoeriäuterung
gu befd&ränien, »erfen tt)ir im SBorübergel^n nod&
einen Slii auf feinen {Jauftcommentar; xoix
fd^lagen ba^ Sud^ auf unb finben {JauftS gleiten
SÄonotog, an peffimiftifd&er ßebenSanfd^auung bem
berül^mten ^amletmonologe t)erglei#ar:
S)em ^ertltd^ften, toaS au^ ber ®eift empfangen,
©rängt immer frcmb* unb frembcr Stoff fld^ an u. f. f.
S)er S)id)ter meint ben toiberfttebenben, fpröben,
feinblid^en 6toff ber SBelt unb SBirIHd&Ieit, ber
unfere 3beale abminbett, t)erlleinert, gunid&te ma$t.
S)er Kommentator t)erPe]&t barunter „ba§
bem SDienfdöen anllebenbe förperlid&e (£Ie=
ntent".^ 6r lö^t ©oetl^en meinen: ©eele unb
Rbxpzx feien bergeftalt t)erlni4)ft, ba^ fie an einanber
1 ebenbaf. ©. 184.
2 §. a)ün^er, 19. JBänbd^en. ©oetl&e« gfauft. 5. 2luf(.
(1890). 6. 88.
418 ^err S)üit|eT alS Aritifer. [136
HeJeti. ®inc red&t ©octl^efd&e SBorfteffutig! 3ft
benn ber Tnenfd^Iid&e Rbxptx ein „ßlcment" bon
„fiebriger" »efd&affen^eit?
8. SBei bzm STnbKd ber ®ift|)^iole toirb ffauil
t)on bem ©ntfd&lufe beS freitoilltigen SEobeS l)lö§U(5
ergriffen unb entjüdt. S)aS SeBen erf^eint i^m
als ein SBaUaji Don taufenbfad&em ©rud. (£r toitt
es abtoerfen unb fielet fd^on baS unBefannte SWeer
ienfeits be§ S£obeS oor fid^ ; il^m ift ju STlutl^e, als
oB frifiä^e 6eeluft il^n antoel^e:
3nS l^ol^e 3Jleer toetb' td^ ^tnau8getoiefen,
2)ie @|)tegelf[utl^ erglönat au meinen Sfügen,
3u neuen Ufern lodt ein neuer S^ag!
SBag fogt ber Kommentator? ^®en Oift-
faft, ber il^m aus ber 5ß]^iole entgegenBIinlt, t)er=
gleid^t Sauft mit einem 3Jleer, ba8 xfju ju einem
neuen Ufer, bon too ein neuer SEag il^m lad&e,
l^inBringen toirb."^ (Sine falfd&e unb läd^erlid^e (£r-
f Iftrung ! 2Ba8 gauft in elftatif d6er 5ß]&antafie mit
bem ©lanj beS 2JlonbeS im ndd&t'gen SBalbe, mit
htm l^ol^en SÄeer, bem neuen Stage u. f. f. öergleid^t,
iji nid&t baS ®ift, fonbem bie grei^eit Dom SBattail
^ ©oetl^ejS Sauft, tJoUftänbig erläutert t)on $. S)ün4er.
2. tDOl^Ifeile Ausgabe. Setpatg 1854« S« 189«
137] ^ie 2)ün||erf4e ed^reib- unb CNfiarungSari. 419
beS ßeBetiS, tt)cl(iöe ber Zob getüdl^Ti SBte fönnte
er baS ®tft im 5Iftf(6d6en ein 3Jleer nennen? SBßie
fönnte er Don bem ®ift, baS er trinlen tt)iff, aud^
nur öergleid&enb fagen: „®ie ©piegelflutl^ erglftnjt
ju meinen fjüfeen"? ©inb benn bie äxppen feine
fjüfec? 3ft rftoa ba^ ®ift au(% eine IleBrige
©uBftanj, tt)ie ©tief eltoid&f e , ba| fie ju feinen
güften ergldnjt?
9. Sluf bem Dfterfpajieraange finben fi(%
brei SSürgcr: ©tabt« unb 3eituna8poIitiIer. ®er
©tabtl)oütifer Itagt über ben SBürgermeifter: ,,9lein,
er fiefdfft mir nid^t, ber neue SBurgemeifier!" u. f. f.
SBaS aber fftfft benn unferem Kommentator ein,
biefe ^ax leiner ßrHftrung bebürftige ©cene feinen
ßefem folgenbermafeen auSeinanberjufe^en: „3uerfi
begegnen loir einem allein fpajierengel^enben
SBürger, in toeld&em toir einen ewigen 2Biberfprud&8=
geift finben, bem in ber ©tabt nie unb nimmer
tt)a8 red&t ijl" u. f. f.^ SKfo ber ©tabt<)oUtifer
gel^t allein unb f})rid6t laut mit ftd& felbft. Solan
toixb il^n für berrüdt l^alten unb einf))erren.
UebrigenS oerfiel^t ber feine ©inn unfereS ©om«
mentatorS, bie Ungufriebenl^eit bed ©tabtpolitüerS
1 Sbenbaf. 6. 198.
420 ^err 2)ün^er atS Aritifer. [138
gu entfd&ulbigcn : „3K8 einen ftd^ felBji bar=
bietenben SetoetS; toie toentg ber neue SBütgermeifter
für bie Drbnung ber ©tabt tl^uc, lönnte man bcn
bie SSorflbergel^enben anfingenben Settier Betrad^ten".
10. ®Ieid& noiä^l^er erfd^einen Don SReuem bie
beiben „Sürgermftbd^en". ©ie Begegnen einem
alten SBeibe, tt)eld)e bie SBal^rfagerin, ani^ »ol^I bie
ünppUxin fpielt unb bie SDiöbtä^en lennt, benn jebe
ber Beiben l^at in ber ©anit = SlnbreaSnad&t fi(5
Don il^r ben fünftigen ßiebfien jeigen laffen. S)ieS
gefd^al^ im ©eljeimen, aBer öffentU(ä5 tootten jtc
mit bem SBeibe nid^ts gemein l^aBen; bal^er ruft
bie eine ber anberen ju:
^gatl^e, fort! 3d^ nel^me mxä^ in ^^t,
2Jlit fold^cn §cjen öffcntUd^ gu gelten u. f. f.
^ier l^at unfer Kommentator eine (gntbedung
gemad^t, fo d^aralteriftifd^er unb eigenfter 3lrt, ha%
man fagen mu§: ,,©anä S)an§er!" 6r l^at näm=
1x6) entbedtt, toie ha^ alte SBeiB l^eifet: fie l^eifet
.Slgatl^e"! gg ift „bie liftige STgat^e". S)a§
eine ber Beiben SBürgermäbd^en Slgatl^e l^eifee, fei
„eine burdft hzn 3ufammenl§ang auSgefd&Ioffene
Slnnal^me".^
1 ebcnbaf. 6. 199. - XIX. JBdnbd^cn. 5. S(ufl.
©. 94 Slnmerfunö.
139] S)te S)ün|eTf(|e 6(^rei(- unb GiÜftrungSatt 421
Sic ©teile bebarf göt leiner Srflärung, benn
fie öerjiel^t fiA t)on felbji. ®q§ ber SRatne
ber ^eiligen auf baS alte SBßeib öon fdöled^tem
0luf gelten fott, ift eine Sttuffaffung, toetd^e ber
Sufammenl^ang ööttig auSfd&UeBt, unb gerabe biefe
Sluffaffung ift nad& Sünder bie einjige, toeld&e ber
3uf ammenl^ang f orbert. SSntoief ern ? Sarüber
fd&tDeigt baS Dralet. 2lnttt)orten toir ftatt feiner:
SSnfofern unfer Sommentator bie negative ©obe
l&efi^t, bei ben einfad&jien, felbfiöerftänblid&en Singen
bie querföj)figfte JBorfteKungSart für bie rid^tigpc
gu l^atten. Salier öertoanbelt ft(ä& in feinem flol)f
bas alte SJBeib in bie ,,Slgat]^e"!
11. @r !|at fogar jtoifd&en ber „tiftigen Stgatl^e"
unb Sauft „eine l^umoriftifd&e SBejiel^ung" entbedt:
„SBßenn Sauft, t)om gewaltigen StrieBe nad& l^öd^fier
ßrlenntnig !|ingeriffen, fid^ ber SDtagie l^ingiebt,
fo treibt bagegen bie 3llte il^r magifd^eS ©piel
nur, um fi(j& burd& baffette il^ren notl^bürftigen
ßebenSunterl^att ju fid&ern"!!^
12. ^err Sünder l^at eine erftaunlid&e SBortiebc
für ^ejen. Sie auf bem Ciierfl)ajiergange (t)on
tt)eld&er bie SBürgermäbd^ßti mad^en, ba^ fie fort=
1 3tt)citc too^Ifeilc «uSgalbe. @. 199.
422 iQtvx <Cftn||eT ald Aritifet. [140
lomtncn) l^at er „Slgatl^c" getauft. Sluf bem
^ejenfaBBatl^ toimtnett eiS t>on ^ejen. fBon ben
oben ongetongten ruft eine ©tttnme: „flommt mit,
lommt mit, t)om ^elfenfeel" S)ie8 ifl, erllört
unfer Kommentator, „bie ©ttmme ber tool^ren
S)id&tlunfl "ü^ 3Kfo l^ot ©oet^e, ber im ^eilfpiel
auf bem SBIodEsberge bie fotfd&e Sid&tlunft öer^
fpotten Wßt, bie toal^re unter bie ^ejen fetbft öer»
fe^t! Sq8 ifi tt)irlü(j&, um mit bem ßiebUngSs
auSbrud beS ^errn ©ün^er ju reben, „eine SEoKl^eit".
Unb toer finb bie unten am fjelfenfee ? „S)iefe
ftets roafd&enben, felbji bknlen, aber etoig unfrud&t'
baren ^ejenmeifter finb ol^ne 3toeifel bie äfil^etifdöen
flunfifritiler, benen etoig nid&ts red^t iji, bie aber
felbft nid&t baS ©eringfte ju fd&affen öermögc«'"*
2)a8 ©ufeenb ift t)oK! 3d& lönnte es leidet
öerjtoölffad^en, benn too id& aud^ auffd&Iage, ftro^t
es t)on a3eifj)ielen ber ©innlofigfeit* ßaffen toir
ben Kommentator unter ©eineSgleid&en, bie er
nid&t übel gefd^Ubert l^at: i^ meine bie „flritiler
unten am fjelfenfee".
» gfünfte 5luP. ®. 188.
« Stoeite too^Ifcile 5lu8ö. ©. 339.
I
i
141] S)ie Sün||erfi|e @4teib« unb ^flftrungSaTt. 428
SJBenn man bic Siguren unfcrer Ilaf fifd^en St(i§ter
mit ber 3lrt unb SJBeifc öerglcid^t, tote biefcr
flritiler fte abllQtfd^t unb erläutert, fo bün!t uns
bog ßpiaromm, toetd^eS S)Qt)tb griebrid^ ©trouft
auf i^n gemünjt l^at, nid&t 6I08 treffenb, fonbem
Qudg fdgonenb:
SBem bo4 k)eTgIei4' i^ ben fleißigen !Dlann? 3d^ Detglei^'
il^n bem Üönig
SDlibad! ^(et bo4 ni^t koegen üetl&ngetten Ol^rit?
9leinl 9Bie ienem in ®oIb fl4 koanbelte, toad et (etül^tte,
@o kDivb biefem bad ®oIb unter ben ^ftnben gu S9lei«
» » >
424 3tt>et Za^O'(itmxtx, [142
1. ®. Don Soepet.
3K8 td& im ^xüUdfjx 1890 mein SBudö fiBcr
„Ooetl^cS Staffo" erfd^eincn liefet, toar id& auf
matid^crtei ©inrebcn ö^f^B** ^^^^ ^i^ ßrgcbniffc
meiner Unterfud&ung toaren ööttig neu unb in
aBiberftreit mit ben l^erlömmüd^en aSorfteÜungen
jtDQr nid&t t)on bem SBertl^ unb ber Sebeutung,
»ol^t ober Don ber ©ntflel^unöSart unb Som|)o=
fition biefeS daffifi^en 2BerI§. Um fo erfreulid&er
mufete e§ mir fein, ba§ eine Sleil^e urtl^eitsföl^iaer
Stimmen, barunter bie Berufenften, mir x^x @in=
öerftänbnife unb il^re Suftimmung auSfprad&en.
@iner unferer erften unb bett)ä!|rteften ©oetl^e^
1 attgemcine Scitunö. SSeilagc 2. 3anuar 1892.
> llunogfif^er: ©oetl^es 2:affo (^eibell^., ^arlSBinter^
Unberfit&tglbu^l^anblung 1890).
143] S)er frag.id^e ^ßunfi 425
forfd^cr, beffcn eben erüttcnen 33criuft toir ttid^t
fd&mcrjlid6 genug bcHagcn fönnen, ©uftat) t)on
ßoepcr, fd&ricb mir bamalS: „3d& fprad^ fd&on in
einem SBriefe an ©upl^an aus, ba§ l^ier eine
funbamentale ßeiftung Vorliege, ©enaue 6r»
mittlung ber Quellen unb banadö gum erften mal
üBcrl^aupt S^ftftettung ber beiben SBearbeitungen :
baS ift Sinnen tounbcrbar gelungen, eine ganj
neue (groberung. @g tft ein überrafd^enbeS, aber,
tt)ie mir fd&eint, nid&t anaujtoeifelnbeS Slefultat Sfl^rer
tiefbol^renben ^orfd&ung, ba§ Slntonio erft bem
3al^re 1788 angel^ört unb bamate erft ber erfte
5lct nad^trägüdö eine ©cene mit biefer 5igur
erhielt/ ^
1 3^ tl^eile au8 btefem S9riefe {(Sbtx&toalht Ibei Sdetlin,
9. 3Jlai 1890) nodj folgcnbc, ©oet^cS Saffo bctrcffenbc
6tet[e mit: vS3dbe S^ult^eg, bte ©oetl^e no4 auf ber
tRüdCreife au8 Stalten gu einer Sufammenfunft na4 Üon«
ftana eingeladen l^atte, befag bis au il^rent Slobe ben erften
:t)atl§ologif(|en 2!affo abf^riftli^; — leiber ifi er nad^l^er,
1817, öerbrannt toorben, d^d erging il^r, einer fo öer«
ftänbigen Süri^erin, mit ber gtoeiten Sdearbeitung, bie
bo4 mel^r toar, aU nUr baS, ebenfo, voxt anfangs ben
äßeimarer gfreunben, bie fl4 bisi^er an ber :t)rofaif(^en
Spl^igenie gekbt, mit bor metrifd^en. @ie !am gum
@4Iuffe, bag für ©oetl^ed Ofteunbe ber alte 2!af{o immer
feinen $Ia| neben htm neuen metrif^en bel^aupten koerbe/
426 3)oei Xaffo-^nfttex, [144
3d6 füllte biefe SQßorte an, ba fic ben 5PunIt
begcid&ttcn , bcr fejigufteKcn toar, um in bic ßnt-
tDidflungSgefd^id^te unb @om))ojttion beiS ©oetl^efd^en
S33crf8 bie rid&tige ©infid^t gu gewinnen. SltS
©oetl^e in ben SSal^ren 1780 unb 1781 bic Beibcn
erjien Slcte feines Staffo fd^tieb, lanntc er bas ßcben
SioffoS nur quS Sfflanfo unb bie ©age öon feiner
Siebe gu ber ^ßringeffin öon ®fte nod& au8 3Wura=
tori. S)enn ^einfeS S33ifd&itoafd&i in ber wSfriä"
ijl nid&t empaft in SBetrad&t gu giel^en.
2(18 er fiebcn Saläre fpäter in SRom bie erfte
fad&lunbige unb umfaffcnbe ßebenSgefd&id&te ZaffoS
öon ©eraffi las, lernte er bie ©egner ZaffoS
am §ofe gu fjenara lennen, barunter als ben öor»
nel^mlid^ften Antonio SOlontecatino, SSorl&er tou^te
©oetl^e nid&ts öon biefem SKanne, ba bie ©d^riften
über Saffo, bie er gelcfen l^atte unb allein gelefen
l^aben lonnte, toie bie Srgöl^Iungen ÜRanfoS unb
SDluratoriS, riid^ts öon il^m fagten, nid^t einmal
bm SRamen ertoäl^nten, ©eraffi aber nod^ gar nid^t
erfd&ienen »ar.
@S ifi bal^er unmöglid&, ba§ bie alte
SBeimarfd^e 5£affobid^tung fd^on bie $erfon beS
3lntonio entl^iett, ba^ il^r erjierSlct, ber ben 13,?lo«
145] S)et ftaglid^e ^nft. 427
öcmber 1780 fcttiggcjiefft tourbc, eine Sigur in
fi(j& fd&tofe, beten SBefanntfd&aft ©oetl^e niij^t öor
bem ^af)U 1788 gemacht !|at unb gemod^t l^aBen
!onnte.
2. S)ie Betben Siaffobi^tungen.
SQßftl^renb er no(ä& in ©eraffis SJBerf vertieft
toar, fdörieb er ben 28. aJlärg 1788 an ßarl Sluguft:
„SDleine 2l6fid&t ift, meinen ©eift mit bem S!|aralter
nnb ©d&idEfaten biefeS ©id&terS ju füllen, um auf
ber [Reife etmaS gu l^aben, toaS mi(j& Befd&äftigt".
@r l^atte naä) feinem neuen 5piane bie beiben t)ors
l^anbenen Slcte t)on ©runb aus umäUflejialten unb
bie brei legten ju bid&ten.
Ueber ben »eiteren Fortgang ber S)i(j^tung, bie
©oetl^en auf feiner Slüdreife unb no(J& ein ^al^r
lang nad^ feiner [ftüdfel^r befd^äftigt !|at, ift mir
ein 3ßugniB t)on ganj befonberem SBertl^ fein
Srief Dom 6. 3lpr« 1789 an ßarl 3luguft, »orin
er über bie brei ©d^Iu^fcenen beS ganjen SBerfS
unb bie te^te beS erften 3lct§ SoIgenbeS mittl^eilt:
«3d& ^abe nod^ brei ©ccnen ju fd&reiben, bie mid^ tt)ie
lofc SR^mpl^en jum 93eften l^aben, mici& balb an=
täd&eln unb fid& nal^e geigen, bann toieber fpröbe
t^un unb fid^ entfernen". — „SBenn id& öor ben
jtuno OfM<$<^/ StUint ©(^rtften* 29
OB Stoet Xaffo-CrO&Tet. [146
(Vertagen bte le^te @cene bed erßen 9[cte8, too
9[ntomo ju ben tner ^etfonen, bte tott nun lennen,
l^inguttttt, fertigen Idnnte, loftre td^ fel^ glfidDid^«
fjfafl giDetfle xtS^ batan. @obaIb fie gefci^eBen tfi,
fd^ide td6 fie/
®tefe ©cene ift bie et jie, toorin Antonio auf*
tritt: fie entl^ftlt bie ßinfül^rung biefeS Sl^araiterS
in ben ©oet^efdgen Siaffo unb ift eine ber loid^
tigften, fd^toierigflen unb erfinbungSreid&jlen ©cenen,
bie bem S)id^ter geioi^ Diel ju beulen unb ju
fd^affen gegeben; fie ifl jugleid^ eine ber gelungenften
unb betounberungSioärbigften geioorben, bie er ge=
fd^rieben l^at.
3nbem id^ mir biefe Sebeutung ber ©cene
unb bie ßeifiung, loeld^e in i^rer SluSfül^rung ent=
l^alten toar, Dergegentoärtige, lann idg ben obigen
SluöbrudC ^fertigen" nid&t öon einer geringfügigen
Arbeit loie eine 3ttfd6rift, einige nod6 nöt^igc S)urd6*
fid^t unb SuSbeffcrung, Derjtel^en, fonbem id^ t)er=
fte^e ben SluSbrud Don berSrfinbung, in loeld^er
bie ®rö§e ber Slufgabe log. SBarum ^ätte ber
3)id6ter iwn einer fo geringfügigen SlrBeit fagen
k.
147] <!)er fiaglid^e ^nft. 429
follen: „34 rofttc filü(fü(ä&, toenn t(ä& jte no(ä& t)or
bett Dfterferien fertigen !önnte. Saft gtteifle td6
borati" ? Sine fertige, nur ber ©urd^fid^t Bebürftigc
©cene ift nid^t erft ju „fertigen". 3d& l^alte ba=
rum bie erjie Slntoniofcene (I. 4) für eine neue,
am 6. 2l|)ril 1789 notfi in ber Sntftel^ung Be=
griffene. Snbeffen l^abe id^ bafür nod& anbere unb
tiefer liegenbe ©rünbe, aU nur ben SBortlaut bt^
obigen 33riefe8.
4. S3rieflid^e 2)ata. d^ine ©egenfd^rift.
S)iefer SBrief tft öon unanfed^tbarem S)atum:
es ift ber 59. in bem 93rieftoed^fel jtoifd&en flarl
5luguft unb ©oetl^e. Sluf il^n grünbc id& ben
d&ronologifd^en SEl^eil meiner Unterfud^ung über bie
ßntftel^ung ber ©d&IuBfcene beS erften 3lct8. 3lnn
löfet midö ^r. S)ün§er unb in feinen 5u§taj)fen
ber SJerfaffer einer iüngft erfd&ienenen, toiber niid&
gerid^tetcn ©d&rift l^ierbei in „SoKftridfe" geratl^en,
bo bie ©riefe 52 unb 58 unrid^tig botirt feien.
SBaS l^aben bie »riefe 52 unb 58 mit bzm 59. Sriefe
unb ber ©ad&e gu tl^un, um bie es fid^ l^onbett?
©etoiffe ©egner, toenn fie mit ©inte nid&ts qu8=
rid^ten lönnen, greifen nad^ ber ©oubbüd^fe, um
29'
:.
430 3toei ZafTO'^in&ret. [148
tl^ren ßefctn ©anb in bic äugen gu ftreuen, bamit
fic beti in ^ragc gejictttcn ©cgenftatib nid^t feigen. ^
Siefcr Oegcnftanb ift ber Urfprung ber ctftcn
Slntoniofcenc,
IL pie nette pit^tttttg.
1. %a\\oi Gegner: enttoeber $igna ober Antonio.
ßrft naij^bem fid6 ©octl&e mit bcm ©döiifafes
gange bc§ unglüdttiä^en ©id&tcrS unb bcn 5Pcrfön=
Ud^Ieiten feiner ^einbe nad& ©erafftS eingel^enben
©(j^tlberungcn Dertraut gemad^t l^atte, lonntc ber
Pan, bem 5Poeten bm Staatsmann gegenüBeräU=
fteüen unb bicfen ßontraft in bas SO^ema feiner
©id^tung aufjunel&men, greifbare unb d^arafteriftifdöe
formen getoinnen. 3u einer fold&cn ©egnerfd^aft
boten fi(ä& il^m gleid&fam jtoei ßanbibatcn: ©iam-
battifta 5Pigna unb 5lntonio SDlontecatino:
jener »ar SRebner unb ©id&ter, ^ifioriograpl^ bcS
^aufcS 6fie (als toeld^er er auc^ unfern ßeibnij
> ©oetl^eg Slaffo unb Üuno gfif^er Don gfranj
Äcrn (93erlin, IRtcoI. »udftl&blö. 1892). @. 3 fg. = 3:ün|cr
über ®oet^c8 3:affo (2tipm 1^90) 6. 24-27. 3n An-
leitung beS .^r. ^ün|er aU Uritüer' oertoeife i4 auf
meine üorflel^enbe (S^^ara!tertftil.
149] <Cie neue 2)i(!^tun8. 431
befd&äftigt l^at)^ wnb ©taatsf ccretftr ; bicfer toar
5Ptofc|for bcr ^ßl^ilofop^te unb tourbe ©taatsfecrctär,
als ^Ptgna im SRoDemBcr 1575 ftarb,
@inc 0icil^c Don ©tünbcn fprad^ für ^ßigna.
®crfeI6c l^attc ben in ber ^offlunji aufblül^cnben
Saffo Dor fi(i§ gefeiten nnb beneibct, er l^atte als
5Poet mit il^m gctoctteifcrt, bic ^ßrinjcfftn ßeonorc
toax beibcn günpig unb fud^te fic auSjuföl^ncn :
©octl^e cntfd&icb fidö für 5pigna.
Slnbcre unb ttid^tigcrc ©rünbc fprad^en gegen
il^n unb für $!Jlontecatino. ^ßigna ftarb, ds SEaffo
auf ber ^öl^e ftanb, fein großes ©ebid&t tUn
öoKenbet l^atte unb bie abfd&üffige SBal^n erft ju
betreten anfing; Slntonio bagegen fal^ unb l^alf
il^n ftürjen, er galt afe SaffoS fjeinb unb 35er=
folger unb toar beibeS. SBei naiverer enbgttttiger
ßrtoägung entfci&ieb fi(ä& ©oetl^e für Slntonio: er
fe^te ben 5pigna t)on bem poetifd^en ^ßoften oh, ben
er il^m bereits öerliel^en l^atte, unb ben Slntonio an
feine ©teKe.
2. Urfunbli^e S3en)eife.
3n ber dlteften t)on SSogel gefertigten ^anb^
fd&rift bes Saffo (H^, bie im ©oet^e=2lrc6it) bie
1 SJletne ©efd^id^te ber neuern ^^ilofopl^ie. S9b. IL
(Jöeibnia) 3. Stufl. ©ap. XII. ©. 202.
432 3toei Zaf\0'9xmxtx. [160
Sejetdönung 56 a fül^rt, l^ot ©octl^e öor bcin fünften
3lct cigenfiänbtg bctncrft: „c8 tottb übcraU, tt)o
»attifia fielet, STntonto gelefcn". SBo c8 je^t
in Soff 08 9icbc l^ct^t: „3Ätr fd&ien, afe Hänge nur
3tntonto8 ©timme lieber", ftanben in jener ^anb«
fd^rift nod6 bie SBorte: „3lfö l^ört id6 nur ben
fd&toad&en SBieberflang t)on ^ßignaS ©timme".^
©oetl^eS ]öanbfd6rtftUd&e Semerfung ijl ber ur=
lunbUd&fte SBeweiS für bie Stid&tigleit meiner @r=
gebniffe: fein Slntonio ift baS ®efd&öt)f crft
ber neuen 3;affo«3)id&tung, unb jtoar il^rer
jüngflen ^ßl^afe.
3. ^ntonto>$igna. ^ntonio«®uartni.
©benfo rid&ti^ ^otte ii) gefeiten unb Qug ber
@ntfte]^ung8gefd6id§te beS SBerfeS bcgrünbet, ba§
©oetl&e feinem Slnbnio einige 3üge geliel^en ober
gekffen l^obe, bie urfprüngli(3& bem ^ßigna ange=
l^ören unb t)on il^m gelten. SBenn laffo gu ber
5Pringeffin fagt (11. i):
IRur au oft
2!^at i(9^ im Stttl^um, toaS hx^ fd^tneraen mugte,
SBcIeibigtc bcn ajlann, ben bu bcf^üfetefi, u. f. !♦
fo ift unter bicfem SDlanne aus ben t)on mir bar=
1 ©oetl^ed Sßer!e« 6op^ienaul»gaBe« S9b« X. 6. 436.
151] Sie neue Si(|tunfl* 438
gdefitcn unb nod& eben berül^rtett ©rünben nid&t
Slntonio gemeint, toeber ber l^iflorifd^e nod6 ber
©oetl^efd&e, fonbern ^PigttQ.
SJBenn SEaffo gu ber ©rftfin ßeonore öon Sln-
tonio fast (IV. 2):
d^T gönnt ed mit? @r, bet mit fteifem Sinne
^ie ®unft ber !Dlufen gu ertto^en glauBt?
Set, koenn et bie ®eban!en mannet ^xä^Ux
Sufammentei^t, ^d^ felbft ein S)i4tet fci^eint?
fo })Q§t biefe ©teile Qman auf ^Pigna, ber all^
5Poet mit Soffo wetteifern tooKte, ober gar nid&t
Quf 5lntonio, ber lein poetifd^er ©itettant toax,
toeber ber l^ijiorifd&e nod6 ber ©oetl^efd&e, 3d& l^obe
bie SSerfud^e lennen gelernt , bie ber SSerfoffer ber
©egenfd^rift anfteüt, um au8 feinem Slntonio einen
S)i(3&ter l^erauSjubüfteln.
SJBenn 5lntonio ju ßeonore ©onöitole öon Saffo
faßt (HI. 4):
(&x rül^mt ^d^ atoeier gflammenl u. f. f.
fo ift eS j|a be!annt, ba§ biefe ©teile einem ©onette
©uarinis toiber Staffo toörtlid^ enttel^nt ift: fie
trifft ben l^iftorifd&en SEaffo, nid&t ben ©oetl^efd^en,
ber aus öoKem ^ergen unb mit öoKer SJBa^rl^eit
faßt (n. 1):
3Bad anä^ in meinem Siebe toiberflingt,
34 bin nur Sinex, (Sinex atteg f^ulbig!
434 Smx Saffo-^flfttet. [152
3d6 !ennc bic SBctnttl^ungcn , »omit bte genannte
©egenfd&rift öerfud^t ^ai, btcfen Saffo mit feinen
gtoei flammen au8 bem ^ofIIatf(ä& über i^n unb au8
„ber no(ä& unfreunblid&en ©ejtnnung be§ 5Äntonio"
toiber il^n ju motiDiren. S)icfer ßautf(i&uI=2lntonto !
@r niu§ fid& gefallen laffen, je^t alg flümi)ernber
S)id&ter ju figuriren, je^t ats grau SBafe.
4* Stntonio aU 6QinmeI))robuct.
5Dlan brandet lein ©oetl^eforf^er, fonbern nur
ein aufnterf famer, t)on tiefem SSntereffe für bie
]§errlid&e Sid&tung erfüllter ßefer ju fein, um Don
ben angeffll^rten ©teilen überrafd^t unb ju fjragen
angeregt ju toerbcn, bie fi(i& aus ber 3)id&tung
fetbft, tt)ie fie öorliegt, ni(i&t aur ©enüge beant-
toorten laffen. 3(ä& l^abe aus il^rer ©ntftel^ungSart
biefe auffattenbcn ^ßunfte erllärt unb laffe midö
felbft reben: „®ie ©egner, bie in fjerrara »iber
SCaffo aufgetreten finb, l^at ©oetl^e in bie 5Perfon
feines 3lntonio gleid)fam jufammengejogen unb in
it)r Dereinigt, fo ba^ biefelbe nad^ ben 3ügen, too«
raus fie beftel^t, als ein bid^terifdjeS ©ammelprobuct
erfd)eint. 2)iefer 3lntonio ift nid&t btoS er felbft,
fonbern i)ai 3üge übertragener 2lrt, bie Don pgna.
153] 2)ie 2)ün||er'JteTitfd6e ^Polemif. 435
©uarint u. a. cntlel^nt finb/' „SCro§ btcfcn gu=
famtnengclefenen unb üBcrtragcnen, tl^cittoeifc nid^t
ted&t angepaßten 3üflen tft e§ bem S)i(3&ter n)unber=
bar gelungen, in feinem Slntonio einen ßl^arafter
ju fd&affen, ber im ©angen ben ßinbrud mai^t,
als ob er au8 einem ©tfid wäre/'
5Ri(3&t8 lonnte mir n)tttIommener fein, nid&tS
meiner ßrMärung ein foId&eS ©iegel ber a3eftäti=
gung aufbrüden, al§ jenes SBort aus ©oet^eS ^eber:
,,®S tt)irb überall, tt)o39attifta fte^t, 3lnto=
nio gelejen". ßridö ©d&mibt l^at in feiner ein-
fi(fitSt)otten unb jufiimmenben SBeurtl^eitung meines
Sud&eS auf biefe SRotij l^ingettiefen unb baran
bic treffenbe unb fd&arf finnige SBemerfung gefniH)ft:
„®Iei(J6 beim erften Slnblid beS SJlanufcripteS fud&te
i(ä& mir ben Jfteim ju mad^en: ja freilid^ iji 2lntonio
ein @ammeIl)robuct, bie iJigur ^t il^ren SRamen
t)on ©iambattifta ^pigna** u. f. f.^
III. J>{e "Pünliet'^nnf^e ^oUnik.
1. S)er Gegner SlaffoS: ^ina ober Stun^,
Sie „Sriäuterer" bagegen fud&en bie ©oetl^efd&e
SRotij auf il^re 5lrt auSjubeuten, inbem fie bie
SSeränberungen, toeld^e, abgefel^en t)on ber na^-
1 S)cutld^e Sttteratur-Seitung 1891, IRr. 16, ©.584-86.
436 3toei Xatfo-^rftfiter. [IM
Beffcrnben §anb, her ©egncr SCaffoS int Sortgange
ber 3)id&tung crfal^ren ^aU, für blofecn Slamcngs
toed^fcl crflören. S)crfcI6e SWann, bcr in bcr alten
S)id&tung man tDctfe nid&t toic gel^ei^cn, fei fpätcr
Sattifta unb julc^t Slntonio genannt tDorbcn. ©o
j^abe ber Antonio t)on jel^er in ®oet^e§ Saffo
ejiftirt, nur nid^t unter biefem SRamen. Unb toaS
l^abe es am Snbe ©rogeS ju fagen, iDte ber ©egner
S^aifoS gel&eifeen? „ßonnte ©oetl^e aud& bei ber
erften ^Bearbeitung bem ©egner StaffoS nod& nidftt
ben Flamen ?Pigna geben, nun fo toftl^Ite er jur
SBejeid^nung be§ C^öjlingS einen anberen, um ben
er nid^t öerlegen fein !onnte." @o §err ®ün^er
unb bie ©einigen. S)iefe Slnfid&t l^at eine getoiffe
6d&einbar!eit, bie fidö burd& il^re ^lad&l^eit em<)fie]^It.
SQBir tDotten fie J)rüfen.
Sülit ben Flamen ©iambattifta 5ßigna unb
31 n 1 n i 3Jl n t e c a t i n öerl^ftlt es fid& tDir!Iid& nid&t,
tt)ie mit ^inj unb fiunj; es finb leineStoegS „blofec
SRamen", für bie man Beliebige anbere fe^en !ann,
fonbern fie bejeid^nen gtoei l^iftorifd^ befannte 2Jlftn=
ner, in il^rer fjeinbfd^aft toiber SCaffo, in il^rcr
Steüung unb 2lmtStt)ürbe am §ofe SllfonfoS n.
einanber t)erglei(i&bar, bie erft burd^ ©eraffis
1&&] Sie Sfinj^et-AeTtifc^e ^olemif. 437
SQBcr! in ben ©cfid^tSlrctS ©octl^cS unb feiner
S)id&tun8 einiraten. ®er ©taatsmann, toeldfeen
©oetl^e je^t feinem S^affo gegenüber ftctten unb
t^t)ifd^ augt)rögen tooUtt, !onnte nur enitt)eber
SBattifta ober Slntonio l^cifeen. SBir öerfte^en
bie ©rünbe, toeld^e guerft für jenen, bann für
biefen entfd&icben l^abcn.
2. ^et Gegner 2!affo8 in ber alten ^id^tung.
3n ber alten 3)id&tung gab eS für einen fold&en
S;^t)u§ leinen Ort, tocber in ber ©emütl^Slage bc8
2)id^ter§ nod^ in ber O^abel beS @tü(!s, bie au^
SO^anfo gefd^5))ft tt)ar: eS gab in ber alten 2)id^tung
leinen Slntonio, aud& nid^t incognito. Slatürlid^ l^at
c3 an einem ©egner aud& bort nid&t gefcl^It, aber
er toar, toie er nad^ 2Jlanfo8 Ueberliefcrung allein
fein lonnte: ein falfd&cr, öcrrätl^crifd^er fjreunb, ein
l^ömifd^er, feiger ©efeHc, ber bie öerbiente SBe=
fd&imi)fung, bie SCaffo il^m jugefügt l^atte, burd^
einen l^eimlid^en Ucberfall mit feinen 6t)ie6gcfetten
räd^cn tooHte unb öor Saffog tat)ferem Segen
JReiBauS nal^m. Sür ben Ramp^ auf offener
©trofee fei Saffo burd& §aft Beftraft toorben unb
l^abe fid^ ber le^teren burd& feine 5Iud&t entjogen.
438 3toei Salfo-^rflAtet. [156
@o btc 5qBcI nad^ Sülan Jo : fic toax bcr ©toff , auS
tt)eld&ctn ©octl^c bcn ©cgncr SEaffoS formen mu§tc;
an6) l^at eS feiner bamaligen ©emütl^glage unb
grfal^rnng, tt)ic bem t)at]§oIo9tfd&cn ß^aralter feinet
*erftcn Staffobid^tung getoi^ tt)eit mel^r entfi)rod&en,
ben fjeinb bcg ©id^terg nad^ ber 2lrt eines neibifd&cn
unb intriganten «Höflings ju geftalien, ate nod^ ber
eines fingen unb l^od&gefinnten Staatsmannes.
3. ^et ©egner S^affod in ber neuen ^it^tuug unb ber
^ntonio*^^pug.
®in foId^eS ©uBject aber, tt)ie bcr ©egner StoffoS
in ber alten S)id&tung toar unb aüein fein !onnte,
eignete fid& lual^rlid^ nid^t gu ber ©d^lu^fcene bcS
erften 9lctS. Sülan öergegcnroörtige fid& nur ben
t)on Sftom l^eimgelel^rten Antonio unb bie ®ef))röd^e,
bie je^t gefül^rt »erben. SBar biefe ober eine i^n-
lid^e ©cene in ber alten S)id&tung entl^alten, fo
entl^ielt fie aud^ ben 2lntonio=S:^j)uS; bieS ober
toax unmoglidö, nid^t BIoS aus inneren, im S)id^tcr
gelegenen ©rünben, fonbern fd^on beSl^alB, tt)cil
ber ©toff, aus bem bcr 2lntonio=SE^t)uS ]^crt)or=
ging, erft in ©eraffis SEaffogefdöid^te gu finbcn toor.
©e^en tt)ir aber, ba§ bcr ©egner SCaffoS bem
SC^jjuS eines ^öflingS gleid&falö. nod^ baju eines
157] Sie 2ifin||er'Aenif4e ^olemif. 439
nic^tStDürbigcn , mä) 5ülanfo8 Uefieriicferung, fo
toax eine ©ccnc, toic bic öicrtc bcS crftcn SlctS,
öötttg unbcnttar. 6s giebt frctUdö „Srläutcrer",
bie beibes Vertragen unb ^etncn bcUcbtgcn C^öfltng,
um bcffen Slaincn ©octl^e nid^t Verlegen fein lonntc'',
bic crftc Slntoniofcene \pxtUn laffcn, bis auf bcn
Flomen unb einige Sßoii&beffetungcn, mit benen
©octl^e über aä)t Saläre ]p&tzx nod& nid&t fertig
tt)ar! S)qS l^eifet tDirllid^ bie ®cbanIenIoftg!eit,
i(ä& l^ätte foft gefügt, auf bie ©))i§e treiben, tocnn
fie eine l^ätte, aber pc ift nur fiumpf.
SBenn man mir nad^ Sünder »ßernfd&cr Slrt
ben 6intt)urf mod^t, ba^ aud^ in bcr alten ®id&-
tung ein ©cgner S^affoS t)orge!ommen fein muffe,
gleid&öiel unter toeld^em Flamen, ob er nun ?Pigna
ober Slntonio gel^eifeen ober toie fonft, fo öcrrätl^
fd&on biefe 9lu8brudEStt)cife, bafe man bie gange
groge nid^t gcnügenb !ennen gelernt, gefd&toeige
öerftanben l^at.
5reilid& l^at eS in ber alten 3)id&tung einen
©cgner SaffoS gegeben, beffen Flamen toir nid&t
!ennen, beffen Umriffe aber fid& nad^ 2Jlanfo be=
ftimmen loffen, roie id& foeben öerfud^t l^abe. Sineö
läfet fid^ mit ööttiger ©idberl^eit fagen: er l^at
440 3toei Zaffo-Ctnarer. [158
iDeber ®tam6atttfta $tgna nod^ Antonio SOflonte*
cottno gel^etgen, ba ©oeil^e beibe erft in fRom
aus ber ßectüre ©eraffis !cnncn B^'^^tnt.
Sbenfo lö^t fid mit t)ölltger Sid^erl^ett be»
]^aut)ten, bag in ber neuen 2)id^tung ber (Segner
SaffoS enttDeber $tgna ober SIntonio l^etgen
unb, bilblid^ genommen, fein mugte. SBir l^aben bie
©rünbe barjutl^un gefuc^i, tDorum ©oetl^e ftd^
enbgflitig unb mit Sfted^t für Slntonio SDlontecatino
entfd^ieben l^at.
2lu§ bzm ©tubium ©eraffis unb aus jenen
inneren Umtoanblungen beS Sid&terS felBft, bie
feine römifd^e @))od^e auSmad^en, ging eine 3len^
bilbung unfreS S33er!eS l^cröor, bereu ßta^j^jen
gleid&fam toir in ©oetl&eS ©riefen einigermaßen
ju t)erfoIgcn im ©tanbe pnb. 3lod) in Slom fdörieb
er ben 2. Februar 1788 an Berber: ,;Saffo muß um*
gearbeitet iDerben; toa^ ba fielet, ift ju nid^iS gu
braud^en, id^ !ann iDeber fo enbigen nod^ alleS
tDegtoerfen. ©old&e Jülül^e l^at ©ott ben 5ülenfd&en
gegeben!"
S)ie Umgeftaltung bringt toeit tiefer ein, als
er geglaubt l&at 2luf ber SlüdEreife begriffen,
fd^reibt er ben 24. 2Jlai an flnebel: „Sie erften
159] 2iie 2)ün||et-Aetnf4e ^oUmxt 441
Slctc bcS Saffo muffen faft gang aufflcot)fert tocr»
bcn". 6rft ein l^alBcS Sal^r nad^ bcr ^üältf)x —
toir pnb fd&on im Sanuar 1789 — iji bie erpe
©cenc fo tDcit gebid^cn, ba§ er fie öorlefen !ann.
ein »ierteliQl^r \pättx, ben 6. ^pxxl 1789, f treibt
er an Äarl Sluguft jene 6e!annten, nnS fo toid&s
tigen 3ßilßn über bie in gebanlenöotter 9lr6eit be=
flriffene erjie Slntoniofcene.
(grft in ©eraffiS SEaffogefd&id&te toar ber ©toff
gegeben, iDorauS ©oetl^e ben Z\)pu^ fd^uf, ber
enttoeber SBattifta ober Slntonio l^eifeen fonnte, aber
einen biefer beiben Flamen fül^ren mufete, toenn
ber Sid^ter eö mit ber SBejeid&nung feiner 5Perfonen
nid&t fd^on l^ier, tote fi)äter in ber natürlid&en
S^od&tet, Italien toottte nnb fagen; „S)er ©taatS»
fecretör". 3lnn l^eifet ber %\)pn^, ben er gef (Raffen
l^at, für alle Seiten Slntonio.
®iefer S£^))uS toar nid&t in ©eraffi ju flnben,
fonbern ift ©oetl&eS freie @(ftBi)fung. ©ein Slntonio
ift nicftt ber l^iftorifd&e, obtool^I er öon ben Um=
gebungen, aus benen er l^eröorgel^t, ber ©j)uren
genug an ftd& trägt. Unfer 3)id&ter befa§ bie Äraft,
feiner ©(3ööt)fung bie öollfte inbiöibuette ßebenbig=
!eit ju öerleil^en: fein Slntonio ift fo t5t)ifd&, toie
442 3&)ei S:a1To-(gTn&Ter. [160
(i^ara!tcrijiifd&. SBcnn gefragt toirb, ob unter ben
brantotifd^en S^l^arolteren ©oetl^eS einer fei, ber
toU unb ganj au§ feiner römifd^en (St)od^e ftamme,
fo anttDorte id&: Slntonio 5Dlontecatino. a3e=
lanntUdö l^at ©oetl^e öier feiner großen brantatifd^cn
SBerle nad^ Italien mitgenommen, um fie bort
urnjugeftalten, gu oollenben, ju förbern. Sic barin
entl^altenen ßl^araltere toarcn fammtlid^ gegeben
unb ftammten au3 frül^eren Seiten, einen einjigcn
ausgenommen: biefer eine ift Slntonio SDlonte»
catino. ®r allein ift bie ©eburt ber römifd^en
©pod^e, toenn er aud^ erft in SBeimar gur 3lu8=
Bilbung unb SSottenbung gelangt ift. 3le]§nttd& t)er=
l^ielt e8 fid^ mit ben römifd^en Plegien.
4. S)te 6(^übetung SFlomg in ber Sdglugfcene beS erften
S)a6 ©oetl^e feinen Slntonio nad^ mül^eöollen unb
fiegreidfeen 5ßroben ber ©taatslunft öon 9flom ^üm-
lehren läßt, toar feine eigenfte, öon leinerlei ^iftorifd^er
Ueberlieferung unterftü^te ©rfinbung. SUlit toeld&er
ßuft laßt er b^n Slntonio oon feinen römifd^en
©inbrüdten ft)redöcn, t)on bem 5Dtanne, ber
fein 9lom
S3ert)etrlidgt unb $alaft unb Stempel
3u SBunbettocxfcn biefer @rbe mad^t.
161] 2)te S)ttn^et'Aernfd^e $olemif. 443
gül^It man benn tiid^t, ba§ bicfcr Slntonio öon
bcS Sid^tcrS eigenen unb jüngften glüdlidöften (£r=
innerungen infpirirt ift; ba% ©oetl^e für feinen
@taat§fecretftr nur begl^alB bie röntifd^e ©enbung
etfunbcn ^at, um il^n t)on JRom fteintlel^ren unb
t)on Slom reben gu laffen? 2luf ber ganjen
6cene rul^t ja ber Sciuber ber römifd&en 9ltmo=
fj)]^äre. Unb biefe ©cene foll im 3lo'otmUx 1780
in SBeimar entftanben fein!
Unfere ,,®rlQuterer" toiffen fid& fd&on ju l^elfen:
fie toerben öon biefer erften Slntoniofcene ben
Slntonio, bie römifii^e ©enbung, bie ®eft)rftd6e
über S^lom in Slbred&nnng bringen unb ein leereg
SSIatt übrig Bel^olten, totlä^t^ abjufd&reiben unb
burd&jufel^en ber ©id^tcr neun Solare fj)äter fo
t)iele 2Rü]§e an ben SCag gelegt ^ail
S)er 2lntoniot^))u§ ift nid&t HoS bie @d&5i)fung,
fonbern Qud& ein 2166 ilb ®o etiles auf ber ße6ens=
l^öl^e, njeld&e bie römifd&e (^po&z l^inter ftd^ l&at, @S
tDtrb feinem aufmerifamen ßefer be§ Saffo Verborgen
6Iei6en, bafebieS^mpatl^iebeSSid^terg im ^ortgonge
ber §anblung fid& immer mcl^r bem Slntonio gu-
tDenbet, ba^ er innerlid^ mit biefem ©l^arafter
jufammengel^t unb il&n bie Einigung atDifd^en
Auno Ofifcl^cv, Stttint ©d^riften. 30
444 3toei Zaffo-Ctft&ret. [162
ÄÜTiftlcr unb ©taatSmann im ^xnUxd auf grofee
unb arfieitgöoHc 3tcle l^crbeifül^rcn läßt, ©octl^c
l^at in bcr bid^tcrifcfien SnttDidtlung feines Saffo eine
ai^nUd&e ©rfal^runa erlebt als einige Saläre ftül&er
©dritter in ber feines ÄarloS. ©iefer fd^Iofe ben
^ofo in fein ^zx^ jener öen 2lntonio. 3« ber
tergleid&enben SBetrad&tung Beiber ©id&ter fottte man
biefe ßrfc^einnng il^rer Stel^nlid^fcit nnb il^reS ©egem
fa^eS nid&t überfeinen; fie bietet ein fel^r intereffanteS,
nodö nid&t unterfud&teS SEl^enia.
®er ©oetl^efdöe Stntonio ift ©oetl^e. Äann
man fid^ öorfteÜen, ba§ in ber alten S)id&tung ber
g^einb SaffoS ettoaS öon ©oetl^e gel^abt l^at?
©oetl^e ift BeibeS: Saffo unb Stntonio. 6r
Idfet bie ©räfin ßeonore fagen:
3tt)ei anänner jinb'8, i4 fial' eS lang gefüllt,
S)ie baxum gfcinbe jxnb, totU bic Diatut
9lidgt einen 2Jlann aud il^nen beiben formte.
3nbem iä) auf biefen 2luSfl)rud& l^intoieS, l^aBe id&
mein SBucife mit ben SBorten gef (i^Ioff en : „®ie Slatur
l^atte biefen einen SDlann geformt: eS toar ber
2)id§ter beS SEaffo''. ®Ben barin Beftanb jene
„toal^re Harmonie beS ©emütl^S", in unb mit
tocld^er ©oetl^e t)on S^lom jurüüel^rte.
i
163] S)ie S)ün||eT«Aemfd^e ^olemil. 445
5. S^affo unb Antonio: alte ober neue S3elannte?
(Sine Slntinomie.
2lu§ bcr ©Titftcl^ung bcS 9lntoTiio»SE^i)uS ^aU
iä) l^crgclcitct : tt)ic cS !omtnt, bafe in bcr neuen
^id^tung (ben brci legten ?lcten) %a^t> unb Stntonio
<tl§ langjöl^rige ©egner erjd^etnen, toöl^renb tl^r
Serl&ältnife in ben Betben erftcn Slcten, bie quS
ber alten S)t(i6tung l^cröorgegangen finb, unb in
njeldfee ber Slntonio erft cinjufül^ren toar, ben 6in=
brudt mad&t, ba^ fie neue SBefannte finb unb al§=
Jbalb getnbe toerben. @o »eit eS fitfi um bie
^rage l^anbelt, ob Soffo unb Slntonio alte ober
neue SBelannte finb, l^errfd^t in ber ©oetl^ejdöen
^id&tung eine „bramatifd^e3tntinoniie",bie fid& auS
bcr 6ntfte]öung8gef(i&id&te beS SQBerleS erHftrt unb
gett)iffermafeen begrünbet.
Um nad&gutoeijen, ba§ il^r SBerl^öItnife in ben
«rften Slcten uns als eine neue Sefonntfc^aft an=
ntutl^et, l&aBe xi) eine JReil^e t)on ©teilen angefül^rt,
toorunter BefonberS oud^ bie SQBortc ber ^ßrinjejfin
ins ©ewid&t faöen:
Unb nun, ba n>tr Slntonio toieber l^aben,
3ft bir ein neuer, fluger Sfreunb getoife.
Sie langiöl^rige SBelannlfd&aft Beiber öorauS-
flefe^t, finb bieje SBorte uner!(ftrlid&. Snttoeber
80*
446 3toei Xaffo-grflätcr. [164
iDarcn ftc fjeinbc t)on SlÖcrSl^cr: toaxnm Jollen fie
je^t mit einem mal greunbe njerben? Ober fie
tDQren fjreunbe, fo Brand&en fie nid^t erft jn njerben,
tt)Q§ fie fd&on finb. Dber fie toaxm einanber gleid^s
flültig: toarum foll je^t t)Iö§Iid^ bie 5Periobe il^rer
fjreunbfd^oft beginnen?
93et)or man mit S)ün^er»ßern über meine
,3JliBt)erjiänbniffe" fd&reit, ^at man bie ^Pflic^t,
bie angefül^rte ©teile ju erfWren, nnb itoax fo,
bofe fie fid§ mit ber Iangiä:^rigen SSelanntfd^aft
3tt)ifd6en Slntonio unb Staffo t)erträgt. ^^ laffe
mid§ ntd^t mit njol^lfeilen unb faulen SftebenSarten
aBf)3eifen.
1. SRun? ^err S)ün§er fd^toeigt. ^err ßern
aber rebet unb giebt folgenbe SrHörung. 68 fei
grül^Iing, im fjrül^ting toerbe atteS neu, alfo auci& bie
fjreunbf d^af t : in biefem ©inne werben Slntonio
unb SEaffo, obnjol^I alte Selannte, in ber neuen
Sal^reSgeit neue greunbc. S)amit ber ßefer nid&t
glaubt, ba% id6 ]pa^e, I|ier ift feine toortlid^e ßr-
Körung: „SBon bem neuen Hugen greunbe in jener
©teile !ann nur in bem ©inne bie Siebe fein, tou
bie ©röfin mit SBegug auf ben ^rül^Iing fprid&t:
«3ö. ßS umgiebt un§ eine neue SQBcIt». 2(ud^
I
1C5] 2)ie SiünJier'AeTttfd^e $olemtI. 447
bcr fJrül^IiTig ift uns in jicbem Saläre gugleid^ ein
Qttcr unb ein neuer ^reunb/' ^ S)ie alte S3e!Qnnt=
fd&aft folgt QuS bem SBinter unb bie neue 5rcunb=
fd&aft QuS bem Srül&Iing! 3ft e§ rnöglid^, meine
„2ÄiBt)erfiftnbniffe unb übereilten ©c&Iüffe" u. f. f.
mit aßen moglid&en a5erun9limi)fungen gu fd^elten
unb mir jule^t eine folc^e ®rllärung anguBieten!
2. fjreili(i6 nennt bie 5ßrinjejf in ben 2(ntonio
einen «alten Sreunb"; er ift ein alter ^reunb
unb Siener il^rcS SBruberS, il^reS ^aufeS:
Q^ ift unmdgli^, bag ein alter gfxeunb;
S)er lang' entfernt ein frembe« ßeben füW^f
3m Slugenblid, ba er und toteberfte^t;
Bi^ toieber gteid^ toie el^^maU flnben foU.
SluS biefen SBorten folgt boc^ ni(i&t, ba^ STntonio
aud& SEaffoS alter fjreunb njar unb ift.
SQßar er fein alter ^reunb: toarum fagt bie
5J}rinjeffin, ba^ in 2lntonio il^m nun „ein neuer
fluger fjreunb gewife fei"? 2ld^, iä) öcrgeffe bzn
grül^litig, ber aÖeS neu mad^t. S)er neue fjreunb
ift ber fJrül^lingSfreunb! SBarum aber nennt bie
^ßrinjeffin tro^ bem ^rül^linge, ben aut^ fie ja
miterlebt, ben Slntonio einen alten fjreunb? „^n
^ gftana Äern: ©oetl^eS S^affo unb Huno gfifdjer,
©. 10-11.
448 Stoti Za^0'9tn&xtx. [16ft
unfcrm alten greunbc tft bir ein neuer Iluger
Sreunb getoife!" ©o l^offt bie ^Pringeffin nnb ]o
lauten il^re rid^ttg Derftanbcnen SQBorte.
3. §5ren xoxx bod&, tt)aS Saffo jcIBft bem Slntonia
juruft, als er il^m jum gtoeiten male begegnet:
©ei mit XDiUtommzn, ben i4 aleid^fam je^t
3um elften mal etblide! @(^5net loatb
^eitt SJlann mir angelünbigt. @ei iDillfommen!
9lud& bieje ©teile l^aBe xä) als ein S^ugnife ber
t)on mir lüal^rgenommenen Stntinomie angefül^tt.
«giier ftnb meine ©rünbe. SBenn ©oetl^e Bei feiner
gtoeiten Begegnung mit 2lntonio bzn Saffo fagen
läfet: „3d^ fel^e bid& gleid^fam je^t jum erften
mal", fo muß biefem je^t ein anbereS mal t)or=
ausgegangen fein, ti)o er il^n nid^t gleid^fam, fon-
bern in SBirHi(i&!eit gum erften mal erblidt l^at.
S)ieS gefd^al^ !urg öorl^er in ber ©d^Iufefcene be^
erften SlcteS. ©o öerftel^e id^ bie ©teile nad^ ber
unbefangcnften unb einfad^ften Sluffaffung ber
SBorte tt)ie ber ^anblung.
§err ßern bagegen fagt in feiner öertDidtelten
@t)rad^e: „3(^ bin böKig ratl^IoS, aud^ nur ben
3lnfd&ein einer bieS Betoeifenben ßraft auS ben
SSerfen l^erauSguIefen. ^i) toeife nur, ba^ Saffa
167] 2)ie ^ün^er-AernTd^e ^olemit 449
tnctnt, bafe er il^n ic^t jum erftcn mal mit bcn
Slugcn her ^Pringcjfin anfd&auc" u. f. f.^
®cr 2)id&ter läfet ben SCaffo meinen, toaS er
il^n fagen läßt: er öergleiij&t baS ,;ie^t" mit bem
,;t)or]^er", er bergleid^t bie beiben Slrten ber SBe*
gegnung, nid^t bie beS ©el^cnS. Xaffo meint toeber
nod§ fagt er: „S)a§ Vorige mal l^abe i(36 bit^ mit
eigenen Singen gefeiten, je^t fel^e xä^ bid& mit benen
bcr ^ßringeffin". 2)iefe ift nid&t ber ,;?Pater
@erat)l^icug'\ Staffo ift nid^t einer „ber feligcn
ÄnaBen". ®r fielet il^n mit benfelBen Singen, toie
öorl^er, nid&t mit benfelben ©cfinnnngen.
4. S3ßennjtt)if(i^en Beiben fd^on eine Ion gjäl^rige
»elanntfd^aft befielet, fo toäre e§ bod^ l^öti^ft felt=
fam unb ol^ne aQe Slnalogie mit bem natürlid^en
2Ren}döent)er!e]Ör, ba% SCoffo Bei ber jiDeiten SBe=
gegnnng bem Slntonio jurnft: „©d&öncr toarb lein
Jölonn mir angefiinbigt!" 2Benn er bagegen il^n
eben erft fennen gelernt l^at nnb nnn eine fd^nelle
Slnnal^ernng betoirlen, bie Selanntfd^aft njomöglidö
gleit^ in Sreunbfd&aft öernjanbeln möd&te, fo ift
nid&ts natürlid&er als biefer im l^erjlid^ften Son
1 ebenbafelbfl, @. 11.
450 3toci XafTo-erfrftrcT. [168
8cft)rod&cnc 3uruf : „©d^cmer tDurb fein Jölann mir
atigeJünbigt!''
5. SRod^bctn Slntonio fid^ äu§crft gurüdl^altenb
unb ablel^ncnb öcrl^altcn l^at, tritt Qud& SCoffo mit
feiner SBitte jurüd:
@d tnag benn fein,
3eit unb aSefanntytä^aft laffen bid^ öiclleiiä^t
S)ie ©abe toärmcr forbetn, bie bu je^t
6o tali bei Seite lel^nft unb fafi Derf^tnöl^fl.
3eit unb 33e!anntfd&aft! S)ie langjal^riäe
93elanntf(3&aft Betber öorauSgefe^t: tt)ie ift e§ mö8=
Iid&, ba§ SCoffo je^t bie guten SSegieftungen erft
t)on einer längeren SSelanntfd&aft erwartet?
6. ®ie langjäl^rige SBelanntfii&aft öorauSgefe^t,
tt)ie ift e§ möglidö, bafe S^affo gu Slntonto fagt:
3(3^ toeij, bu bift mein gftcunb, toenn bu mitä^ fcnnft:
Unb cincg fold^cn gfreunbä bebutft' i(6 lange,
2lÜe biefe Sieben finb öoüfommen natürlid^
unb einleud^tenb , fobalb bie SBefanntfd&aft ber
Beiben qu3 ber jüngften 3eit ftammt; fie finb
baS ©egentl&eil, iDenn eine öieljal^rige SBefannt=
fc^aft öorau^gel^t, toic bie Sid^tung in ben brei
legten 2(cten annimmt.
®ie Slntinomie liegt am Sage unb ift aus ber
ßntftel^ung unb Sufammenfügung be§ SBerfS t)oü=
169] 2)ie 2)fin|er'AeTnf(^e ^oXtmit. 451
fomtnen fotcol^l er!lärltd&, oIS erflärt.^ §err
©fln^er l^at bortn einen „©pu!" erbltdt, ber ftd^
auf „bte unölQublid^ften 3Jlt§öerftänbmffe" grftnbe.
6r l^ätte biefe ,,5Wi§öerpänbntffe" toiberlegen unb
olle btc ongefül^rien ©teilen in bem entgegen
gefegten ©inne erHären fotten, tooS er nic^t t)on
fern öerfud^t ^at 6r l^ot fid^ tool^l gelautet, fie
angurül^ren; er l^Qt ben Älügften gefpielt unb ge=
fd^toiegen. SBas ober ben „©pu!" betrifft, bzn er
mir t)ortt3irft, fo l^obc ic^ JQ ein erftaunlid^es
SBunber öoHbratä^t unb einen Kommentator, bem
fid& bie ©eiftcr nid&t ju offenbaren t)Pegen, plö^Iid^
in einen ©eifterfel^er öerioanbelt.
6. SBerfcl^Uc (Sintoürfc unb 5lnöriffc.
3d& toürbe ben 9flaum biefer Slätter unb bie
3lufmer!famfeit meiner ßefer über ©ebül^r in 2ln=
fprudö nel^men, toenn x6) auf bie Heinlid&en @in=
reben nnb S3erunglimt)fungen t)on feiten ber !ennen=
gelernten ©egner naiver eingel^en toottte: fie finb
burd^ bk ©rieud&tung ber ®a6^e gur ©enüge mit»
erleud^tet. Sfd^ gebe ein paar SBeifpiele ftatt öieler.
1 S}ergl. bie ^uSfül^rungen in meinem S3u(^: ©oetl^ed
3:Qffo. ©.48-50, ©.290-298.
452 Stoti 2:affO'(EtI{ärer. [170
SBenn ßeonorc ©anöitalc t)on gerrara faflt:
„Oft ^aV iä^ tiitdö l^ingefel^nt, nun bin iä) ba — **,
fo meine id&, ba§ fie nid&t fd&on öfter unb frül^er
bagetoefen fein fonn. ®er SSerfaffer ber ©egen»
fti^rift ift Qnberer 2lnfi(]&t. S)ie ^Pringeffin l^abc
bie junge ©räfin fti&on frül^er !ennen gelernt unb
cingelaben „ettoa in glorenj". @r nennt biefc
feine Slnnal^me, für toeld^e eS toeber in nod& au^er
ber ®i(i6tung ben entfernteften ©ttt^l)unft giebt,
„felbftt)erftänblid&". ®od& nein! @r fogt mit mufter=
l^Qfter aSorfid&t, fie fei „foft felbftüerftänblidt)". 3d&
l^abe feine SöorfleHung t)on einer ©ad&e, bie fid^
t)on felbft öerftel^en fott, ober nur „faft".
^ä) l^obc t)on ber ©räfin ßeonore gefagt, fie
befi^e bie ßlugl^eit ber ©(j^longen, ol^ne bie
©infolt ber Stauben. ®ie !Iuge ©d&Ionge ift
ni(i)t bie jifd^enbe, mit ber fie SToffo üergleidfet.
SBie burfte bie ©egenfd^rift biefe§ SBilb mir an-
re(i)nen unb in meine ©l^orofterifti! einäufdötcärgen
fu(i)en, bie niti&ts bamit gemein l^at? @ie tl^ut
es mit bemfelben Ungrunbe, toomit fie mir t)or=
n)irft, ha^ id& ben ©d^Iu§ beS jtoeiten 3lct8 jum
britten gered&net l^aben foll: ©iel^e bagegen®. 316
meinet SffierfS über ©oetl^eS SEoffo. Wii bemfelben
171] 9lod^ eine ur!unbli((e SSeflättgung. 458
Unfltunbe »irft fic mir t)or, ba^ iä) SB. 3374
,,au8 beut ©cbäd&tTtife" unrid^tifl citirt l^obc: ©icl^e
bagcflcn @. 345 bcS genannten SBer!§. Unb »qS
bergtetdtien mel^r ift.
V. ^oc9 eine ntftiiiibnc^e ^cftftiigititg.
3d6 tt)enbe mid& t)on bent ^onbcl mit oben
unb unergiebigen ©egnern nod^ einmal jurüd ju
bem erquidtlid^en SlnBKd ber ©id^tung felBft. ßeiber
ift ha^ alte SBer!, fotool^t in ber Driginal]^anb=
fd^rift als aud& in ber Slbfd&rift, Verloren; eS ift
bie STufgabc unferer fritifd&en 3orf(ftung, bie ®iffe=
rcngen ber alten unb neuen Slaffobid^tung, fo toeit
es möglid^ ift, gu ergrünben.
S)a§ bie fjigur beS Slntonio in feinem ©inne
ber alten, fonbern nad^ ST^puS unb Flamen nur
ber neuen ©id&tung in il^rer iüngpen ^pi^afe an*
gel^ött, ift burdö ©oetl^eS l^anbfd&riftlidöe SIngabe
felbft ur!unblid& feftgejiettt unb burd& meine 95cr=
gleid^ung beS ©oetl^efd^en SEaffo mit bem SBer!e beS
©eraffi überSTaffo imßingelnen nad^geroiefen toorben.
grft aus biefem SBerl l^atte ©oetl^e ben SSBett^
ftreit jH)ifd[)en Slaffo unb ©uarini, jioifc^en ben
?PaftoraIbid^tungen beiber, bem Slminta unb bem
454 3wel Saffo-etHäcer. [172
^oftor 5tbo, lennett gelernt. Seibc l^Qtten bog
Qolbene 3eitQlter in ©l^orUebern befungen. Senem
galt als ber SBal^Ifprud^ ber golbenen 3ctt (la
bella etä delloro): , Erlaubt tft, m^ gefällt",
biefem bagegen: „Erlaubt ift, toaS fid& jiemt".
SBir erinnern uns fogleid&, lote ©oetl^e biefeS fel^r
toifflommene SE^ema in feine ©ic^tung aufgenommen
unb in bas ®efprä(i& ber 5ßrinjeffin mit Soffo
verflochten l^at (IL 1).
®iefeS 3tt)tegefpräd&, baS btn erpen 2luf tritt
beS gloeiten 2lctS auSmad^t, gel^ört ber alten
S)id&tung an, bie t)on jenem SQßettftreit nid&ts
tt)u&te: bal^er l^abe idö gef dtiloff en , ba^ bie alte
2)id&tung auc^ in biefem Steile eine oöttige Um^
geftaltung erlebt l^aben muffe unb bie Söerfe 978
bis 1022 unmöglid) in tl^r geftanben l^aben fönnen. ^
SDen SDUttelpunft beS ©efpröd^S bitben bie SBortc
ber ^ßrinjeffin:
Unb fott t(ä6 bir öeftcl^en, toie id^ ben!e:
S)ie golbne S^it/ toomit ber 2)t(^tet und
3u fd^meid^eln pffegt, bie fdftönc S^xt, ftc loar,
8o f(6eint e8 mir, fo toenig aU flc ift;
Unb war fic je, fo toor fic nur ßctoiö,
SDÖic ftc uns immer »icbcr »erben !ann.*
' »Ql. mein »ud^ ©oetl^cS Saffo, ©. 120-127.
2 ©octH äöerfe. (gop^ienauSgabe, SBb. X, ©. 145.
6. 997-1002.
173J 9lo(| eine urfunbltc^e SSeftatlgung» 455
S)icfc SBortc imb toa^ in bcm ®t\pxa^ bamit
jufQmmcnl^Qngt, unmittetbQr unb mittelbar, t)or=
auSgcl^cnb iinb nod&folgenb, l^ot ©oetl^c nitiöt nacj^
3talicn tnitgcnommen, fonbern t)on bort gurü(f=»
gcbrotiöt unb fid^ auf ber 9flü(Ireife bamit befd&öftigt.
§ier ift bie ur!utibli(]öc Seftätigung. ®a8
©oct]^e=2lrdöit) üertoalört einige lofe, jur italienifciien
?Reife gel^örige STagel^eftd^en ; in einem berfelben,
t)on bem ßridt) ©(i)mibt feftgefteüt l^at, ba§ eS
ber Slüdreife angel^ört, finben fid^ folgenbe, öon
©oetl^e mit Sleiftift eilig gefd&riebene , t)on bem
Herausgeber f olgenbermafeen toiebergegebene S^il^tt :
Unb fott \^ bir geftcl^n, toie iä) ben
S)u ©olb
©ic toar tool^I mein, toie ftc jc^t nid^t ift,
Unb toax fie je, fo fann fie ja qu(j{) fe^n toiebet. *
Offenbar finb einige 58ud&fta6en fo unleferKd^
geioefen, ba^ fie ber Herausgeber nid&t erfannt
unb barum auf biefc unDcrftönblidöe STrt loieber^
gegeben l^at. ©octl^e mxb gefd&rieben l^aben:
„Unb fott xd^ bir geficl^en, toie id^ benfe
S)ie öolb* (ergänje: bic (jolbenc Seit),
„©ic toar too^l nie, toie fie Je^t nid^t ift,
Unb toat fie je, fo fann fie ja aud^ toicber fe^n.**
€bcnbaf. 6.429, begeid^net otS UK
456 3tt)et XatTo-etnftret. [174
Unöerlennbar eine SRotig, bic fid& ©octl^c ou^
iencm in ©erofft gcfunbencn SQBcttftrcit gtt)ifd&en
SEaffo unb ©uartm über baS golbcnc S^itolter 8^=
merft l^at; unüerfennbar ber flüd&tigc Gnttourf,
tDotQuS bie oben angcfftl^rten SBortc ber ^Prinjeffin
l^erüorgegQngen finb ; nur toar ©octl^e, aU er jene
Sölcrlmorte aufjeid&nete, nod& unentfc^tebcn, to o fte
mit allem 3ubcl^ör in bie ®i(]^tung eingefügt
»erben foüten. @r l^attc guerft, toie eS fd^eint,
an ben fünften STct gebacj^t; bann aber l^at er fie
in einem 3"lönimen]^ange, ber nid&t fd^öner unb
^)oetifdöer gebad&t »erben !ann, in ba§ ®eft)röd&
aufgenommen, mit Um ber gleite Slct beginnt.^
Srofe ber öertorenen alten Sid&tung ift nun=
mel^r nid^t bloS !ritifd&, fonbern anä^ urlunblid^
feftgefteüt:
^ 9la4 offen ®efej^en ber ißogil unb Urttil ift ju
uttl^eilen, hai ©oetl^e jene in feinem Sagel^eft notitten
SBorte ouSgefül^rt tmb an ber unS befannten ©teffe in
ben S^affo (II. 1) aufgenommen l^at. S)ie S)ünj^erf(^e Sln-
ft(^t gel^t in ber entgegengefe^ten 9^i(^tung: ®oet{)e l^abe
biefe »SBcrfe" (bie, beiläufig gefagt, noiäj leine toarcn) au8
^11. 1* (tt)o fte unmöglid^ geponben l^aben fönnen) „in
ein IRcifel^eftiäJen öom fjtül^jaftr 1788 eingetragen". S)arf
man fragen: tooju? Um ben S3Ieiftift ju :probiren? ©o
öerfclftrt laufen bie Sffiege ber Unlogi! unb ber llnfritif!
K^'ünfecr, ©oet^cä Saffo, 4, 5lufl., ©. 12.)
175] !Rod^ eine urhinblid^e SSeftfttigung. 457
1. ®a§ c8 in ber alten ©id&tung leinen
Slntonio gab, aucfi leinen „©teÜDertreter", benn
Slntonio ift eine l^iftorifd^e tJigur, bie ©oetl^e erfl
QUg ©eraffi !ennen gelernt, unb ein &)axalkx'
t^puS, ben erft ber ^lan ber neuen SEQffobi(]&tung
mit fxij gebrod^t l^at. SBenn man ober bm Sin*
tonio unb feine ©d&ilberungen 9lom8, toelc^e ©oetl^eS
römif(i&e ßpoc^e üorauSfe^en, t)on ber ©d^Iufefccne
bcä erften SlctS abgiel^t, fo bleibt öon berfelben,
n)ie fie uns Vorliegt, nid&ts übrig. 2)arum l^abe
iäi, aud^ an ber §anb ber brieflidtien aJlittl^eilungen,
gcfd&Ioffen, ba^ eine folti&e ©cene, tt)ie I. 4. in ber
alten Sid^tung nidfet torl^anben getoefen fei.
2. ®a§ in bem ®eft)rä(i& gtoifdtien ber ^Pringeffin
unb Staffo, ber erften ©cene beS gtoeiten SlctS, bie
fd&on in ber ölten ®id&tung fic^erlidö öorl^anben
toar, aÜe biejenigen ©teilen, tDel(i)e ba§ golbenc
3eitaltcr unb beffen 2lu§(egung betreffen, gefel^lt
l^aben.
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